Erstmals erschienen 1976
In zehn Geschichten beschreibt Wolter das Geschlechterverhältnis der DDR der Siebziger Jahre. Das Bild ist düster. Während ihre Frauenfiguren in der Gegenwart angekommen sind, Kinderaufzucht und Berufstätigkeit organisieren und erledigen, sich weiterbilden, ihr Leben gestalten mithilfe all der neuen Strukturen, die die moderne Gesellschaft ihnen bietet, bleiben die Männer zurück. Sie wirken eingleisig, unflexibel, fern jeder Vorstellung, daß sich etwas ändern kann. Sie sprechen von Liebe, suchen Geborgenheit, meinen aber vor allem das Versorgtwerden. Im männlichen Lebensentwurf kommen selbständige Frauen nicht vor, die Männer wirken altmodischer als ihre Väter, ja selbst Großväter. Neues beunruhigt sie. Frauen sind weniger Menschen an ihrer Seite, als Wesen, derer man sich bedient, weil es immer schon so war. Vor allem sind Wolters Männerfiguren unfähig zur Kommunikation.
Die titelgebende Geschichte gibt auch den entscheidenden Hinweis auf die grundsätzliche Erkenntnis, die die Frauen hier machen. Sie verlieren die Naivität, Unbefangenheit im Umgang mit Männern. Romantik, große Gefühle, echte Zuwendung stehen auf dem Papier, bei der Begegnung mit Männern sind sie nur Worte, blutleer und falsch. Echter Liebe haben Männer nichts zu erwidern, sie können sie nicht qualifizieren. Die Herrschaft zu übernehmen liegt ihnen näher, auf die Idee, das zu hinterfragen, kommen sie nicht. Die Frauen verlieren ihre Illusionen, suchen neue Wege oder hoffen beim Nächsten auf Verständnis. Kommunikation findet tatsächlich nie statt. Den Frauen bleibt Würde und Stolz, aber die Einsamkeit umschließt beide Geschlechter.
Aus der Rückschau liest sich das gleichermaßen aufschlußreich, was den gesellschaftlichen Zustand der DDR jener Zeit betrifft, samt seinen Parallelen zur damaligen BRD, wie aktuell. So weit entfernt sind die Zustände gar nicht.
Die Einblicke in den Alltag sind spannend, nicht alle Geschichten erzählen von den 1970er Jahren, eine, die titelgebende spielt früher, Anfang der 1950er Jahre. Die Ich-Erzählerin kommt nach Berlin, ein Studienplatz wurde frei, weil der, der ihn hatte, ‚für zwanzig Pfennig in die andere Stadthälfte gefahren und dortgeblieben war.‘ Solche Schlaglichter machen neben der literarischen Ausarbeitung die Geschichten besonders interessant.
Es geht nicht nur um junge Frauen, in Frühsommer muß sich eine ältere Frau mit der gewalttätigen Zudringlichkeit eines bis dahin harmlosen Nachbarn auseinandersetzen. Frauen, die bereits Karriere gemacht haben, müssen sich mit der Rolle der Geliebten abfinden, weil der dazugehörige Mann den bequemen Weg vorzieht. Oder weil ihn die Vorstellung, eine emanzipierte Frau an der Seite zu haben, zu sehr erschreckt. Die glückliche Familie ist ein Märchen, nach dem gemeinsamem Tag am Strand mit dem gemeinsamen Kind wird man sich wieder trennen. Zwischen den Geschlechtern haben sich Gräben aufgetan, schon bei den Jugendlichen. (Die Straße)
Es gibt interessante Spiele mit Geschlechteridentität, z.B. in der Erzählung Ich habe wieder geheiratet, in der Wolter es eine gute Zeitlang bewußt in der Schwebe läßt, ob das ‚Ich‘ Mann oder Frau ist, und damit die Leserin auffordert, beide Möglichkeiten durchzuspielen und sich über das jeweilige Ergebnis Gedanken zu machen. Überraschend ist dann das Ende, diese Geschichte ist fast utopisch zu lesen.
Die Geschichten sind auch deswegen reizvoll, weil die Autorin zwar präzise und detailliert beschreibt, aber nicht vorschreibt, sondern der Leserin viel Raum zu eigenen Überlegungen läßt und zum Entdecken.
Erschienen sind die Erzählungen im Aufbau Verlag, wo die Autorin als Lektorin arbeitete, trotzdem war das Thema offenbar eine heikle Angelegenheit, denn Eduard Zak, Schriftsteller und Übersetzer, schrieb ein Nachwort dazu und empfahl die Erzählungen ausdrücklich für ‚männliche Leser‘.
Woran man gleich sieht, wo die Grenzen des emanzipatorischen Bewußtseins damals noch gezogen waren. Auch Frauen waren offenbar ‚Leser‘. Die Schizophrenie des weiblichen Lebens stand noch in voller Blüte. Kein Wunder, daß der Kampf so hart war.