Mein Vater ist Putzfrau - Saphia Azzeddine

  • Taschenbuch: 128 Seiten
    Verlag: Wagenbach
    2015


    Originaltitel: Mon père est femme de ménage
    Aus dem Französischen von Birgit Leib


    Kurzbeschreibung:
    Eigentlich gibt es nichts zu lachen in der Pariser Banlieue. Paul, genannt Polo, ist ziemlich klein, hässlich, weiß und arm. Seine Mutter klebt krank und bewegungslos vor dem Fernseher, die ältere Schwester sorgt sich um ihre Fingernägel und träumt davon, einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen. In der Schule sind alle cooler als Paul und wenn schon nicht reich, dann wenigstens arabisch, jüdisch oder schwarz. Mit dem Vater, der sich nie beklagt und alle Demütigungen mit geradem Rücken wegsteckt, kann Paul gut reden und schweigen. Von Priscilla erzählt er lieber nichts und auch nicht von Sylvie, die seinen Kopf und seine Hände beschäftigen ... Auch dass er sich längst nicht mehr um den Staub auf den Büchern kümmert, sondern begonnen hat, sie zu lesen, behält Paul vorerst für sich. Saphia Azzeddines erzählt leichthändig und schnell eine liebevolle Vater-Sohn- Geschichte voller Situationskomik und Galgenhumor.


    Über die Autorin:
    Saphia Azzeddine, 1979 in Agadir, Marokko, geboren, zog mit neun Jahren nach Frankreich. Sie studierte Soziologie, verbrachte ein Jahr in Houston, arbeitete als Diamantschleiferin in Genf und etablierte sich dann als Drehbuchautorin und Schriftstellerin.


    Mein Eindruck:
    Mein Vater ist Putzfrau ist ein origineller Roman mit einer Sprache voller Wortwitz!


    Der Roman ist durch die Perspektive und dem Ton des Erzählers geprägt. Paul, genannt Polo, ist ein Junge aus einer unterprivilegieren Pariser Vorstadt, in dem viele Araber und Afrikaner leben. Auch Polos Familie ist zwar weiß, aber arm, der Vater arbeitet als Reinigungskraft, die Mutter ist gelähmt und liegt den ganzen Tag im Bett.


    Polo ist ganz Teil seiner Umgebung. Er geht forsch und ehrlich mit den Bedingungen um. Er liebt seinen Vater, aber es nicht einfach, ihn zu verehren, wenn er als “Putzfrau” arbeitet und die Flure und Toiletten putzt.
    Manchmal begleitet der Junge seinen Vater an verschiedene zu putzende Orte, wie eine Bibliothek oder ein Restaurant.
    Die gemeinsamen Vater-Sohn-Szenen mit ihren Gesprächen sind ausgezeichnet geschildert.
    Das gilt auch für die Szenen in der Schule. Polo ist als Pubertierender manchmal ein frecher Junge und nicht gut in der Schule, aber er ist auch belesen und macht sich viele Gedanken!


    Polos Blick auf die Gesellschaft ist entlarvend, er durchschaut den versteckten Rassismus des Political Correctness.


    Es gibt einige Härten im Roman, die durch die Ironie und den Humor zunächst verdeckt, aber nicht versteckt werden. Manche Passagen sind auch ziemlich derbe.


    Die Autorin hat ihr Buch auch selbst verfilmt und ich hoffe, er läuft irgendwann auch einmal im deutschen Fernsehen.

  • Polo ist vierzehn und fest im Griff der Hormone. Als weißer Franzose ist er fehl am Platz zwischen Schwarzen und Arabern. Außerdem ist er häßlich. Arm ist er auch und seine Schulbildung läßt zu wünschen übrig, ganz schlecht in einem Land, das seine paradiesische Seite nur Schönen, gut Betuchten und Gebildeten zugänglich macht. Und da ist da noch die Sache mit seinem Vater.
    Azzedine schlüpft bei diesem Kurzroman in die Haut eines Jungen im Teenageralter und spricht in seiner Sprache. Der innere Konflikt zwischen ausgeprägter Sensibilität und rotzigem Jungmännergehabe ist überzeugend wiedergegeben. Immer schwankt Paul zwischen Kind und Halberwachsenem, zwischen dem, was er momentan ist, und dem, der er sein will.


    Zentral ist Pauls Vorstellung ist Liebe. Ohne sie gibt es keine Familie, kein Glück, keine Beziehung. Mit recht verzweifelten Maßnahmen versucht er sie in seiner Familie umzusetzen, aber nicht einmal gemeinsame Mahlzeiten lassen sich verwirklichen. Er beobachtet andere, spielt mit dem Gedanken, einer anderen Religionsgruppe beizutreten, dem Islam etwa, oder dem Judentum, weil ihn deren Gebote, die Eltern zu lieben und sich um die Geschwister zu kümmern, anziehen.


    Gegenstand seiner Liebe ist in erster Linie sein Vater und in dieser Beziehung erfährt er zuerst und schmerzhaft, wie schwierig Liebe ist. Sein Vater ist ein freundlicher Mann, aber er ist weder gebildet noch hat er einen angesehenen Beruf. Noch kann er Paul schützen, wenn es nötig ist. Seine Probleme muß der Junge allein bewältigen. Ihn zu respektieren ist schwer für Paul, aber er tut es aus vollem Herzen.
    So begleitet er ihn abends zur Arbeit, hilft ihm, erzählt ihm Geschichten. Am liebsten ist Paul dabei, wenn sein Vater Bibliotheken putzt. Paul mag Bücher. In ihnen findet er schwierige Wörter, Wörter, die Angst machen, wie er sagt, und später lange Zitate, die ihn in seinem pubertären Elend bestätigen.


    Azzedine erzählt keine Geschichte vom armen Jungen, der sich durch die Kraft der Literatur aus seinem Elend befreit. Im Gegenteil. Sie konterkariert das Motiv, entlarvt es, zeigt, wie wenig es taugt. Die Wörter, die Paul lernt, nutzt er, um andere in peinliche Situationen zu bringen, ein erstes Opfer ist seine Schwester, die er nicht ausstehen kann. Die Sätze der Großen der Literatur dienen ihm zur Nabelschau. Zum Vormachen, Simulieren. Betrug überall, auch Paul ist nicht besser.


    Azzedines Paul legt den Finger in jede Wunde der braven bürgerlichen Überzeugungen vom schönen Zusammenleben der Kulturen, vom gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung, von Akzeptanzgehabe, das nichts ist als Rassismus. Literatur und Kunst sind Mittel zum Zweck, sich mit ihnen beschäftigen ist nur die Münze, mit der man sich einkauft in die Welt der Bessergestellten. Diese wiederum verschenken Groschen davon an Arme, etwa, wenn Firmen die Kinder ihrer Niedriglöhner/innen zum Museumsbesuch einladen.


    Zusammen mit dem Thema der Liebe zwischen Vater und Sohn ist Azzedines Roman ein beeindruckender Text. Störend allerdings ist die oft extrem vulgäre Sprache und die vornehmlich sexistische Darstellung der Frauen, auch wenn die gesellschaftlichen Rollen durchaus angesprochen werden.
    Diskussionsstoff schließlich liefert der Schluß, er hat einen bösen Haken.


    Aufschlußreicher und unverblümter Blick auf den Stand der Dinge, hat aber Potential, zwischendurch wegen Derbheit und Sexismus an der Wand zu landen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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