Der Autor: .... Bedarf wohl keiner weiteren Vorstellung!
Das Buch: Am 20. September 1971 beendet die Kugel eines Scharfschützen das leben von Hobbins, dem Sänger der Band Nazgul, und bringt auch die Band für lange Zeit zum schweigen.
Der Schriftsteller Sandy Blair wird vom Chef eines als Underground- Zeitung gegründeten Musikmagazins - welches er ehedem mit aus der Taufe gehoben hat - auf eine Story angesetzt, und Sandy, auf Seite 38 seines neuen Romans hoffnungslos versackt, nimmt an. Der ehemalige Manager der Band wurde grausam ermordet, und Sandy soll den Fall untersuchen und darüber berichten.
Sandys Reise zu den übriggebliebenen Bandmitgliedern führt ihn auch zu alten Freunden, alten Idealen, sie wird für ihn zu einer Fahrt in die Vergangenheit - eine Vergangenheit die jemand wieder auferstehen lassen will, um das zu beenden was damals scheiterte.
Meine Rezension: Stephen King greift viel zu kurz wenn er schreibt: "Der beste Roman über die Popmusik-Kultur der 60er Jahre!". Das ist als würde man über einen Waldbrand berichten in dem man über eine Flamme schreibt. Was Martin hier vor uns ausbreitet ist nicht nur Musik, nicht nur Gegenkultur und Aufruhr - es ist alles zusammen und viel mehr. Es ist eine komplexe Reminiszenz der 60er Jahre - und da hat King recht, besser kann man wohl darüber nicht schreiben - als Ganzes, als etwas das weitaus größer ist als seine Einzelteile., beschrieben in all seinen Facetten.
Dabei versinkt der Autor nicht in alles verklärender Nostalgie, noch gerät sein Roman zu einer beißenden, die Ideale und Menschen dieser Zeit verdammende und verächtlich machende Abrechnung der Hippie-Ära. Auch der Begriff "Kritische Würdigung" geht fehl.
Denn was Martin hier vollbringt ist die geballte Ladung an Emotionen dieser Ära dem Leser ungefiltert durchs alleslesende Auge ins Gehirn zu pumpen - nie war das Begreifen weniger intellektuell und intuitiver als in diesem Buch.
Das gilt auch und vor allem für die Beschreibung der Musik der wiedervereinten Band und ihrer Konzerte. Es dürfte für eine Autoren kaum etwas schwierigeres geben als so etwas aufs Papier zu bannen - die meisten Autoren scheitern genau da, wo sie das fürs Ohr bestimmte für das Leserauge umformen, Töne und Emotionen zu Buchstaben, zu Worten und Sätzen zusammenprügeln, gewaltsam versuchen das unmögliche passend zu hämmern.
Auch Martin müsste daran scheitern, wäre nicht sein Text bis dahin so sehr den Leser berauschend, das dieser eigentlich große Sprung zur Musik bei ihm nur zu einem kleinen Schritt wird.
Wie bei allen großen Werken der Literatur ist es unmöglich dieses Buch irgendwo einzuordnen, es ist sowohl Roadmovie, Thriller, Phantastik und (fiktive) Biographie, ein Buch über Musik, eine vergangene Zeit - und eine der Zeiten die längst von ihrer eigenen Legende geschluckt und entweder als Ideal oder Albtraum wieder ausgeschissen wurde.
Die Romane Tolkiens, aus denen die Band ihren Namen und der Leadsänger seine Spitznamen hat sowie weitere Querverweise (Song- und Albumtitel) spielen hier nur als Namensgeber eine Rolle - auch wenn ein Werk wie "Herr der Ringe" in Verbindung mit diesem Buch natürlich zu weitschweifigen, fantasievollen Interpretationen einlädt.
Kann man machen - muß man aber nicht!
Doch "Armageddon Rock" ist selbst für all diejenigen ein berauschendes Lesevergnügen....
... Nein, streichen wir Vergnügen! Ersetzen wir das Lesevergnügen durch "Leseerfahrung! Jepp, das trifft es besser! (Vergnügen hat einen zu großen Beigeschmack von Leichtigkeit, die hier vollkommen fehl am Platz ist) "Berauschend können wir stehen lassen - das passt!
Wo war ich? Ach ja....
Doch "Armageddon Rock" ist selbst für diejenigen eine berauschende Leseerfahrung, welche weder mit epischer Fantasy noch den 60ern mit all ihren Facetten - politisch oder musikalisch - etwas anfangen können. So sehr vor allem letzteres das eigentliche Thema des Buches ist kann man es auch einfach als Roadmovie, als Abenteuer lesen.
Auch der Phantastik-Anteil ist gering genug, so das auch Genreverschmäher durchaus drüber hinwegzusehen in der Lage sein müssten.
(Es gibt also keinen vernünftigen Grund dieses Buch nicht zu lesen)
Jedes Wort, jeder Satz hat in diesem Buch seine Notwendigkeit - entfernt man auch nur einen fällt das erzählerische Kartenhaus unweigerlich in sich zusammen. Martins Text hat eine ungeheure erzählerische Dichte, die auch in längeren Beschreibungen zB der Landschaft nie verloren geht und die es schier unmöglich macht das Buch vor dem Ende aus der Hand zu legen. Dazu kommt das sich die Geschichte ständig wandelt, sich nie auf nur ein Genre festlegt sondern sich aus Elementen verschiedener Genres bedient, ohne selber einem dieser Genre anzugehören.
Eine Theorie in der Kunst besagt das ein Werk niemals perfekt und somit niemals fertig sein kann. Der Künstler nähert sich während seiner Arbeit immer mehr der Perfektion an und hört dann irgendwann auf - aus welchen Gründen auch immer.
Ich kenne keinen Schriftsteller der noch später aufgehört hat - weiter als George R.R. Martin ist meiner Meinung nach keiner gekommen!
Meine Begeisterung erstreckt sich über diese Werk hinaus zu den vielen anderen Veröffentlichungen des Golkonda Verlages in Berlin, die uns Lesern dieses Buch wieder zugänglich gemacht haben. Die tolle Covergestaltung, das fabelhafte Layout, welches sich im Innern des Buches fortsetzt, all das macht nicht nur diese Buch - abgesehen vom Inhalt - zu etwas kostbarem, etwas wirklich schönem.
PS: Diese Rezension entstand zu großen Teilen unter dem Einfluss der Musik von Charles Mingus und Thelonious Monk