Der Autor: Der 1970 geborene David Gray studierte nach seinem Abitur Jura und machte später eine Ausbildung zum Drehbuchautor. Wer mehr wissen will kann ihm einfach eine PN schreiben....
Das Buch: Der Sohn des Hamburger Polizeipräsidenten wurde erschossen, und für Hauptkommissar Boyle beginnt eine der härtesten Nächte seines Lebens, vor allem als der Killer ein weiteres Mal zuschlägt. Doch Boyle sucht nicht nur nach einem Mörder, er sucht nach der Wahrheit - und er findet tatsächlich mehr als ihm in seiner Situation lieb ist.
Und noch jemand durchstreift die Nacht, auf der Suche nach Gerechtigkeit, nachdem ihn das Recht abgewiesen hat....
Meine Rezension: Ein Hardboiled-Krimi aus Deutschland? Geht das überhaupt?
Bis vor kurzer Zeit hätte ich ohne zu zögern mit "Nein!" geantwortet - mit der selben Überzeugung mit welcher ich jetzt - nach der Lektüre von Grays "Kanakenblues" - diese Frage bejahen kann.
Obwohl ich es für ausgesprochen fragwürdig halte einen relativ neuen Autoren sofort mit den Großen des Genres zu vergleichen kann ich jedoch zweifelsohne feststellen das es kaum einen aktuellen Autor gibt der näher an Dashiell Hammett dran ist.
Der knappe Stil, die oft lakonischen Dialoge - all das kombiniert mit einer unglaublich komplexen Handlung ist Hardboiled at its best.
Dazu kommt noch die Welt in die uns Gandave der Graue hier entführt. Es ist eine schmutzige Halbwelt, in welcher sich Polizisten und Verbrecher auf der selben Straßenseite tummeln, zu unterscheiden oft nur dadurch, das nicht alle hier eine Marke tragen. Man kennt sich hier auf der Straße nicht nur durch Ermittlungen, die Beziehungen zwischen Ganoven und der Polizei sind ungleich vielschichtiger. Ein Verbrechen nicht nur aufzuklären, sondern die Schuldigen auch der Mühle der Gerechtigkeit anheim fallen zu lassen ist oft keine Frage von Beweisen sondern von Absprachen, Kungeleien und gewährten oder eingelösten Gefallen.
Der eigene Vorteil wiegt oft schwerer als die Pflicht, das Recht zu vertreten, und selbst die Rechtschaffenden sind gezwungen, Kompromisse einzugehen um wenigstens teilweise ihren Job machen zu können.
Und der Autor macht hier keineswegs den Fehler seine Hauptfigur als einzigen unbefleckten strahlenden Ritter durch diesen Sumpf waten zu lassen. Boyle mag zwar ein besserer Bulle sein als einige seiner Mitstreiter, wer aber durch den Dreck watet kann unmöglich sauber bleiben. Auch er ist den Gesetzen unterworfen, und zwar denjenigen die schwerer wiegen als die, welche in Gesetzbüchern stehen und welche zu verteidigen er geschworen hat.
Dabei hat Boyle keinesfalls aufgegeben, er ist nach wie vor ein Kämpfer für die gute Seite, allerdings ist er realistisch genug, die Grenzen seines Einflusses zu erkennen.
Was nicht automatisch bedeutet das er sie akzeptiert!
Immer wieder erleben wir wie er gegen Mauern anrennt, bis er tatsächlich eine schwache Stelle findet. Dabei paktiert und manipuliert er ebenso gekonnt wie seine Gegner, vielleicht noch eine Spur rücksichtsloser - denn nach wie vor kämpft er für eine Sache die größer ist als er selber.
Shakespeare funktioniert heute noch, weil seine Figuren , ihre Probleme und ihre Motivation in unserer Zeit immer noch stimmen, sie sind ebenso die unseren wie die der Menschen damals.
Auch Boyle könnte man problemlos in die amerikanische Kriminalliteratur der 30er und 40er übertragen, ohne das es jemandem auffallen würde - und er könnte sogar seinen Namen behalten!
Und die Zustände, welche den Hintergrund dieser Geschichte bilden, könnten ebenso gut ins alte Rom, das Mittelalter oder in die Zukunft übertragen werden. Dabei hofft man inständig das die Fiktion größer ist, weiß aber das es vermutlich nicht stimmt, das Gray hier unheimlich dicht an der Wahrheit entlangschreibt.
"Kanakenblues" ist im Bielefelder Pendragon Verlag erschienen, einer jener kleinen Verlage, die mit viel Mut und Chuzpe immer noch unsere literarische Landschaft so vielseitig und aufregend gestalten. Gäbe es solche Verlage nicht wäre sie mit Sicherheit so wie Obelix die Schweiz beschreibt.
Doch so lange Verleger wie Günther Butkus weiterhin ihre Begeisterung für gute Literatur in die Waagschale werfen sind wir davor erst einmal gefeit.
Daher möchte ich in dieser Rezension nicht nur den Autor des Werkes würdigen, sondern auch seinen Verleger, ohne dessen Einsatz dieses Buch vermutlich - zumindest nicht in dieser Form - erschienen wäre.