Ein Lied für Jemmie - Adrian Fogelin (14-17 Jahre)

  • Klappentext:


    Justin geht immer dann in „das große Nichts“ über, einen Zustand, in dem er völlig in sich selbst verschwindet, wenn er lieber nicht da wäre, wo er gerade ist.
    Wenn er verdrängen will, dass sein Vater die Familie verlassen hat, sein Bruder jetzt bei der Armee ist und sein bester Freund nur noch Zeit für seine neue Freundin hat. Doch die Leere füllt sich, als er seine Mitschülerin Jemmie besser kennenlernt und Mithilfe ihrer lebensklugen Großmutter in seinem inneren Chaos schließlich ein großes Talent für Musik entdeckt.


    Meine Meinung:


    Justin hat es gerade wirklich nicht leicht: Sein Vater verschwindet auf eine seiner “Geschäftsreisen”. Seine Mutter vermutet, dass ihr Mann ihr mal wieder untreu ist, und schafft es kaum, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen – geschweige denn sich um ihren Sohn zu kümmern. Normalerweise hat Justin in solchen Situationen immer zwei Stützen: seinen großen Bruder Duane und seinen besten Freund Ben. Doch der eine befindet sich in einem militärischen Ausbildungslager und steht kurz davor in den Krieg geschickt zu werden, der andere hat gerade seine erste feste Freundin und eigentlich keine Zeit mehr für Justin.


    Ich lecke rasch über meine Oberlippe und tauche das Gesicht in die Schüssel. Ich tauche mit einem Schnurrbart aus Weizenflocken an meiner Oberlippe auf, wie ein Schnurrbart aus Bienen, und schaffe es endlich, dass sie lacht.
    Mein Grinsen wird breiter und einzelne Körner fallen wieder ab. Mom lacht noch lauter. Sie streckt die Hand aus und drückt meinen Oberschenkel. “Du bist mein Sonnenschein”, singt sie, “mein ganzer Sonnenschein…”
    “Danke für die musikalische Zugabe”, sage ich. Aber irgendwie fühle ich mich müde. Es kostet Kraft, der Sonnenschein für jemanden zu sein. (S. 68)


    Und so versucht Justin ganz alleine, ausstehende Rechnungen zu bezahlen, zu kochen und seine Mutter zumindest für einen kleinen Moment aufzuheitern. Zum Glück gibt es Jemmie, die immer nett zu Justin ist – trotz seines Übergewichts und der pickeligen Haut! Und dann gibt es da noch etwas anderes: die Musik!


    Ich rutsche in die Mitte des Klavierstuhls. Alles für mich! Nur für mich! (S. 61)


    Kann man sich in ein Buch verlieben? Wenn ja, dann bin ich wirklich ganz verliebt in “Ein Lied für Jemmie”. Es ist einfach zauberhaft! Die Autorin beschreibt das Leben und die Gefühle von Justin unheimlich einnehmend und realistisch ohne unnötig auf die Tränendrüse zu drücken. Justin ist ein toller Protagonist und ich habe das komplette Buch über mit ihm gemeinsam gehofft, dass sich Jemmie auf DIE EINE Weise für ihn interessiert. Ich habe mit ihm mitgelitten, wenn Justin mal wieder sein eigenes Leben hintenan stellt, nur um seine Mutter zu unterhalten und aufzumuntern.


    “Ein Lied für Jemmie” ist ein ganz besonderes Buch, das viele Leser verdient. Es erzählt eine berührende Geschichte, die aber durch den Galgenhumor des Ich-Erzählers niemals kitschig wird. Es ist ein Buch, das man gelesen haben sollte. 10 von 10 Sternen!

  • Justin lebt mit seinen Eltern in einer eher ruhigen Wohngegend. Nur bei ihm Zuhause ist es meistens sehr laut, denn seine Eltern streiten. Momentan hat er das Gefühl, dass es keine Zeit mehr ohne Streit gibt. Seine Mom wirft seinem Dad vor, sie auf Geschäftsreise zu betrügen. Aber das stimmt mit Sicherheit nicht. Schließlich hat Dad immer plausible Ausreden, wenn Mom wieder mal etwas findet, was ihrer Meinung nach ein Indiz dafür ist, dass er ihr fremd geht.


    All der Streit zwischen den Eltern führt dazu, dass Justin Mutter in eine Depression abgerutscht ist. Sie liegt fast nur noch auf dem Sofa, meldet sich an der Arbeit krank, wäscht nicht, kocht nicht und sorgt auch nicht für ausreichend Nahrung im Haus. Hinzu kommt, dass Justin Bruder, der Soldat ist, in den Krieg ziehen muss. Eine belastende Situation für alle.


    "Mom kümmert sich wieder etwas mehr um den Haushalt. Sie bringt die Dinge nicht zu Ende, aber sie fängt sie zumindest schon mal an."


    Von all dem soll Jemmie, das Mädchen aus der Nachbarschaft nichts mitbekommen. Auf irgendeine Art mag Justin Jemmie. Wie genau kann er nicht so recht einschätzen. Nicht so, wie sein Freund Ben seine Freundin Cassie mag. Das was die zwei machen ist irgendwie nervig. Mit Jemmie ist es anders. Sie löst eine Melodie in Justin aus. Eine Melodie, die ihm immer im Kopf herum schwirrt und nicht vergessen kann.


    Ich mag die Kombination aus sehr ernster und bedrückender Geschichte und Justins sehr alltäglichen Teenie Problemen, wie Pickel, erstes Date oder wie gehe ich mit einem Mädchen um, damit es mich mag. Die Autorin holt ihn damit in ein Leben, wie es sich für Jungs seines Alters gehört. Zuhause hat er das nicht immer. Dort ist das Eltern-Kind-Gefüge durch die Erkrankung der Mutter verschoben und nicht selten erschreckt es mich, wie sehr die Mutter Justin vernachlässigt, ohne es zu merken.


    "Die Musik begleitet mich auf meinem Nachhauseweg. Es ist wie der Soundtrack meines Lebens als Film. Während ich gehe, verschiebt sich die Melodie wieder nach Moll. Ich mag der Star in dem Film sein, aber es ist ein trauriger Film."


    Schwierige Situationen helfen jedoch auch dabei zu wachsen. Wichtig ist dabei, zu sich selbst zu finden. Kraft zu schöpfen in dem Rahmen, den man hat, um diesen dann zu erweitern. Eine Erfahrung, die nicht nur Justin macht, sondern auch seine Mutter. Jeder auf seine eigene Art und Weise.


    "Ein Lied für Jemmie" ist ein echter Geheimtipp im Jugendbuchgenre. Gefühlvoll und so fein, wie die Melodien, die Justin im Kopf hat, schreibt Autorin Adrian Fogelin von der Zerbrechlichkeit von Familie und Glück und der zarten Gefühle der ersten Liebe.