Tanja Douglas: Jan Hus-Der Feuervogel von Konstanz

  • Wer sich gegen die katholische Kirche stellte, den erwartete ein interessantes Leben: In ihrem Buch “Jan Hus- Der Feuervogel von Konstanz” zeichnet Tania Douglas das Leben des frühen Kirchenreformers Jan Hus nach.


    Über große Teile des Buches arbeitet die Autorin den zentralen Konflikt zwischen dem Glauben Hus' und der dominierenden Amtskirche heraus. Hus predigte eine Rückbesinnung auf urchristliche Tugenden. Beispielsweise prangerte er den immensen Reichtum der Kirche an, und er hielt die Bibel für die alleinige Autorität, der sich auch der Papst beugen musste. Weiterhin predigte er in der Sprache des Volkes, weshalb er bei den Massen beliebt war. Die Amtskirche und die weltlichen Machthaber sahen allerdings eine Gefahr in ihm, da er nach ihrem Verständnis ein Ketzer war. Der gegen ihn angestrebte Prozess sollte auf dem Konzil zu Konstanz, dessen eigentliche Aufgabe die Überwindung des „großen abendländischen Schismas“, einer Aufspaltung der Kirche unter drei Päpsten, war, seinen Höhepunkt finden.


    Bei ihrer Erzählung hält die Autorin sich, soweit es Jan betrifft, im Wesentlichen an die historischen Fakten. Sie beschreibt seinen Lebensweg, beginnend als heranwachsender Sohn eines Fuhrmanns über die Jahre als Student bis hin zu seiner Tätigkeit als Prediger. Künstlerischer Freiheit hingegen ist die zweite Hauptfigur, Anneschka, entsprungen. Diese beginnt ihr Leben als Pflegekind bei ihrer garstigen Großmutter und lebt, ohne den Grund zu kennen, das Leben einer Ausgestoßenen.


    Die Figur Hus wird glaubwürdig eingeführt, nicht als ultrafrommer Fanatiker, sondern als sympathischer Student, der auch das Leben genießen kann und dessen Geist an neuen Ideen reift und zu eigenen Überzeugungen gelangt, für die er zu kämpfen bereit ist.


    Die weibliche Hauptrolle ist mit Anneschka besetzt. Sie wird als fromme Rebellin dargestellt, als eine Frau, die aufgrund ihrer Herkunft angefeindet wird, sich aber nicht unterkriegen lässt. Sie erleidet immer wieder Schicksalsschläge, die sie erstaunlich gut wegsteckt. Ihre Beziehung zu Jan ist kompliziert und hätte, bei umgekehrten Geschlechtern, auch einem mittelalterlichen Minnesang entspringen können. Die mit ihr eingeführte emanzipierte Frau wirkt teilweise wie ein Anachronismus, sie passt nicht in die Zeit: Zum einen ist sie als Frau an keinen Mann gebunden und zum anderen lebt sie trotz ihrer Herkunft zwar am Rande der Gesellschaft, aber nicht völlig verarmt, sondern selbstbestimmt. Hier wird ein eher modernes Frauen- und Menschenbild in eine Umgebung transferiert, in der es fehl am Platz und damit unrealistisch wirkt. Das Geheimnis um ihre Herkunft wird zwar aufgeklärt, aber hier greift die Autorin, und das ohne Not, zu einem arg konstruierten deus ex machina, der dem Leser ein zumindest gedachtes „Ja, klar!“, entlocken dürfte. Die Handlung hätte auch ohne funktioniert.


    Insgesamt entwirft die Autorin ein lebendiges Bild Prags im fünfzehnten Jahrhundert und beschreibt lebhaft den Mikrokosmos einer mittelalterlichen Universität. Dabei zeichnet sie markante Charaktere und schafft es, auch den Bösewicht, der die Macht der Kirche personifiziert, als mehrdimensionales, menschliches Individuum darzustellen und seine Handlungen und Motive plausibel zu machen.


    Insgesamt hat Douglas einen soliden historischen Roman vorgelegt, der eine spannende Episode in der Geschichte des Abendlands erzählt.

  • Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)
    Zum 600. Jahrestag des Konstanzer Konzils und der Hinrichtung des Reformators Jan Hus: Jan Hus ist Europäer der ersten Stunde und ein Brandzeichen im Fell unserer Geschichte. Und Tania Douglas eine Meisterin der Textur. Hier reichen sich fesselnde Unterhaltung und feinst recherchierte Historie glücklich die Hand. "Jan Hus, der Feuervogel von Konstanz" ist eine romanhafte Biografie des großen tschechischen Reformators. Vor der Kulisse der Kirchenspaltung und der politischen Unruhen, die Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts ganz Europa erschütterten, hat die Autorin Tania Douglas Historie mit Fiktion verknüpft. So ist das spannende Porträt eines faszinierenden, wortgewaltigen, aber auch warmherzigen Reformators entstanden, der bis zur Selbstaufgabe gegen die damaligen Missstände der katholischen Kirche ankämpfte und Martin Luther zum Wegbereiter wurde.


    Autorin (Quelle: amazon)
    Tania Douglas, Jahrgang 1969, ist in Deutschland geboren und in Frankreich aufgewachsen. Sie schreibt seit fünfzehn Jahren historische Romane, in denen sie immer wieder die Spannungen zwischen weltlicher und religiöser Macht thematisiert. 2012 ist sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn in die Nähe des Bodensees gezogen. "Jan Hus, der Feuervogel von Konstanz" ist ihr viertes Werk.


    Allgemeines
    Erschienen als HC mit 720 Seiten im Fontis Verlag am 1.Februar 2015
    Gliederung: Personenverzeichnis - drei Hauptteile in insgesamt 26 Kapiteln mit Zeitangaben - Epilog - Historische Bezüge (Nachwort) - Glossar - Quellennachweise (Bibliographie)
    Erzählung in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven
    Handlungsorte und -zeit: Verschiedene Orte in Böhmen und Deutschland, 1378 - 1415


    Zum Inhalt
    Der Roman zeichnet in drei Hauptteilen das Leben des tschechischen Reformators Jan Hus von seiner Kindheit in Husinetz über seine Ausbildung an der Lateinschule in Prachatitz, sein Studium am Karlskolleg und sein anschließendes Wirken als Prediger in der Bethlehemskapelle in Prag bis zu seiner Inhaftierung und Verurteilung wegen Häresie in Konstanz nach. Wo die Quellenlage dünn ist (Jans Elternhaus und Kindheit), verwebt die Autorin Fiktion mit den Fakten. Auch Aneschka, eine angeheiratete Verwandte, mit der Jan in lebenslanger tiefer Freundschaft und (fast ausschließlich) platonischer Liebe verbunden ist, ist eine fiktive Figur. Fast alle anderen wichtigen Persönlichkeiten des Romans sind jedoch historisch.


    Beurteilung
    Im Fokus dieses Romans steht nicht nur die Persönlichkeit des Jan Hus, sondern auch die kirchenpolitische Situation am Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert, die vom Kirchenschisma (1378 -1417) geprägt ist.
    Als Student wird Jan Hus mit den Schriften des englischen Reformators Wyclif(f) vertraut gemacht, die ihn begeistern. Jan nutzt seine Aufgabe als Prediger in der Bethlehemskapelle, um reformatorisches Gedankengut unter das Volk zu bringen, sind ihm die Missstände in der Katholischen Kirche doch schon lange ein Dorn im Auge. Die Darstellung der etablierten Kirche und der Versuche, Reformen einzuleiten, wird ausgezeichnet recherchiert präsentiert. Die Machthaber der Amtskirche werden in ihrer Macht- und Habgier, in ihrem von Völlerei, Unzucht und Verlogenheit geprägten Lebenswandel lebendig dargestellt. Jans Predigten gegen den Ablasshandel und den Verkauf von Reliquien stoßen bei diesen nur am eigenen Profit orientierten "Christen" auf erbitterten Widerstand, auch sein Vorgehen, den einfachen Leuten in der tschechischen Volkssprache zu predigen, stößt auf Unverständnis.
    Die fiktive Figur der Aneschka, die Jan von der gemeinsamen Kindheit bis zu seinem Tod verbunden bleibt, erlaubt in ihrem Umfeld - sie ist als uneheliches Kind sozial sehr engagiert und betreibt eine Schule für die Kinder der gesellschaftlichen Außenseiter - dem Leser einen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit. Außerdem gelingt es Tania Douglas, Jan Hus in seiner Beziehung zu Aneschka nicht nur als in geistlichen Sphären wandelnden Reformator, sondern auch als Menschen aus Fleisch und Blut darzustellen. Insgesamt besticht der Roman durch eine glaubwürdige Charakterisierung der Romanfiguren ohne unangemessene Schwarzweiß-Malerei.
    Der Sprachstil ist flüssig, anschaulich und der geschilderten Epoche gut angepasst.
    In ihrem Nachwort "Historische Bezüge" klärt die Autorin über den Anteil an Fiktion auf und informiert außerdem über das weitere Schicksal der wichtigsten historischen Persönlichkeiten.
    Die bibliographischen Quellennachweise runden diesen sehr lesenswerten Roman ab und laden zur vertiefenden Lektüre ein.


    Fazit
    Ein komplexer, sehr informativer Roman, der den böhmischen Reformator Jan Hus zum 600. Jahrestag seiner Hinrichtung angemessen würdigt und dem historisch interessierten Leser fesselnde Lesestunden beschert. Ein Buch, für das man sich Zeit nehmen sollte!
    10 Punkte