Ab wann ist ein historischer Roman ein historischer Roman?

  • Bei einer Rezension auf Amazon zu "Zorn des Himmels" von Richard Dübell fand ich folgende Meinung des/der Rezensenten/in:


    "Zorn des Himmels" (ein Roman über eine Hochwasserkatastrophe zurzeit des deutschen Kaisers Ludwig IV. / Ludwig des Bayern) wäre kein historischer Roman, da fast alle Figuren fiktiv sind.


    Wenn sie zutrifft, würde das bedeuten, dass sämtliche Romane die als historische Romane am Markt sind (z. B. die meisten Romane von Brigitte Riebe, eine ganze Reihe historischer Kriminalromane etc.), keine historischen Romane wären.


    Was hält ihr von dieser Definition?

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Zitat aus der Amazon-Bewertung von Sigurd Africo
    Zuerst einmal sei lobend hervorgehoben, dass Dübell bei in der Liste der Handelnden Personen zwischen "erfundenen" und "historischen" Personen unterscheidet. Die Anzahl der historischen Personen steht dabei allerdings in keinem Verhältnis zu den erfundenen und reduziert die Bezeichnung "historischer Roman" vor allem auf den Hintergrund der Handlung (das Magdalenenhochwasser 1342) und schließt das Personal des Romans weitgehend aus.


    Ist dies die Bemerkung, auf die du dich beziehst? Ich lese hier nur heraus, dass S. Africo gern mehr historisches Personal in der Geschichte gehabt hätte, aber nicht, dass er den Roman nicht als historischen Roman sieht.


    Von dieser Interpretation mal ganz abgesehen, das erste Merkmal eines historischen Romans ist für mich die Tatsache, dass er in geschichtlicher Vergangenheit spielt. Historische Ereignisse und Personen sind da dann irgendwie zwangsläufig mit dabei, nur der Umfang variiert. Von daher: diese zugespitzte Definition ist wenig brauchbar.

  • Ich weiß nicht mehr, wer diese Rezension geschrieben hat - es geht mir auch nicht darum, eine/m bestimmten Rezensenten/in zu kritisieren oder gar anzugreifen. (Daher habe ich auch nicht direkt zitiert.)


    Mir geht es um die Frage, inwieweit die Auswahl der Figuren bei der Definition Historischer Roman von Relevanz ist.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Original von Teresa
    es geht mir auch nicht darum, eine/m bestimmten Rezensenten/in zu kritisieren oder gar anzugreifen. (Daher habe ich auch nicht direkt zitiert.)


    Mit einem Zitat kritisierst du doch nicht; ich habe auch nicht angenommen, dass du den betreffenden Rezensenten "in die Pfanne hauen" wolltest. Ich möchte das auch nicht. Ich habe nur deine Wahrnehmung, ein historischer Roman sei nur mit historischem Personal eben ein solcher, nirgends in der Bewertung herausgelesen. Wenn ich dich richtig verstehe, stimmst du der Aussage 'ein Roman kann kein historischer Roman sein, wenn die Figuren fast ausschließlich fiktiv sind' nicht zu, ich tu das auch nicht und der Mensch auf Amazon hat auch nichts dergleichen behauptet - worüber unterhalten wir uns nun? :grin

  • Diese Ansicht lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Krampf Ein Roman, der in der Bronzezeit spielt oder in der Steinzeit - leider kennen wir aus der Zeit keine historischen Persönlichkeiten auf der Pfanne, also kein historischer Roman, sondern nur Fantasy?

  • Wobei mir einfällt, das die verstummte Autorin Viola Alvarez in ihrer Trilogie, deren dritter Band nie erschien- der Himmel aus Bronze - von Lesern den Vorwurf erhielt es sei ein Fantasy Roman.

  • Yep, genau an diesen Roman habe ich beim Lesen dieses Threads gedacht, denn ich war es, der das so gesehen hat. Es war von mir nicht als Vorwurf gemeint, genau genommen kam das bei mir als Fantasy an (und damit konnte die Autorin überhaupt nicht umgehen).

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Es stimmt ja auch nicht so ganz. Eher esoterisch, die Autorin hat m.E. Riten von Völkern auf Steinzeitniveau oder altindianische Motive als Grundidee angelegt.


    Aber legt man die These zu Grunde, dann wäre Teresa mit die Träume der Libusa auch kein historischer Roman gelungen. Oder Iris Kammerer mit ihrer Trilogie Der Tribun.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übersiet :grin


    :lesend  :lesend

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  • Ein Blick in mein altes Literaturlexikon (Gero von Wilpert/ Kröner Verlag, 1989) sagt, grob zusammengefasst; dass es für die verschiedenen Arten des Romanes aufgrund der Vielfalt an Zielsetzungen, Themen, Stoffe und Lesererwartungen keine allgemein gültigen klaren Gliederungen gibt und geben kann, sondern all diese Gliederungen immer willkürlich sind/sein müssen. Dies auch deshalb, da es ständig neue Entwicklungen gibt, die neue Abgrenzungen und Gliederungen erforderlich machen.
    Das alles ist weit umfassender erklärt und sehr interessant, würde aber hier den Rahmen sprengen.


    Schaut man sich dann im Netz um, wird schnell klar, dass es auch heutzutage keine einheitliche Definition für den Begriff "historischer Roman" zu geben scheint.


    Doch scheint mir z.B. dieser Text einiges sinnvoll zu klären:
    Historische Romane

  • Zitat

    Original von Teresa
    Bei einer Rezension auf Amazon zu "Zorn des Himmels" von Richard Dübell fand ich folgende Meinung des/der Rezensenten/in:
    "Zorn des Himmels" (ein Roman über eine Hochwasserkatastrophe zurzeit des deutschen Kaisers Ludwig IV. / Ludwig des Bayern) wäre kein historischer Roman, da fast alle Figuren fiktiv sind.
    Wenn sie zutrifft, würde das bedeuten, dass sämtliche Romane die als historische Romane am Markt sind (z. B. die meisten Romane von Brigitte Riebe, eine ganze Reihe historischer Kriminalromane etc.), keine historischen Romane wären.
    Was hält ihr von dieser Definition?


    Dass diese Ansicht in den vorhandenen Rezensionen nicht vertreten wird, ist ja inzwischen geklärt.


    Was ein historischer Roman ist, liegt auch in der Rolle desjenigen, der diese Definition vornimmt.
    - Der Verleger, weil das Buch in einer bestimmten Reihe erscheint und dafür Käufer zu erwarten sind.
    - Der Autor/die Autorin, weil er/sie über eine Epoche schreibt und recherchiert, in der er/sie selbst nicht gelebt hat.
    - Der Leser, dessen Erwartungen das Buch entspricht oder nicht.
    - Ein Historiker, der dazu evtl. völlig andere Ansichten hat als die anderen drei.
    - Wo stehst du in dieser Liste, was bezweckst du mit der Diskussion?


    Die Forderung nach historischen Personen als Romanfiguren setzt voraus, dass Quellen dazu vorhanden sind. Sind sie nicht vorhanden, schreiben Autoren "nach Fundlage". Siehe unten.


    In einem bayerischen Dorf wird im Jahr 1957 im dunklen Moor ein Sarg mit der Leiche einer jungen Frau gefunden. Was hatte sie verbrochen, um so unchristlich und abseits von der Gemeinde begraben zu werden?
    Im Jahr 939 wachsen die Freundinnen Afra und Richlint im harten Bauernleben des Dorfes Pitengouua auf. Ungarische Krieger überfallen das Dorf, morden und plündern. Während die Dorfbewohner mühsam den Weg in den Alltag zurücksuchen, gibt allein die Heilerin Justina den Mädchen Halt und Trost. Doch weder Afra und Richlint noch die Menschen aus ihrem Dorf können sich den Machtkämpfen zwischen Adel, Kirche und aufständischer Landbevölkerung entziehen. Während Afra durch den Mann, dem sie zur Frau gegeben wird, Liebe und Mutterglück findet, muss Richlint, die Tochter einer Sklavin, einen dramatischen Kampf um Freiheit und ihre große Liebe zum Ungarnführer Arpad fechten.
    Auf dem Lechfeld bei Augsburg entscheidet sich im Jahr 955 nicht nur die Zukunft Bayerns, sondern auch der Lebensweg der jungen Frauen. Wird Afra ihrer unfreien Freundin bis zur letzten Entscheidung beistehen?
    „Spannend und voller Emotionen erzählt die Autorin vom Leben der „einfachen“ Frauen aus dem Volk. Ein fesselnder historischer Roman aus einer ganz besonderen Perspektive.“

  • Viola Alvarez ist keine verstummte Autorin (die Einstufung ihres Romans als Fantasy fand ich seinerzeit auch schockierend, und damit haette ich auch nicht umgehen koennen, d.h. ich waere vor Schreck vermutlich sprachlos gewesen). Sie hat im vergangenen Jahr einen Roman veroeffentlicht.

  • Das ist natuerlich Deine Entscheidung. Zwar werden dann ziemlich viele von uns in naher Zukunft verstummen, aber zum Glueck ruecken ja jede Menge andere nach.


    Und off-topic isses auch. Sorry.

  • Vergessen haben wir bisher, dass <sind historische Personen enthalten ja oder nein?> eine formale Frage ist. Wäre nicht interessanter, wie glaubwürdig die enthaltenen Figuren sind? Nur "tell" und weniger "show" von bekannten/mächtigen Figuren wäre sicher nicht erstrebenswert.

  • Es gibt Leser, die würden "Die Wanderhure" als historischen Roman bezeichnen :grin und es gibt Leser, die darüber nur den Kopf schütteln und erwarten, dass möglichst viele belegte Personen und Fakten vorhanden sind, um dem Roman "ihre eigene Einordnung" als historischen Roman zu gestatten.


    Ich denke, dass jeder Leser das nach seinem persönlichen Anspruch und Geschmack sieht. Bei vielen Romanen, die die Bezeichnung "historisch" bekommen haben (vom Verlag, oder Leser), werden ganz beliebige Personen in eine Zeit gesetzt, weil es gerade aktuell ist. Das führt dazu, dass sich unter der Bezeichnung alle möglichen Romane tummeln.


    Diese ganzen Frauen in Männerkleidung und die Figuren, die so modern denken, weil ihr Verfasser eben so modern denkt, werden, wenn es der Markt verlangt, in das 14. Jahrhundert gesetzt, würden aber auch genauso in die Steinzeit oder ins 20. Jahrhundert passen. Glaubwürdig ist das nicht und mir persönlich hat dieses Vorgehen fast jegliches Interesse an "historischen" Romanen genommen.


    Ich hätte einfach gerne glaubwürdige Figuren und ein wenig Recherche, was die Lebensumstände und vielleicht noch ein wenig die politischen Verhältnisse der entsprechenden Zeit betrifft.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Es stimmt ja auch nicht so ganz. Eher esoterisch, die Autorin hat m.E. Riten von Völkern auf Steinzeitniveau oder altindianische Motive als Grundidee angelegt.


    Aber bei mir kam das durchaus nicht so an. Wenn ich in Romanen über indianische Riten lese, hatte ich noch nie das Gefühl, „Fantasy“ zu lesen - egal, wie gut oder weniger gut ich das Beschriebene nachvollziehen oder verstehen konnte. „Der Himmel aus Bronze“ ist (wenn meine Erinnerung richtig ist) das einzige Buch, bei dem mir das bisher passiert ist.



    Zitat

    Original von beowulf
    Oder Iris Kammerer mit ihrer Trilogie Der Tribun.


    Die ist für mich nun ein ausgesprochener historischer Roman ohne jede Fantasy- o. ä. Elemente.



    Zitat

    Original von Charlie
    (...) (die Einstufung ihres Romans als Fantasy fand ich seinerzeit auch schockierend, und damit haette ich auch nicht umgehen koennen, d.h. ich waere vor Schreck vermutlich sprachlos gewesen).


    Nochmals: ich schrieb nicht von „Einstufung“, sondern „bei mir kam das so an“.


    Ich war damals selbst so irritiert, daß ich den Thread Fantasy, Roman, historischer Roman - oder irgendwas dazwischen? eröffnet habe.


    Die Reaktion von Frau Alvarez in der Leserunde kam bei mir so an, daß ich nie wieder in Erwägung gezogen habe, ein Buch von ihr zu lesen, selbst wenn mich manches vielleicht interessieren würde.


    Zum Vergleich: vor Jahren (in meiner „Eulenfrühzeit“) habe ich mich für eine Leserunde von Titus Müller „Das Mysterium“ angemeldet. Obwohl mich das interessierte, kam ich mit dem Buch überhaupt nicht klar und habe abgebrochen. Meine Erinnerung daran ist (ohne jetzt nachzulesen), daß der Autor dermaßen souverän damit umging, daß ich jetzt wieder eine LR zu seinem aktuellen Buch mitgemacht habe. Und dem „Mysterium“ sicherlich eine neue Chance geben werde. „Dem Himmel aus Bronze“ sicherlich nicht (das hatte ich damals im Rezithread dazu geschrieben).



    Zur Threadüberschrift noch die Anmerkung, daß ich mir diese Frage auch öfters stelle. In vielen Fällen wird sich das vermutlich nur subjektiv beantworten lassen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Zitat

    Original von Eskalina
    Diese ganzen Frauen in Männerkleidung und die Figuren, die so modern denken, weil ihr Verfasser eben so modern denkt, werden, wenn es der Markt verlangt, in das 14. Jahrhundert gesetzt, würden aber auch genauso in die Steinzeit oder ins 20. Jahrhundert passen. Glaubwürdig ist das nicht und mir persönlich hat dieses Vorgehen fast jegliches Interesse an "historischen" Romanen genommen.


    Ich denke, daraus lässt sich eine gute - individuelle - Definition ableiten, ein "richtiger" historischer Roman ist es, wenn sich die Geschichte und Figuren eben nicht beliebig mit leichten Abwandlungen in jede Epoche versetzen lassen, sondern in den historischen Hintergrund eingebettet sind, unabhängig davon, wer diese Figuren sind.

  • Zitat

    Original von ginger ale
    Schaut man sich dann im Netz um, wird schnell klar, dass es auch heutzutage keine einheitliche Definition für den Begriff "historischer Roman" zu geben scheint.


    Gleiches ist mir beim Lesen des Ausgangsposts auch in den Sinn gekommen. Als Laie suche ich natürlich zunächst bei wikipedia und lese "Ein historischer Roman ist ein fiktionales Prosawerk, dessen Handlung in einer historischen Zeit spielt und geschichtliche Vorgänge und Personen ohne Anspruch auf wissenschaftliche Richtigkeit in belletristischer Form behandelt."


    Mir ist natürlich klar, dass wikipedia nicht unbedingt eine wissenschaftliche Quelle ist, also habe ich auch mal google nach "definition historischer Roman" befragt. Der bringt dann bei den ersten Treffern einige (wissenschaftliche) Arbeiten, die sich mit der Definition des historischen Romans beschäftigen. Ich erspare mir jetzt die Mühe, das rauszukopieren, aber "Fiktion" taucht immer wieder auf.


    Ich kann mit der Wikipedia-Definition ganz gut leben. Wie hoch der fiktive Anteil dabei ist, dass muss man bei jedem Buch (mühsam) selbst herausfinden. Ist sicher nicht der einfache Weg, aber wohl der momentane Stand.


    Wichtig für mich ist übrigens nicht, dass alle Fakten bis ins letzte Detail stimmen (ja, ich verzeihe einem Autor sogar ein erfundenes Land, wenn er es im Nachwort entsprechend deklariert und begründet :-]), sondern der Kontext muss passen. Dazu gehört vor allem, dass die Handlung der Figuren wenigstens einigermaßen zu dieser Zeit vorstellbar waren.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich erinnere mich noch daran, dass ich als Kind ein Buch gelesen haben mit Titel "Lösegeld für Löwenherz" (der gute König Richard war hier übrigens eine reine Randfigur und als solcher ein arroganter Idiot). Das Buch, das ich in unserer Bücherei entdeckt hatte, war ein historischer Roman für Jugendliche (und was mich damals sehr gestört hat, das ist zum Glück heute anders, keine weiblichen Figuren mit einer etwas wichtigen Rolle).


    Dieses Buch hatte jedenfalls damals ein Nachwort, das war Anfang der 1980er-Jahre nicht so selbstverständlich, und hier hat der Autor ausdrücklich erklärt: Es sei klar, dass Herzog Leopold V. der Tugendhafte (das ist dieser (nieder-)österr. Babenberger-Herrscher, der in den Lösegeldcoup um Richard III. verwickelt war) auf dem Dritten Kreuzzug sicher Knappen, Trossbuben und Knechte mitgehabt hat. Da jedoch keine Namen überliefert sind, musste er diese erfinden.


    Als Kind fand ich das einleuchtend, und ohne diese erfundenen Figuren hätte es auch keine Figuren gegeben, mit denen sich der jugendliche Leser (weniger die jugendliche Leserin) hätte "identifizieren" können.


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    Sehen wir uns nun ein aktuelles Buch an (für Erwachsene): " Ich, Maximilian, Kaiser der Welt" von Peter Prange. (Das Buch gilt als historisch großartig und gelungen, eine Meinung, die ich absolut nicht nachvollziehen kann - aber das ist hier nicht das Thema.)


    Jedenfalls ist es ein Roman, wo fast keine Figur auftaucht, die nicht auch historisch nachgewiesen ist. (Einzig die Jugendliebe von Philipp dem Schönen dürfte eine Erfindung sein. Die spätere Ehefrau von Wolfgang von Polheim war zwar keine Hofdame von Maria von Burgund, aber sie hieß jedenfalls Johanna, und hier wäre vorstellbar, dass zwei Figuren kompiliert wurden, eine Methode, die der Autor auch bei seinen anderen historischen Figuren in diesem Roman angewendet hat.


    Steigert die Beschränkung auf ein rein historisches Figurenreperatoire und der weitgehende Verzicht auf fiktive Figuren die Historizität eines Romans?
    Auf den ersten Blick wäre die Antwort sicher ja, denn wenn gleich Figuren verwendet werden, die auch als historisch nachgewiesen sind, was kann dann noch falsch sein?


    Ob die Figuren aber tatsächlich ihrem historischen Pendant entsprechen ist eine andere Frage?
    Nehmen wir die weibliche Hauptfigur des Maximilian-Romans. Über Rosina von Kreig ist eigentlich nur bekannt, dass Maximilian vor seiner Eheschließung in ein Hoffräulein mit diesem Namen verliebt war.
    Im Roman verbindet die beiden eine lebenslange Liebesbeziehung, was eine Erfindung des Autors ist. Inwieweit diese geschichtliche Abweichung in einem historischen Roman zulässig ist, wäre zu diskutieren.
    Für mich jedenfalls eindeutig nicht in Ordnung ist etwas anderes, dass nämlich im Nachwort bei den "historischen Fakten" noch ausdrücklich angehängt ist, dass Rosina, wie auch im Roman, die offizielle Geliebte Maximilians wurde. Warum gibt der Autor nicht zu, dass diese lebenslange Liebesgeschichte seine Erfindung ist?


    Da über diese Rosina historisch nicht viel bekannt, hat sich Prange einiges zu ihr ausgedacht - allerdings keine historisch glaubwürdige Lebensgeschichte, bis sie und ihr Maximilian wieder vereint sind. Die Urteile in einer Amazon-Rezension dazu: "Letztere macht mit ihrer Geschichte von der Hofdame der Prinzessin, Geliebte des Kronprinzen, Schaustellerin, Rebellenehefrau ohne Erinnerung an ihr vorheriges Leben einer Iny Lorenz alle Ehre." und "Heldin Rosina scheint sich aus einem seichten Frauenroman in die Geschichte verirrt zu haben ..." kann ich voll unterschreiben.


    Hinzu kommt noch, dass sich das Fehlen von Nebenfiguren und Randfiguren (selbst wenn sie nur erfunden sind) noch in anderen Zusammenhang im Roman negativ bemerkbar macht. Es trägt wesentlich dazu, dass die beschriebene Zeit für mich absolut nicht authentisch wirkt. Neben ein paar Statisten für Kriegszüge, einige anonyme Bürger und Leuten, die in Jans Werkstätte arbeiten, entsteht der Eindruck, dass sich Pranges historische Akteure/innen (gewöhnlich aus dem Hochadel) offensichtlich kein Personal, keinen Hofstaat, kein Gefolge leisten können. Räumlichkeiten werden problemlos betreten, da muss kein Türhüter zunächst ausgeschaltet werden, und wenn einmal Bürger in ein Schloss eindringen, gibt es auch keine Wache, die wenigstens versucht, sie daran zu hindern oder mit ihnen gemeinsame Sache macht.


    Fazit: Dieser Roman zeigt mir jedenfalls, dass die Verwendung von historischen Figuren bzw. deren Namen noch keine Garantie ist, dass tatsächlich ein gelungener historischer / Historischer Roman herauskommt.

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  • Gegenfrage: was erwartest Du von einem historischen Roman?


    Ein Roman ist ein Ergebnis des Einfallsreichstums einer Autorin, verbunden mit dem, was sie im Umgang mit Sprache zu leisten imstande ist.
    Das Genre 'historischer Roman' läßt sich nicht eindeutig definieren, es gibt zahlreiche Spielarten.
    Jede Autorin entscheidet selbst, welchen sie Weg sie dabei geht. Wesentlich ist nur, daß die Handlung nicht in der Gegenwart spielt.


    Ich fürchte, Dein Problem mit dem Genre hängt an Deinen Erwartungen.
    Wer Faktenwissen erwerben will über die Vergangenheit, liest keinen Roman. Das gilt auch für jedes andere Thema.
    Man kan Hinweise bekommen, aufmerksam gemacht werden auf etwas, aber man kann sich doch nicht auf etwas verlassen, was in einem Roman steht, wenn man Fakten haben will.


    Vom Roman her gesehen, ist jede Abweichung von historischen Gegegbenheiten, so weit man sie überhaupt kennt, zulässig. Weil einfach eine Geschichte erzählt wird.


    Das eigentliche Problem sind die Erwartungen der Leserinnen. Sie glauben, daß sie via 'historischer Roman' über die Vergangenheit - Achtung - zuverlässig informiert werden.
    Das ist der zugrundeliegende Irrtum, dem Genre immanent.
    Von daher gesehen ist jeder Vorwurf, daß etwas nicht stimmt in historischen Romane, hinfällig.


    Was nicht geht, darin gebe ich Dir recht, ist, wenn eine Autorin behauptet, etwas sei historisch verbürgt, wenn es nicht so ist.
    Aber ansonsten kann jede ihrer Phantasie freiesten Lauf lassen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus