(War das Absicht, Beo?
Zwar war ich - bin Berliner - durchaus mal sicher, mit Schmeicheleien kriege mich keiner auf den Pott gesetzt, aber bei DER hab ich keine Chance. Also hoer ich jetzt auf zu kratzbuersten, gebe klein bei und trolle mich seligst.)
Ab wann ist ein historischer Roman ein historischer Roman?
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Nun, der Roman "Desiree" von Annemarie Selinko ist 1951 erschienen. Wenn Desiree hier eine Seidenhändlerstochter ist, so mag dies dem damaligen Stand der historischen Forschung entsprochen haben. Abgesehen davon stimmt zumindest das Milieu, auch nach neueren Forschungsergebnissen war der Vater im Handel tätig.
(Hinzu kommt, dass es 1951 noch kein Internet gab, das zur Recherche Zugriff auf sämtliche Universitätskataloge und Buchkataloge ermöglicht, und falls es damals schon an wissenschaftlichen Bibliotheken so etwas wie eine Fernleihe gegeben hat, wird diese wohl nicht gerade so umproblematisch wie heute zu nützen gewesen sein.)---------
ZitatOriginal von Lese-rina
Und um die Trennung von Fiktion und Realität hinzubekommen finde ich ein Nachwort ganz unerläßlich. Profis brauchen das nicht, klar.Nun, es gibt genug Autoren/innen, bei denen ich finde, dass es klüger für sie gewesen wäre, kein Nachwort zu schreiben. (Prange ist zwar der letzte Autor, aber nicht der/die erste Autor/in, deren Nachwort mir einen ohnehin nicht wirklich gelungenen Roman verleidet hat).
Wenn Autor/in dagegen das Nachwort seriös nützt bzw. in diesem wirklich etwas zu ihrem Buch zu sagen hat, ist so ein Nachwort eine feine Sache. Davon abgesehen finde ich, dass ein Nachwort auch etwas Interessantes für eine/n Profi sein kann. Ich finde es immer interessant, wenn Autor/in die Leserschaft wissen lässt, wie er/sie zu ihrem Stoff gekommen ist, warum er/sie gerade diesen Stoff gewählt hat, warum er/sie sich bei Quellen, die von einander abweichen gerade für diese Quelle und nicht die andere entschieden hat oder warum eine bestimmte Erzählperspektive gewählt wurde, um nur einige Beispiel zu nennen.
------------ZitatOriginal von magali
Im Text enthaltene Realia, Sachinformationen, wie groß der Diamant der Kaiserkrone war, ob es am 15 April 1645 regnete oder Wilhelm I. sich zum Baden eine Kupferwanne aus dem Adlon ins Schloß bringen ließ, sind nicht ausschlaggebend. Eigentlich sind sie völlig egal.
Ebenso egal, wie die herzzereißenden Berichte der Autorin, wie viele Fingernägel sie bei der Recherche abgekaut hat.
Das alles macht den Roman nicht wahrer.Kommt darauf an, wie solche Sachinformationen eingesetzt werden und was für eine Bedeutung sie in der historischen Geschichte haben. Sie könnten z. B. durchaus für eine schlüssige Erklärung genutzt werden, wenn es da eine weiße Stelle gibt. Zum Beispiel: das geplante Treffen zwischen zwei Fürsten scheiterte daran, dass der eine erst in der Stadt K. ankam, nachdem der andere bereits von dort abgereist war. In den historischen Quellen, die ich bei einer Recherche durchgesehen habe, finde ich keine Erklärung. Aber in einem Buch über diese Zeit erfahre ich, dass im Monat, wo die beiden sich hätten treffen sollen, der Rhein gerade wegen schwerer Regenschauer Hochwasser führte. Das könnte durchaus ein brauchbares Motiv dafür sein, um zu begründen, warum es mit dem historischen Treffen nicht geklappt hat.
Gebrauchsgegenstände wie dass Wilhelm I. in einer Badewanne aus Kupfer gebadet hat, können auch zu dessen Charakteristik genützt werden.
Sollte der Diamant der Kaiserkrone eine zentrale Rolle in meiner Geschichte spielen, macht eine ausführliche Beschreibung von ihm durchaus Sinn, und wenn sie noch den Fakten entspricht und nicht meine eigene Erfindung ist, umso besser.
Auch für eine gewählte Perspektive könnte exakte Angaben zur Größe Sinn machen. Wenn ich z. B. die Krone aus der Sicht einer Figur beschreibe, die ein Experte für Edelsteine sein soll, wirkt diese Figur sicher glaubwürdiger, wenn ich sie mit tatsächlichen Fachwissen ausstatte.
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Zitat
Original von Teresa
Wenn Autor/in dagegen das Nachwort seriös nützt bzw. in diesem wirklich etwas zu ihrem Buch zu sagen hat, ist so ein Nachwort eine feine Sache. Davon abgesehen finde ich, dass ein Nachwort auch etwas Interessantes für eine/n Profi sein kann. Ich finde es immer interessant, wenn Autor/in die Leserschaft wissen lässt, wie er/sie zu ihrem Stoff gekommen ist, warum er/sie gerade diesen Stoff gewählt hat, warum er/sie sich bei Quellen, die von einander abweichen gerade für diese Quelle und nicht die andere entschieden hat oder warum eine bestimmte Erzählperspektive gewählt wurde, um nur einige Beispiel zu nennen.Du hast an anderer Stelle mal gefragt, welche Art von Manuskripten historischer Romane Verlage wohl einkaufen würden. Hier beisst sich nun meiner Ansicht nach dein Anspruch an die professionelle/wissenschaftliche Recherche eines Autors mit der Realität des Marktes. Bücher werden für real existierende Leser/Käufer geschrieben - und die lassen einen historischen Roman vermutlich nicht deshalb im Laden liegen, weil das Nachwort nicht ausführlich genug ausfällt.
Obwohl ich erklärter Fan von Nachworten bin, genügen mir darin wenige Hinweise zum Verhältnis von Fakten und Fiktion und den genutzten Quellen. Vorbildlich war darin ein Krimiautor: Oliver Bottini mit einer umfangreichen Personenliste im Anhang.
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die Unterscheidung Information/Unterhaltung ist wesentlich und zwar nicht nur in historischen Romanen. Frag PsychologInnen, PolizistInnen, MedizinerInnen, PhysikerInnen danach, was ihnen Laien erzählen, wenn wieder einmal ein Roman auf der Bestsellerliste steht, der sich auf ihr Gebiet bezieht.
Du wirst ein Aufstöhnen hören und verdrehte Augen sehen. Weil die LeserInnen Unsinn erzählen. Weil sie etwas für Fakten halten, was maximal halbe Wahrheiten sind.
Ich verweise darauf, daß ZuschauerInnen z.B. die Schwarzwaldklinik für ein echtes Krankenhaus gehalten haben, weil die Illusion(!) so authentisch war.
Daher Vorsicht, bitte. Der Unterschied Unterhaltung/Information ist enorm wichtig.
Lesen macht Vergnügen, das soll es auch. Es unterhält und wenn man danach Interesse für ein Sachgebiet entwickelt, ist das auch schön. Aber das kommt eben nach dem Unterhaltungsvergnügen.@beo
danke für die Vorlage.
Die Bemerkung des Papsts:
Sie ist sachlich falsch. Die Ermordung der Armenier war nicht 'der erste Völkermord' im 20. Jahrhundert. Übersehen wurde dabei der Völkermord an den Herero und Nama durch die Deutschen zwischen 1904-1908 oder das Abschlachten der Filippinos durch die US-Amerikaner zwischen 1899 und 1902.
Im 20. Jahrhundert gab es mehr als 'drei große Tragödien', bei den Nazis vergißt man z.B. gern den Völkermord an den Sinti und Roma. Vergessen wird auch die erste Auseinandersetzung Tutsi/Hutu in Burundi ab 1965 und die grausige Fortsetzung davon 1994.Zum Begriff 'Völkermord':
wer die Auseinandersetzung darüber in der Türkei ein wenig verfolgt, erkennt, daß es vor allem um den Begriff 'Völkermord' geht. Daß es aber insgesamt einen Fortschritt gegeben hat, weil überhaupt öffentlich darüber gesprochen wird.
Daß Armenien und die Türkei seit einigen wenigen Jahren überhaupt wieder miteinander sprechen.
Da ist ein Prozeß im Gang, es bewegt sich.
Das wird aber nicht anerkannt, offenbar ist es wichtiger, die Türkei anzukläffen. De facto wird das Thema in den Beziehungen zur Türkei instrumentalisiert und das ist durchaus angreifbar.
Erinnert sich noch jemand, wie lange es gedauert hat, bis der Vatikan offiziell ein Wort zur Ermordung der Jüdinnen und Juden gesagt hat?Daß das nun auf die Lektüre eines historischen Romans bezogen wird, stützt nur meine Mahnung an Leserinnen des Genres. Achtung, es ist ein Roman. Achtung, es geht um Gefühle. Achtung, die Realität, egal, wie langesie zurückliegt, ist weit komplexer. Urteile aufgrund einer Romanlektüre sind Fehlurteile.
magali
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[i]Wenn Autor/in dagegen das Nachwort seriös nützt bzw. in diesem wirklich etwas zu ihrem Buch zu sagen hat, ist so ein Nachwort eine feine Sache. Davon abgesehen finde ich, dass ein Nachwort auch etwas Interessantes für eine/n Profi sein kann. Ich finde es immer interessant, wenn Autor/in die Leserschaft wissen lässt, wie er/sie zu ihrem Stoff gekommen ist, warum er/sie gerade diesen Stoff gewählt hat, warum er/sie sich bei Quellen, die von einander abweichen gerade für diese Quelle und nicht die andere entschieden hat oder warum eine bestimmte Erzählperspektive gewählt wurde, um nur einige Beispiel zu nennen.[/]
Das sind aber schriftstellerische Kriterien, keine, die mit dem Sachgebiet zu tun haben. Wenn eine Autorin von ihrem Schreiben erzählt, lese ich das auch gern.
[i]Kommt darauf an, wie solche Sachinformationen eingesetzt werden und was für eine Bedeutung sie in der historischen Geschichte haben. Sie könnten z. B. durchaus für eine schlüssige Erklärung genutzt werden, wenn es da eine weiße Stelle gibt. Zum Beispiel: das geplante Treffen zwischen zwei Fürsten scheiterte daran, dass der eine erst in der Stadt K. ankam, nachdem der andere bereits von dort abgereist war. In den historischen Quellen, die ich bei einer Recherche durchgesehen habe, finde ich keine Erklärung. Aber in einem Buch über diese Zeit erfahre ich, dass im Monat, wo die beiden sich hätten treffen sollen, der Rhein gerade wegen schwerer Regenschauer Hochwasser führte. Das könnte durchaus ein brauchbares Motiv dafür sein, um zu begründen, warum es mit dem historischen Treffen nicht geklappt hat.[/]
Rückfrage, weil ich etwas nicht verstanden habe:
Regen und Hochwasser. Woher stammt die Information? Also, das Buch über die Zeit. Fachbuch, Sachbuch, gleichfalls Roman?
Wenn das Wetter als Grund aus zeitgenössischen Quellen belegbar ist, ist das verläßliche Information, sebst wenn es die Originalquellen nicht mehr gäbe. Geht ja auch was verloren oder kaputt über die Jahrhunderte.
Wenn das Buch aber ein Roman ist, ist es egal, dann kann die Autorin auch selber etwas erfinden. Der Fürst hatte Zahnweh, seine Mutter war krank. Er hatte keine Lust. Sein Pferd hat ein Hufeisen verloren ...magali
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Zitat
Original von Buchdoktor
Du hast an anderer Stelle mal gefragt, welche Art von Manuskripten historischer Romane Verlage wohl einkaufen würden. Hier beisst sich nun meiner Ansicht nach dein Anspruch an die professionelle/wissenschaftliche Recherche eines Autors mit der Realität des Marktes. Bücher werden für real existierende Leser/Käufer geschrieben - und die lassen einen historischen Roman vermutlich nicht deshalb im Laden liegen, weil das Nachwort nicht ausführlich genug ausfällt.Obwohl ich erklärter Fan von Nachworten bin, genügen mir darin wenige Hinweise zum Verhältnis von Fakten und Fiktion und den genutzten Quellen. Vorbildlich war darin ein Krimiautor: Oliver Bottini mit einer umfangreichen Personenliste im Anhang.
Nur eine Klarstellung - offensichtlich hast du mich missverstanden. Mir geht es nicht darum, dass ein Nachwort ausführlich zu sein hat, sondern wie es um seine Information bestellt ist bzw. wozu es Autor/in nützt. Die Qualität eines Nachworts hängt eben nicht von der Ausführlichkeit ab, und wenn Autor/in darin nur ein paar allgemeine Dinge zur Entstehung seines historischen Romans bringt und überhaupt nicht darauf eingeht, was Fakt, was Fiktion ist, ist das für mich auch in Ordnung.
Ebenso wenn er/sie kein Nachwort schreibt, ist das in Ordnung - besser als ein unnötiges Nachwort, eine indirekte Lobeshymne auf sich selbst, ein Versuch, Leser/innen seine Meinung aufzunötigen oder Ähnliches. Darauf kann ich jedenfalls verzichten
Ich finde halt, dass auch bei einem historischen Roman Autor/in nur dann ein Nachwort schreiben sollte, wenn er/sie etwas zu zusätzlich zum Roman Leser/innen mitteilen will, was für diesen interessant sein könnte.
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Edit: Sorry, mit der halben Welt oder so ueberschnitten. Meine Antwort geht an magali, ist ansonsten fuer den Thread irrelevant. Dafuer auch sorry, ist mein letzter Beitrag in diesem Thread.
Ich bin Deiner Meinung, was Urteile aufgrund von Romanlektuere betrifft.
Aber nicht, was die Ansprache von Papst Francis betrifft. Die ist einfach nur couragiert und konsequent - vor allem entgegen der Ankuendigung.
Ich lasse mich auf die Diskussion hier nicht ein, denn in der Tat - die Realitaet dieser Ereignesse ist extrem komplex, bei weitem zu komplex fuer Schnackeleien in Internet-Foren.
Ich lehne aber Deine Argumentation ab. Das Geschehen beim dem Namen zu nennen, auf den wir uns via UN-Konvention nun einmal geeinigt haben, hat nichts mit "Die Tuerkei anklaeffen" zu tun. Und dass so ein Statement als Wasser auf die Muehlen von Islamophobikern gelenkt wird, macht ein solches Statement weder falsch noch ueberfluessig.
Am meisten stoesst mir deine Aufzaehlung anderer Genozide des Zwanzigsten Jahrhunderts auf. Die Anerkennung eines Genozids graebt nicht anderen das Wasser ab, sondern kann ein Fahrwasser bilden. Dass sich Individuen fuer einzelne Faelle mehr engagieren als fuer andere (damit meine ich selbstverstaendlich nicht den Heiligen Stuhl, der kein Individuum ist, sondern uns alle, die wir da oder dort die Stimme oder mehr erheben), ist selbstverstaendlich Gefuehlen - d.h. in aller Regel biographischen Gegebenheiten - geschuldet und meines Erachens durchaus sinnvoll, da andernfalls Verwaesserung Wirkung und Authentizitaet raubt. Einer, der sich um die Schmerzen der ganzen Welt schert, sieht nun einmal nicht aus wie einer, mit dem man rechnen muss, sondern im besten Fall wie einer, der an seinem Helfer-Syndrom zugrunde geht. (Henry Miller hat das mal ein bisschen cleverer und eleganter formuliert, ich hab aber jetzt keine Zeit, das nachzuschlagen.)Das gehoert hier alles nur bedingt (allerdings weniger bedingt als es scheint, finde ich) rein und wie gesagt, fuer mich ist das kein Ort, an dem ich die Diskussion fuehren moechte. Zeit hab ich auch nicht, und dein Feld ueberlasse ich dir gerne, nur nicht ohne gesagt zu haben: Seh ich anders. Sehr.
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Zitat
Rückfrage, weil ich etwas nicht verstanden habe:
Regen und Hochwasser. Woher stammt die Information? Also, das Buch über die Zeit. Fachbuch, Sachbuch, gleichfalls Roman?
Wenn das Wetter als Grund aus zeitgenössischen Quellen belegbar ist, ist das verläßliche Information, sebst wenn es die Originalquellen nicht mehr gäbe. Geht ja auch was verloren oder kaputt über die Jahrhunderte.
Wenn das Buch aber ein Roman ist, ist es egal, dann kann die Autorin auch selber etwas erfinden. Der Fürst hatte Zahnweh, seine Mutter war krank. Er hatte keine Lust. Sein Pferd hat ein Hufeisen verloren ...magali
Das Beispiel ist meine eigene Erfindung.
(Die Anregung dazu war ein Reichstag, wo der Kaiser tatsächlich wegen Hochwasser später als geplant ankam, allerdings waren die anwesenden Kufürsten noch nicht abgereist.)Wenn das Buch ein Roman ist, finde ich es völlig in Ordnung, wenn sich Autor/in eine eigene Erklärung einfallen lässt. (Dies umso mehr, wenn es bisher keine eindeutig historische Erklärung gibt.)
Allerdings finde ich es auch sehr schön, wenn es nicht schon wieder der übliche Hinterhalt, ein missglückter Mordversuch oder eine Intrige des Schurken sind, die das zu verantworten haben. Ich mag es, wenn Autor/in etwas Originelles einfallen lässt, und ein wenig banaler Alltag macht sich auch immer ganz gut.Wenn allerdings die Idee tatsächlich einen Bezug zu historischen Fakten hat, ist so etwas für mich besonders gelungen, z. B. im Leben des Fürsten gibt es genug Hinweise, dass er oft Zahnweh hatte, der Fürst hatte tatsächlich eine sehr enge Beziehung zu seiner Mutter, es ist zumindest ein Vorfall überliefert, aus dem sich schließen lässt, dass der Fürst den anderen Fürsten für eine ausgemachten Esel hielt - und aus einem solchen Fakt entsteht dann das Motiv.
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Charlie
bitte langsam.
Nicht ich grabe hier Wasser ab, das tat der Papst, indem er den Völkermord an den Armeniern als den ersten im 20. Jahrundert bezeichnete. 'Massacro armenio fu il primo genocidio del XX secolo.'
Hätte er einfach Völkermord gesagt, okay. Aber er zählte und er wählte aus.
Nicht mein Fehler.Es geht nicht um das Engagement für eines oder ein anderes der betroffenen Völker, es geht darum, daß jemand gezählt hat. Und sich verzählt. Die Verantwortung liegt bei ihm.
Da das Statement ein öffentliches war, nehme ich mir in der Tat heraus zu fragen, warum gezählt wurde.magali
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(Da sag ich dann doch noch was zu, gell?
Damit hast du Recht [finde ich]. Aber dass wir das so lernen, ist nicht unsere Schuld, und einem, der das so bezeichnet, unterstelle ich keine Boeswilligkeit. Ich habe sowohl als Schueler als auch als Student und als Mitarbeiter in antifaschistischer Jugendarbeit gelernt: die Shoa ist DER Voelkermord des Zwanzigsten Jahrhunderts. Porajmos kam dann noch. Sonst nix mehr. Als mir das Wort Aghet zum ersten Mal begegnet ist, habe ich mich wochenlang geschaemt, weil ich nicht fassen konnte, dass ich davon nichts wusste. Und wenn das jetzt von einer so hoerbaren Stimme wie der von Pope Francis als erster Genozid des Zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet wird, ist das fuer mich ein Fortschritt. Dass das weitergeht, dass dieselbe (und viel mehr) Oeffentlichkeit fuer die Hereros geschaffen wird, ist fuer mich eine selbstverstaendliche Folge-Forderung. Aber darum muessen Menschen kaempfen, die in der Materie stecken. Ich finde: Es kostet viel Zeit, Kraft und andere Ressourcen, sich in ein solches Thema einzuarbeiten, und warum man's mit dem einen tut und mit dem anderen nicht, hat - wie gesagt - meist biographische (ueberraschend zufaellige) Gruende, die keine Wertung darstellen. Meine verbleibende Lebenszeit reicht fuer das eine nicht mehr aus, und Zerteilung oder Verwaesserung erscheint mir hier absolut kontraproduktiv. Fuer mich ist es legitim, zu entscheiden: Ich lege das bisschen, was ich habe, in dieses, meine selbstredend alle anderen mit und schliesse mich da, wo es machbar und sinnvoll ist, sehr gern mit Menschen, die ihr Bisschen in anderes legen, zusammen. Aber die Unfaehigkeit, alles aushalten zu koennen, macht meine Stimme fuer das eine nur leise, und das ist sie sowieso. Es macht sie nicht obsolet.) -
Charlie
aber ja. Und mein Einspruch tut Deinen Engament auch keinerlei Abbruch. Ich hoffe auch sehr, daß türkische Kinder den Begriff 'Völkermord' in nicht allzu ferner Zukunft auch in türkischen Schulbüchern werden lesen können. Aber Geduld gehört auch dazu, übers Knie brechen läßt sich das nicht.
magali
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Zitat
Original von magali
Das wird aber nicht anerkannt, offenbar ist es wichtiger, die Türkei anzukläffen.
In Anbetracht des Völkermordes an den Armeniern durch die Türkei ist diese Bemerkung sehr deplaziert und respektlos.
Ein Völkermord beim Namen zu nennen hat absolut nichts mit "anzukläffen" zu tun. -
Es bestreitet niemand, dass sich in der Gesellschaft der Türkei in dieser Frage etwas bewegt. Die Regierung hat aber so deutlich reagiert, dass klar ist offizielle Regierungspolitik bleibt die Leugnung. In Deutschland kennt kaum einer die Geschichte der Herero- richtig. Aber keiner der sie kennt- und schon gar kein Regierungsmitglied würde die Ereignisse beschönigen oder leugnen.
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ich hätte die Welt auch gern einfach und übersichtlich, aber sie ist es nicht. Der armenisch-türkische Konflikt ist vertrackt, er hat geopolitische Weiterungen (Kaukasus), ökonomische (Wiedergutmachungsansprüche Armeniens) und noch ein Dutzend kleine mehr. Reduktionistische Ansätze nützen niemand. Nichts ist einfach.
zur Ausgangsfrage: wann ist ein historischer Roman ein historischer Roman?
So weit ich das übersehe gilt für LeserInnen:
die Handlung muß in einer Zeit spielen, die deutlich als 'Vergangenheit' wahrgenommen werden kann. Hundert Jahre sind auf jeden Fall akzeptabel (das WK I-Beispiel), wenn es näher an die Gegenwwart rückt, wird's schwierig.
Es müssen nicht unbedingt historische Persönlichkeiten auftreten.
Die beschriebene Zeit soll so gut wie möglich als Zeit in der Vergangenheit dargestellt werden. Recherche ist gern gesehen, verläßliche Sachinformationen vor allem über den Alltag 'früher' werden gern gelesen.
Wenn die tatsächlichen Überlieferungen lückenhaft sind, darf die Autorin ergänzen, wenn sie nicht aus dem Bild fällt dabei. 'Wie es gewesen sein könnte' akzeptiert man gern, es muß aber auch überzeugend sein.
Alternativgeschichte löst keine größere Begeisterung aus. ?
Nachworte werden gern gelesen und durchaus als zu 'historischen' Romanen gehörig betrachtet. Informationen über Recherchearbeiten werden gern gelesen und geschätzt als Ergänzung zum Roman.
Was noch?
magali
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Zitat
Original von magali
zur Ausgangsfrage: wann ist ein historischer Roman ein historischer Roman?So weit ich das übersehe gilt für LeserInnen:
die Handlung muß in einer Zeit spielen, die deutlich als 'Vergangenheit' wahrgenommen werden kann. Hundert Jahre sind auf jeden Fall akzeptabel (das WK I-Beispiel), wenn es näher an die Gegenwwart rückt, wird's schwierig.
Es müssen nicht unbedingt historische Persönlichkeiten auftreten.
Die beschriebene Zeit soll so gut wie möglich als Zeit in der Vergangenheit dargestellt werden. Recherche ist gern gesehen, verläßliche Sachinformationen vor allem über den Alltag 'früher' werden gern gelesen.
Wenn die tatsächlichen Überlieferungen lückenhaft sind, darf die Autorin ergänzen, wenn sie nicht aus dem Bild fällt dabei. 'Wie es gewesen sein könnte' akzeptiert man gern, es muß aber auch überzeugend sein.
Alternativgeschichte löst keine größere Begeisterung aus. ?
Nachworte werden gern gelesen und durchaus als zu 'historischen' Romanen gehörig betrachtet. Informationen über Recherchearbeiten werden gern gelesen und geschätzt als Ergänzung zum Roman.
Was noch?
magali
Ich finde deine Zusammenfassung sehr gut.
Allerdings denke ich, dass eine Alternativgeschichte durchaus gut ankommt, wenn sie den Geschmack von Leser/in trifft und solange Autor/in sie auch als Alternativgeschichte deklariert. Wenn ich von vornherein weiß, dass es eine Alternativgeschichte ist und sie mir nach dem Lesen deshalb nicht gefällt, kann ich das nicht Autor/in anlasten. "Lesen in diesem Fall erfolgt auf eigene Gefahr."
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PS für Magali: "Hätte ja auch sein können, daß Du selber gerade einen historischen Roman schreibst." - Ich versuche tatsächlich zurzeit einen Historischen Roman zu schreiben , aber um Fürsten, die ihre historischen Rendezvous versäumen, geht es darin nicht
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Ja, genau, Theresa. Ich finde, wenn es eine fiktive Geschichte ist, dann sollte es zumindest gekennzeichnet werden bzw. anders rum, wenn es real ist, dann gehören für mich Erklärungen oder Stammbäume oder oder oder dazu. Entscheiden kann ich dann immer noch, ob ich es lesen möchte oder nicht.
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Zitat
Original von Booklooker
wenn es real ist, dann gehören für mich Erklärungen oder Stammbäume oder oder oder dazu.Erklärungen gerne, aber Stammbäume? Vielleicht lesen wir ja komplett unterschiedliche historische Romane (mein letzter eindeutig "historischer" war "Intrige" von Robert Harris) , aber für die historischen Romane, die ich meistens so lese, ist die Ahnenfolge recht unerheblich. Oder meintest Du einfach nur ein "Personenverzeichnis" mit entsprechenden Erläuterungen, wer REALE Figur ist und wer nicht?
Allgemein kann ich mich magalis Liste im großen und ganzen anschließen. Wobei es für mich vom Interesse her keinen Unterschied macht, ob der Roman jetzt historisches oder die jüngere Vergangenheit behandelt, von daher ist es mir egal, ob auf "Ein deutscher Sommer" über die Gladbecker Geiselnahme (1988) nun "historischer Roman" draufsteht oder auf "Piagnolia" über die Fußball-WM 1934 nicht.
Wenn der Roman ein rein fiktives Ereignis behandelt, ist es auch nicht notwendig, daß bekannte Personen drin vorkommen.
Absolut nicht einverstanden bin ich mit der Aussage "Alternativgeschichte löst keine größere Begeisterung aus". Zumindest für mich trifft das nicht zu, ich lese sehr gerne kontrafaktische historische Romane - "Vaterland" ist immer noch eines meiner absoluten Favoriten und seit letztem Jahr gehört auch "Der Komet" dazu, bei dem Franz Ferdinand vor dem gelungenen Attentat wieder aus Sarajevo abreist. Allerdings gilt auch hier wie für die Einfügungen in die Romane zur realen Geschichte: "'Wie es gewesen sein könnte' akzeptiert man gern, es muß aber auch überzeugend sein."
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Hallo in die werte Runde!
Ich bin neu im Forum. Ich bitte um Nachsicht, dass ich nicht auf Teresas Fragestellung eingehe, sondern abweiche. Ich war mir nicht sicher, ob ein neuer Themenstrang notwendig ist. Deswegen schreibe ich gleich hier.
Text in Überarbeitung!