Tam Lin und Thomas the Rhymer sind zwei alte schottische Balladen, die beide davon erzählen, wie zwei Männer aus dem Reich der Feenkönigin zurückkehren. Der eine wird unter höchster Gefahr von einer Frau zurückgeholt, die ihn liebt, der andere kommt mit der Gabe wieder, daß er immer die Wahrheit sagt. Diese beiden Geschichten verbindet Jones zu einem großangelegten, kompliziert gebauten Fantasy-Liebes-Roman.
Polly ist neunzehn und eben dabei, die Koffer zur Abreise zur Universität zu packen, als ein Blick auf ein Bild über ihrem Bett eine Erinnerung auslöst, die sie nicht einordnen kann. Hat das Bild früher nicht anders ausgesehen? Ihre Irritation wächst, als sie zu einem Buch greift, um sich die Wartezeit zu vertreiben, und sie mit einem Mal den Eindruck hat, daß sie das Buch in-und auswendig kennt, das was sie liest, aber nicht mit dem übereinstimmt, woran sie sich erinnert. Beim angestrengten Nachdenken kommt sie darauf, daß es vor allem die letzten Jahre sind, an die sie sozusagen zwei verschiedene Erinnerungen hat, Bilder von sich, die nicht Bildern bzw. Vorstellungen von bestimmten Ereignissen entsprechen. Ein Teil ihres Gedächtnisse scheint zudem leer. Polly grübelt.
Erzählt wird die Geschichte in der Rückschau. Es beginnt mit der neunjährigen Polly, die an Halloween beim Spielen aus Versehen in das Herrenhaus des Orts gerät, ausgerechnet bei einer Trauerfeier. Gerettet wird sie von einem sehr jungen Mann, Thomas Lynn. Gemeinsam spazieren sie durch den spätherbstlichen Garten, der sich als Ort voller seltsamer Dinge entpuppt. Seltsam bleibt ihre Beziehung auch über die nächsten Jahre. Hin und wieder treffen sie sich, häufiger schreiben sie Briefe. Auf Pollys Vorschlag hin denken sie sich gemeinsam eine wilde Heldengeschichte mit viel Magie aus, die allerdings an realen Orten spielt. Bei ihren Treffen suchen sie aus Spaß den einen oder anderen Ort auf. Erstaunt und erschrocken stellen sie fest, daß das, was sie sich ausgedacht haben, tatsächlich stattgefunden hat. Und allmählich kommt Polly hinter das eigentliche Geheimnis von Thomas und seinem Leben.
Jones legt ihre Geschichte sehr breit an. Pollys Entwicklung, ihr Aufwachsen mit einer psychisch kranken Mutter, ihr Kampf um Selbständigkeit und ihre Suche nach Zuneigung und Liebe vom Kind über Teenager bis zur jungen Frau nehmen viel Raum ein. Das Buch ist durchaus als Entwicklungsroman zu lesen. Thomas, der junge Cellist, und die Feenwelt, in die er verstrickt ist, nehmen nur langsam Gestalt ein, sie wachsen in die Geschichte hinein und ranken sich allmählich um Polly, die lange nicht merken will, worauf sie gestoßen ist. Das ist sehr raffiniert gemacht und äußerst spannend zu lesen. Nicht weniges, was gerade passiert, versteht man erst viele Seiten später, noch vor der langen Erklärung in den Kapiteln, die zum Schluß führen.
Helden und Heldenmythen werden immer genannt, durchdiskutiert oder auch zitiert, zum Teil sehr humorvoll. Polly und Thomas schreiben selbst eine Heldengeschichte, die auch erzählt wird. Die Einzelkapitel sind von Zitaten aus der Ballade Tam Lin eingeleitet, die vier Teile des Buchs tragen als Überschrift nicht nur Anagramme des Worts Nowhere – ein wesentlicher Begriff für alles, was mit dem, Feenreich zu tun hat - , sondern auch musikalische Tempusbezeichnungen und das Ende ist dementsprechend die Coda (scherzando).
Auf all das zu achten, macht die Lektüre streckenweise anstrengend, sich von den immer rätselhafteren Geschehnissen einfach mitreißen zu lassen, ist deswegen durchaus verlockend. Das meiste wird am Ende aufgeklärt, zum Teil ein wenig überhastet. Andrerseits ist das eine Geschichte, die ein zweites Lesen (und ein drittes, viertes) durchaus verträgt, es finden sich immer wieder neue Blickwinkel, Zusammenhänge, die man übersehen hat, auch in der Beziehung zwischen Thomas und Polly, die recht vertrackt ist.
Feuer und Schierling ist ein klassisches romantisches Feenmärchen und Heldenepos zugleich, in die heutige Zeit übertragen. Eine magische Liebesgeschichte, eine moderne Liebesgeschichte von zwei einsamen Menschen, die begreifen müssen, wie sehr sie sich brauchen, und daß sie sich anstrengen müssen, um zusammenzukommen.