'Als der Himmel uns gehörte' - Seiten 499 - Ende

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  • TJa, ich sitze hier am PC. Eigentlich würde ich jetzt bei Charlie in ihrer Lesung in Bruchsal sitzen. Aber ich bin dermaßen zugegrippt, inkl. Antibiotika, dass ich von der Veranstaltung vermutlich wenig mitbekäme, die Lesung ständig mit Hustenattacken unterbrechen und alle anstecken würde.


    Stattdessen habe ich heute Nachmittag dieses wunderschön traurige Buch ausgelesen und schreibe jetzt meine Gedanken dazu.


    Hannes ist der Vater von Fred ... da hast du mich ganz schön kalt erwischt, Charlie. Bei aller Schwäche, die an Hannes erkennbar war, hätte ich nicht gedacht, dass er das wirklich durchzieht. Dass er nicht in Betracht gezogen hat, dass es sein Sohn gewesen sein könnte, glaube ich nicht - aber Hannes' Mittel der Wahl war sowieso immer, wie Loki die Scheuklappen aufzusetzen und zu überleben. Das meine ich absolut wertfrei, weil ich es, je länger mich mit der Zeit befasse, immer besser nachvollziehen kann. Dieses entsetzliche Regime hat es in so wenigen Jahren geschafft, ein Volk voller solcher Menschen heranzuzüchten. Wobei da meines Erachtens auch alles davor eine Rolle spielte ... das autoritäre Kaiserreich, die junge Weimarer Demokratie, die so unglücklich scheiterte. Ob das in dem Ausmaß heute noch möglich werde? Auch wenn ich bei den Äußerungen mancher Menschen immer auf's Neue Angst und Ekel verspüre, möchte ich mir gerne einreden, dass wir heute zu aufgeklärt sind, zu viel wissen und zu lange Demokratie erlebt haben, um nochmal so extrem untergebuttert zu werden.


    Rassisten, Faschisten und andere Gestalten werden wir nie loswerden - die Frage ist, ob wir als große Masse dagegen bestehen können und verhindern können, dass es wieder geschieht. Und gerade dafür, für's Verhindern, sind solche Bücher wie deins, Charlie, so unheimlich wichtig. Denn nur, wenn wir wissen, was damals alles schief gelaufen ist, welche natürlichen allzu menschlichen Reflexe die Menschen dazu getrieben haben, mitzulaufen, wegzusehen, wegsehen zu wollen, dann können wir vielleicht zumindest bei uns für die Zukunft so etwas verhindern.


    Hannes stirbt an der Front ... hat er also doch noch den Mut gefunden, nein zu sagen? Hat er den Schutz von Giselher abgelehnt und sich für die Front entschieden. Ich fände es irgendwie tröstlich ... bei allen falschen Entscheidungen, die Hannes getroffen haben mag, hat er doch in dieser bittersten Stunde seinen Mumm gefunden.


    Giselher ... er ist wohl die konsequenteste Figur im Buch, von A bis Z. In dem Moment, in dem er Viola heiratet, ist sein ganzes Streben darauf gerichtet, sie zu schützen. Egal, was er deshalb opfern muss, egal, wer dafür über die Klinge springen muss. Er blickt mit offenen Augen auf das, was er tut und was er mitträgt.


    Was wohl aus Giselher geworden wäre, wenn er in eine andere Familie geheiratet hätte? Was für ein Mensch Hannes geworden wäre, wenn er ein anderes Elternhaus gehabt hätte? Oder was wäre er für ein Mensch geworden, wenn er Albi nie getroffen hätte? Die Fragen treiben mich extrem um.


    Mit James bin ich erst in den letzten beiden Abschnitten warm geworden - ich hab angefangen, ihn zu mögen, als er nicht mehr im strahlenden Sonneschein stand, als ihm mal der windgepeitschte Regen ins Gesicht klatschte und er in der Kälte gezittert hat. Das mag unfair sein, aber es geht mir wohl wie Albi - ich habe eine Weile gebraucht. Dafür mag ich ihn jetzt wirklich von Herzen gerne, und ich freue mich darauf, das Buch nochmal zu lesen, jetzt mit dem Wissen um all meine Helden und Antihelden.


    Jennifer ... ich glaube, dass sie bei den olympischen Spielen eine tolle Rede gehalten hat. Und eine Medaille gewonnen hat. Ob Gold, weiß ich nicht, aber sie hat es auf jeden Fall ins Ziel geschafft. Und ich hoffe, dieser wundervolle Ire, von dem ich so gerne noch viel mehr gelesen hätte, hat das Buch geschrieben.


    Charlie, das ist mein bisher liebstes Buch von dir. Ich habe noch einiges offen, unter anderem Hatti, aber für mich hat es in keinem Buch so sehr gemenschelt wie in diesem. Was für tolle Charaktere, die so herrlich grau sind - nicht schwarz oder weiß -, die Fehler machen, sich entsetzlich dafür schämen, ihren Weg gehen, egal in welcher Richtung.


    Danke für das Buch und die LR, Charlie!

    SUB 220 (Start-SUB 2020: 215)


    :lesend Susanne Michl u. a. - Zwangsversetzt. Vom Elsass an die Berliner Charité. Die Aufzeichnungen des Chirurgen Adolphe Jung (1940 - 1945)

    :lesend Antonio Iturbe - Die Bibliothekarin von Auschwitz

    :lesend Anthony Doerr - Alles Licht das wir nicht sehen (Hörbuch)

  • Vielen Dank fuer Deine schoen beschriebenen Eindruecke, Susannah.
    Ich freue mich, dass Dir das Buch gefallen hat.


    Die Frage, wie es moeglich war (und wieder sein kann), so ein Volk "heranzuzuechten", treibt mich mein ganzes Leben um und wird das auch weiter tun. Unterhaltungsromane sind natuerlich nicht dazu geeignet, Antworten zu liefern, und wenn ich Antworten wuesste, wuerde ich was anderes damit tun, als Unterhaltungsromane schreiben, aber ich bin sehr dankbar, dass ich darueber Geschichten aufschreiben und auf diese Weise gedanklich staendig damit beschaeftigt sein kann.


    Noch einmal vielen Dank fuers Mitlesen und Kommentieren.
    Herzlich,
    Charlie

  • Ich habe gestern auch fertig gelesen. Das letzte Teil hat es wirklich in sich Es geht über Jahre.
    Alberta läuft den ganzen Weg von Aurich (lach, ich lese gerade auch die Ostfriesenkrimis von Klaus-Peter Wolf die in Aurich spielen) bis Berlin. Und das hochschwanger. Die Namensgebung von Kalli/Culli ist gelungen!
    Hannes und Giselher bleiben im Krieg. Hannes mochte ich ab der 2. Hälfte des Buches eh nicht mehr. Dass er Freds Vater war, habe ich mir gedacht. Das Aussehen passte.
    James mochte ich am liebsten.
    Jennifer und Gregory übernehmen die Stiftung der Paralympics. Schön.
    Obwohl ich manchmal denke, die Technik geht einfach zu weit. Dass die Leute Wettkämpfe abliefern können erfreut mich aber was die Technik in der Orthopädie vollbringt, ob das immer so gut ist? Können sie noch persönliche Leistungen erbringen?

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Wer hätte gedacht, dass Jette Sabottke mir das Wasser in die Augen treibt. An der Bushaltestelle! Aber als Albi da vor dem Haus steht und sich die Tür öffnet und es schon anfängt mit "La palome ohe!", da wars dann aus, da musste ich erst mal schneuzen. Als Onkel Ludger die Treppe runterkam ein zweites Mal. Diese unwirkliche Freude von Albi hat sich da wirklich sehr gut übertragen. Aber als es dann hieß, alle sind da... da hatte ich schon das Gefühl, dass da noch was kommt. So viel Glück zu dieser Zeit...?
    Ich hatte angenommen, dass es nur Fred war, der Albi zum Behindertensport gebracht hat, an James hätte ich nicht gedacht. Der vom Leben verwöhnte Schlingel...
    Es hat sich offenbart, was für einen großen Charakter er letzten Endes hat. Er will nicht schlecht über jemanden sprechen, selbst wenn er um dessen Verfehlungen weiß und er war immer bereit alles zu geben und zu riskieren für die Frau die er liebt.


    Ich fand die Schilderung von Albis "Innenleben" in Kapitel 63 sehr gelungen. Es war für mich der Kreis der sich schließt, von Los Angeles bis zu diesem Zeitpunkt. Dass Albi damals noch nicht bereit war zu erkennen, dass sie es mit einem ebenbürtigen Mann aufnehmen kann und keinen nehmen muss, nur weil er sie "braucht". Gerade sie ist über diese Jahre sehr innerlich gereift zu der Person, die sie schließlich in England ist.


    Und irgendwie hab ich um jeden, den es erwischt hat auch ein Stück weit getrauert. Um Hannes, der als er endlich die Courage fand für seine Überzeugung einzustehen mit dem Leben bezahlen musste. So "praktisch" es für Albi war (wie wäre es weitergegangen hätte er überlebt? Ich weiß, sie waren geschieden, aber irgendwie hat sie sich ja ihm immer noch auf eine Art verpflichtet gefühlt). Für den jungen Springinsfeld der James einmal war. Auch wenn er sicher in den Jahren mit Albi das Beste aus seinem Leben gemacht hat. Und schließlich, ja, auch um Mehring. Er hat ein Versprechen gegeben, und er wird es halten. Er hat geliebt und war bereit, alles für diese Liebe zu tun. Wenn er glaubt, seine Frau und seine Kinder wären ohne ihn besser dran, zögert er nicht sich das Leben zu nehmen. Er fragt sich sogar noch, warum sie nicht einfach ausgewandert sind. Aber diese Frage kommt zu spät.
    Ich trauere um die Menschen, die sie alle hätten sein können, wenn dieses Regime nicht über Deutschland gekommen wäre. Es sind nur Figuren in einem Roman, aber sie stehen exemplarisch für so schrecklich viele...


    Die Geschichte um Albi mit dem Bogen, ihre Familie und ihre Lieben hat mich sehr beeindruckt und Spuren hinterlassen. Dagegen muss ich leider sagen, sind Jenny und Gregory tatsächlich etwas blass gelieben. Sie dienten als Rahmen für Albis Geschichte und haben uns eine Möglichkeit geboten zu sehen, wie Albis Leben weiter verlaufen ist, sie selbst allerdings sind mir doch eher fremd geblieben. In diesem Zeitstrang war Abe eigentlich derjenige, den ich am liebsten mochte und der für mich eine richtige Figure "aus Fleisch und Blut" war.


    Ich lasse jetzt erst mal sacken, lese die anderen Kommentare... und irgendwie hab ich grad große Lust einen Hans Albers-Film zu gucken. "Der Mann der Sherlock Holmes war" fand ich ja wirklich toll.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von Paradise Lost
    Ich trauere um die Menschen, die sie alle hätten sein können, wenn dieses Regime nicht über Deutschland gekommen wäre. Es sind nur Figuren in einem Roman, aber sie stehen exemplarisch für so schrecklich viele...


    Ich finde, besser kann man es nicht ausdrücken. Das ist auch das, was mir immer und immer wieder den Knoten und die Brust treibt. Und dir, Charlie, ist das ganz besonders gelungen. Und das meine ich rundum positiv, denn solche Geschichten müssen weh tun, müssen schmerzen und aufwühlen. Das sind wir der Sache irgendwie schuldig.

    SUB 220 (Start-SUB 2020: 215)


    :lesend Susanne Michl u. a. - Zwangsversetzt. Vom Elsass an die Berliner Charité. Die Aufzeichnungen des Chirurgen Adolphe Jung (1940 - 1945)

    :lesend Antonio Iturbe - Die Bibliothekarin von Auschwitz

    :lesend Anthony Doerr - Alles Licht das wir nicht sehen (Hörbuch)

  • Zitat

    Original von Paradise Lost


    Ich trauere um die Menschen, die sie alle hätten sein können, wenn dieses Regime nicht über Deutschland gekommen wäre. Es sind nur Figuren in einem Roman, aber sie stehen exemplarisch für so schrecklich viele...


    Der Satz freut mich.
    So waren sie gedacht und ausgesucht.


    Ich gebe mal zu, dass ich um Menschen wie diese mein Leben lang wenig oder eher nicht getrauert habe, ich hatte dazu nie Ressourcen frei, weil mir die Trauer um die Ermordeten den Atem nahm und nimmt und weil, solange ich jung war, auch das Beduerfnis nach einer eindeutigen Trennung in Taeter und Opfer, die mir im Rest vom Leben eher fremd ist. Ich hab das Beduerfnis immer noch oft, mir ist nur (ein bisschen) klarer, dass wir damit nicht allzu viel weiter kommen. (Was NICHT heissen soll, dass ich Versoehnungsgesten wie der gerade allerorten diskutierten das geringste abgewinnen kann - aber das ist ja eine ganz andere Schiene des Themas. Und wie schon oft gesagt, das ist hier auch nicht der Ort, um darueber zu diskutieren, finde ich.) Ich tue mich auch mit der Trauer und der Empathie weiterhin schwer, die ist noch immer ganz auf der anderen Seite. Aber "alles begreifen heisst bescheiden sein", mag ich gern.


    (Jette Sabotke und Abe waren meine Lieblingsfiguren, aber das nur nebenbei.)


    Schoen, dass du es zumindest partiell gern gelesen hast, Paradise Lost.


    Vielen Dank fuers Lesen und Kommentieren.
    Charlie

  • Ich habe das Buch gestern beendet und bin auch noch immer ganz überwältigt. Das Ende war so schön und traurig zugleich.


    Mich hat es auch schockiert, dass Hannes seinen eigenen Sohn in diese "Betreuungsanstalt" geben wollte. Aber es ist sicherlich die Frage des Wissens, des Wissenwollens, des Nicht-Wissenwollens und des Nicht-Wissens.


    Das James nicht heil aus der Nummer rauskommt, war mir irgendwie klar und es ist so viel realistischer, als wenn alles "Heile Welt" wäre.


    Bei Alberta habe ich gedacht "besser spät, als nie" uns allen war es ja schon vorher klar, doch sie selbst hat sehr laaange gebraucht, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Gefreut hat es mich das James und sie noch einige Jahre miteinander verbringen konnten.


    Meine Lieblingsfiguren waren Abe und James.


    Vielen Dank für die Begleitung, Charlie, Rezension folgt am Wochenende :wave

  • Hier sind dann jetzt wohl alle durch, ich mache also das Licht aus und bedanke mich bei Euch allen fuer die schoene Leserunde, die mir viel Spass gemacht hat.


    Falls es noch Fragen, Bemerkungen, Kritik oder sonstwas gibt, schreibt mir doch bitte eine Mail unter charlie@charlotte-lyne.com.


    Beantworten werde ich die aber erst in zwei Wochen und bitte dafuer um Verstaendnis.
    Zum ersten Mal will ich mit einem Roman auf dem Endspurt ganz allein sein, keine andere Arbeit, keine anderen Themen und schon gar nicht andere Geschichten. Ich freu mich so, dass meine grandiose Familie, mein grandioser Arbeitgeber und mein grandioser Verlag mir das schenken.
    Wir fahren dann jetzt mal weg, mein Ararat und ich, offiziell zur letzten Recherche (stimmt wirklich!), inoffiziell, damit ich, wenn meine schoenste Affaere vorbei ist und ich ihn gehen lassen muss, wenigstens sagen kann: We'll always have Paris.


    Macht's euch nett, bleibt nicht zu anstaendig und lasst euch demnaechst froehlich wiederlesen.


    VIELEN DANK!
    Herzlich,
    Charlie mit Mandi und Ararat

  • Entschuldigt, wenn ich im Dunklen hier noch herumtapse, aber ich hab mich jetzt wochenlang mit dem Buch und der damit verbundenen Leserunde beschäftigt, dass ich es noch zum Abschluss bringen möchte. Auch wenn ich zugegebenermaßen sehr spät dran bin.


    Mich wundert, dass so viele das Ende als traurig empfunden haben. Das finde ich nämlich überhaupt nicht! Klar, es ist keine rosarotes Zucker-Ende, aber so eins würde dem Buch auch nicht gerecht. Und es geht sehr viel sehr gut aus! Zunächst Albertas abenteuerliche Reise mit Fritz und Ludger an die Nordsee und James wahnwitzige Rettungsaktion. Dann überleben alle ihrer Familienangehörigen den Krieg. Alle, außer Hannes, doch für ihn gab es wohl kein anderes passendes Ende. Drei sind einer zu viel in einer Beziehung und so war klar, dass nur zwei miteinander glücklich werden können. Und das tun Alberta und James in England, zwar mit Schwierigkeiten, aber sie finden zueinander. Ganz unversehrt rauskommen wäre wohl sogar für Glückskind James zu viel gewesen. Aber ich finde es toll, dass die beiden aus der Situation letztlich das Beste machen und literarisch die Paralympics gründen. Dass James etliche Jahre später stirbt, hat mich nicht gestört. Da ganz am Anfang erwähnt wurde, der Mann Albertas sei früh gestorben, habe ich mit einem so langen Zusammenleben überhaupt nicht mehr gerechnet. Ich war also positiv überrascht!


    Zitat

    Original von ginger ale
    Dass Albi nicht mitgekommen ist, hat mir -, wie vielen anderen hier - natürlich gar nicht gefallen.


    Die Entscheidung von Alberta, in Deutschland zu bleiben, ist sicherlich dumm, aber für sie wohl nur folgerichtig. Ich glaube, sie hätte immer das Gefühl gehabt, Deutschland und ihre Familie im Stich zu lassen. Alberta hat viel mit sich gehadert, weil sie vieles, was in ihrem Land vorgeht, nicht rechtzeitig mitbekommen hat. Für sie wäre es wohl wie ein Verrat gewesen, wäre sie vorzeitig geflüchtet. So musste sie diesen Weg gehen. Gefährlich, aber für sie wohl unvermeidlich, wenn sie sich noch weiterhin in die Augen schauen will. Alberta ist nun erwachsen geworden und möchte die Verantwortung (auch für ihr Land) übernehmen.


    Albertas Beispiel hat wunderbar gezeigt, wie man als ganz normaler Mensch in die Mühlen des NS-Regimes kommen konnte und wie sie sich in einem abenteuerlichen Befreiungsschlag daraus befreite. Es zeigt Möglichkeiten, die jeder einzelne hat, rauszukommen. Und dass der Druck nur groß genug werden muss, um endlich aufzustehen.


    Zitat

    Original von streifi
    Gisels Figur fand ich im übrigen ganz stark. Er war sich wohl bewusst, was er getan hat, auch wenn es aus Liebe zu seiner Familie war. Dass er sich das Leben genommen hat fand ich da nur konsequent. Der stellte am Ende das Schicksal seiner Familie über sein eigenes Leben.


    Hannes hat dagegen die erst die Familie verraten um selber ungeschoren davon zu kommen. Sogar den eigenen Sohn (wobei ich mir nicht sicher war, ob ihm bewusst war, dass Fritze sein Sohn war.)


    :write So sehe ich das auch und ich bin mit Giselher letztlich eher klargekommen als mit Hannes. Giselher hat sich aufgrund seiner Angst um seine Familie falsch verhalten, aber er wusste zumindest, dass es falsch ist und hat sich am Ende dafür gerichtet (auch wieder, um seine Familie zu schützen). Hannes war einfach nur feig und hat sich immer herausgeredet und die Verantwortung abgeschoben. Und zwar nur um sich selbst zu retten. Natürlich ist es legitim die Frage zu stellen: Was wäre wenn?, aber das kann man immer, bei jedem! Auch bei Gisleher stellt sich die Frage, ob er so gehandelt hätte, wenn er sich nicht von vornherein eingeredet hätte, er sei „Gisel im Pech“ (wobei mich diese ständige Wiederholung genervt hat).


    Ich konnte mit seiner Geschichte lange nichts anfangen, weil mir dieser Nebenstrang so eingeschoben erschien, aber es gehört trotzdem dazu. Weil es nochmal eine andere Facette zeigt, wie man zum Nazi wird, auch wenn man es eigentlich gar nicht will. Die persönliche Ebene zwischen Hannes und Giselher hätte ich nicht gebraucht. Es hätte gereicht, wenn Giselher Hannes als Aushängeschild braucht, ohne diese ganzen Neidgefühle wegen irgendwelcher eingebildeter Vorurteile.


    Fritze war also wirklich Hannes Sohn, zumindest biologisch. Schade, dass dieser feige Hund (Entschuldigung), sich selber, Alberta und Fritz das nie eingestanden hat! So wie ich ihn einschätze, hat er das aber völlig verdrängt und „Schuld“ daran haben ja sowieso die anderen. Gewusst hat er es sicher, aber auch da hat er lieber die Augen und Ohren davor verschlossen.


    Zitat

    Original von beowulf
    Ob Hannes etwas von der Tötungsanstalt Bernburg weis? Urteilt ihr da nicht etwas vorschnell?


    Diese Frage ist für mich nicht relevant. Selbst wenn er es nicht wusste und Fritze dort in guter Obhut wähnte – das ist einfach ein absoluter Vertrauensbruch gegenüber Alberta, der durch nichts zu rechtfertigen oder entschuldigen ist. Dass sie sich danach nochmal mit ihm eingelassen hat, habe ich nicht verstanden. Wenigstens hat sie aber dann endlich erkannt, dass sie ihn nicht ändern kann. Nie.
    Auch für Jennifer hat sich alles zum Guten gewandt. Besonders freut mich, dass für sie jetzt nicht mehr das Gewinnen im Vordergrund steht, sondern die olympische und vor allem auch die paralympische Idee. Sie hat nicht nur ihre Ängste in den Griff bekommen, sondern auch den Sinn ihres Lebens gefunden. Was aus ihrem Leben wird, wie es sportlich und privat weitergeht, wird man sehen.
    Ich bin super zufrieden mit dem Ende, weil es ganz genau meine Wellenlänge trifft! Über die Paralympics hätte ich wahnsinnig gerne mehr gelesen, aber das ist wohl Stoff für ein eigenes Buch!


    Zitat

    Original von Paradise Lost
    Dagegen muss ich leider sagen, sind Jenny und Gregory tatsächlich etwas blass gelieben. Sie dienten als Rahmen für Albis Geschichte und haben uns eine Möglichkeit geboten zu sehen, wie Albis Leben weiter verlaufen ist, sie selbst allerdings sind mir doch eher fremd geblieben.


    Auch ich fand es schade, dass Jennifers Geschichte so untergeht und mehr oder weniger nur der Aufhänger des Buches ist. Das hat sie nicht verdient, allerdings passt neben Albertas Handlungsstrang durch dessen Vielfältigkeit und Komplexität auch wirklich nichts anderes mehr. So schließe ich nun mit vielen neuen Eindrücken und Kopfbildern das Buch ab.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Huhu,
    ich muss mich entschuldigen, ich war ein bisschen schreibfaul hier. Das liegt aber ganz sicher nicht an diesem wunderbaren Buch, das mich sehr berührt hat, sondern daran, dass ich ziemlich viel unterwegs war, nebenbei an meiner Zukunft gebastelt habe (immerhin erfolgreich) und es dann auch unterwegs ohne Laptop in Reichweite beendet hatte.
    Es ist aber vielleicht auch ganz gut, dass ich jetzt schon ein bisschen Abstand habe. Leider bin ich jetzt auch viel zu spät. Naja, selber Schuld. Ich hätte auch was schneller lesen können.


    Zum Schluss ging es mir aber sogar so, dass ich alles auskosten wollte und das Buch nur dann gelesen habe, wenn ich auch in der richtigen Stimmung war. Deshalb, falls du das noch liest: Vielen Dank, lieber Charlie - für das wunderbare Leseerlebnis und die schöne Leserunde, denn die Diskussionen zu den früheren Abschnitten haben mir viel Spaß gemacht.




    Eure Kommentare hier lese ich noch gerne und finde mich in vielen wieder. Ich werde dann wohl noch einiges in die Renezsion packen.



    Eins wollte ich aber noch gesagt haben, auch wenn das Licht schon aus ist: Susannah hat übrigens mein Verhältnis als Leserin zu James sehr schön beschrieben:


    Zitat

    Mit James bin ich erst in den letzten beiden Abschnitten warm geworden - ich hab angefangen, ihn zu mögen, als er nicht mehr im strahlenden Sonneschein stand, als ihm mal der windgepeitschte Regen ins Gesicht klatschte und er in der Kälte gezittert hat. Das mag unfair sein, aber es geht mir wohl wie Albi - ich habe eine Weile gebraucht. Dafür mag ich ihn jetzt wirklich von Herzen gerne, und ich freue mich darauf, das Buch nochmal zu lesen, jetzt mit dem Wissen um all meine Helden und Antihelden.


    So ähnlich geht es mir auch. Ich kann auch im Nachhinein verstehen, dass Charlie meine Haltung zu ihm nicht nachvollziehen konnte und nicht wusste was ich genau meinte. Wenn man die komplette Person schon kennt, dann wirk es natürlich ganz anders.

  • Vorhin beim Altpapier wegbringen, schaute ich in den Container und entdeckte das 1936 vom Cigaretten-Bilderdienst Dresden herausgegebene vollständige Album "Die Deutsche Wehrmacht". Mit Leiter und Grillzange habe ich es gerettet und finde es recht interessant.

    Ich zitiere das Bild 78/ Kavallerie: "Turnierreiter- Was deutsche Soldatenreiterei und das deutsche Pferd zu leisten vermögen, haben wir bei der Olympiade 1936 gesehen. Führend in der Reitkunst ist die Kavallerieschule in Hannover."

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Sowas ist klasse oder, Gucci !?? Ich habe das in blaues Leinen gebundene Olympiabuch von 1936 von meinem Opa. Da habe ich schon früher oft drin gelesen von wg. Jesse Owens und so. Als ich Charlies Buch gelesen habe, war es auch die ganze Zeit präsent :-]

  • Ja, diese alten Zeitdokumente sind toll und wie schön, dass es Liebhaber gibt, die diesen alten Kram zu schätzen wissen.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Zitat

    Original von Gucci
    Ja, diese alten Zeitdokumente sind toll und wie schön, dass es Liebhaber gibt, die diesen alten Kram zu schätzen wissen.


    :write :write und ihn aus dem Müll klauben :-)