'Ismaels Orangen' - Seiten 250 - 361


  • In dem Abschnitt habe ich auch einen "Hänger" empfunden, aber nachher kommt die Geschichte wieder in Fahrt.


    Und mit den Zeitsprüngen habe ich auch meine Probleme, weil ich manche Entwicklung gar nicht nachvollziehen konnte.

  • Trotz der Zeitsprünge fand ich diesen Abschnitt sehr packend.
    Hajaj zeigt im Leben ihrer Figuren die Momente, wo es kritisch wird. Judit ist ihrem Mann gefolgt, damit er seine beruflichen Möglichkeiten nutzen kann. Nur - genau das kann er nicht. Er will alles oder nichts. Er muss beweisen, dass er kein Bauer ist, er muss ganz an die Spitze. Alles oder nichts - das ist seine Devise.
    Ist es ein Wunder, dass er mit Nichts dasteht?
    Das was er hat, die Liebe seiner Frau und seiner Kinder ist ihm nicht genug. Ganz besonder schlimm fand ich, wie er seine Kinder behandelt und besonders seinen Sohn verletzt.


    Jude ist da ganz anders. Für sie ist ihre Familie ihre Lebensgrundlage - und Salim kündigt sozusagen die Vertragsgrundlage auf. Ich kann verstehen, dass sie ihre Kinder nimmt und nach England zurückkehrt.

  • Zitat

    Original von Bücherfreund


    Dass Jude eine Jüdin ist spielt, glaube ich, nur eine untergeordnete Rolle, für mein Empfinden hätte Salim mit einer anderen europäischen Frau, egal welchen Glaubens, dieselben Probleme, einfach weil er als Araber ganz anders erzogen wurde und eine völlig andere Mentalität hat. Dass sie mit den Kindern heimlich jüdische Rituale abhält, macht es für Rafan nur noch einfacher, Salim zu manipulieren.


    Für mich spielt Judiths Religion bei den Problemen der beiden eine große Rolle. Ich habe Salim als so modern empfunden, dass er den Spagat zwischen Moslem und Europäer sein hinbekommen hätte oder es zumindest seinen Kindern zugetraut hätte, aber Palästinenser und gleichzeitig Jude sein, das ist für ihn unmöglich zu vereinbaren, er hat das Gefühl, wenn sich die Kinder für die Religion der Mutter interessieren, stehen sie automatisch auf der Seite des Gegners.

  • Ich glaube, es ist auch sehr schwer, Kinder religiös zu erziehen, wenn die Eltern zwei so verschiedenen Religionen angehören. Als Jugendliche sind sie sicher in der Lage zu differenzieren und sich für einen Glauben zu entscheiden. Aber die Wurzeln werden ja in der Kindheit gelegt und für kleine Kinder ist das schwer zu verstehen.

  • Für mich ist das große Problem, dass beide das Thema gegenüber den Kindern nicht angesprochen haben und keiner seine Religion wirklich lebt.
    Kinder können das sehr wohl verstehen, dass es Unterschiede gibt. Zumal sie tatsächlich nicht so groß sind, wie uns viele das vormachen wollen.
    Es ist der gleiche Gott und fast alle Geschichten des alten Testaments finden sich in leicht abgewandelter Form auch im Islam. Selbst die religiösen Vorschriften ähneln sich - was zB Speisen angeht, viele hygienische Vorschriften.


    Salim ist da für mich ein Heuchler, der an seinen Kindern auslässt, dass er sich seiner Identität nicht sicher ist. Er ist weder ein "richtiger" Araber noch ein Engländer. Er ist ein Dazwischen und damit kommt er nicht zurecht.
    Wie will er da seinen Kindern eine arabische Identität vorleben?


    Diese grundlegende Frage, dass beide Ehepartner ihre eigene Identität leben dürfen, ohne dass sich der andere bedroht fühlt, das konnten Salim und Judit nicht klären.
    Nur solange sie diese Frage außen vor lassen konnten, konnte ihre Ehe gutgehen.

  • Da muss ich dir recht geben. Salim ist wahrhaftig niemand, der seinen Kindern den Glauben nahe bringen kann. Er weiß selbst nicht so genau, wohin er gehört. Und so wirkliches Interesse hatte er ohnehin nicht an seinen Kindern.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Salim ist da für mich ein Heuchler, der an seinen Kindern auslässt, dass er sich seiner Identität nicht sicher ist. Er ist weder ein "richtiger" Araber noch ein Engländer. Er ist ein Dazwischen und damit kommt er nicht zurecht.
    Wie will er da seinen Kindern eine arabische Identität vorleben?


    "Heuchler" hätte ich vielleicht nicht so scharf formuliert, aber meine Gedanken gingen in eine ähnliche Richtung. Ich glaube nicht, dass es Absicht, ja, nicht einmal, dass es bewusst ist. Das ist eben eine der möglichen Folgen, die der politische Konflikt mit sich bringt.
    Einen Vorwurf kann man mE nur insofern anmelden, dass es bei anderen in ähnlicher Situation eben nicht zu solchen Folgen kam... :gruebel

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)


  • Heuchler finde ich auch etwas hart ausgedrückt, aber ansonsten gebe ich dir da recht.
    Ich denke, dass hier auch ein Teil von Marcs Problemen liegt, sein Vater hat ihm dieses zwischen den Welten stehen quasi vererbt, kann ihm aber nicht beibringen damit umzugehen, weil er es ja selbst nicht schafft.

  • Ich hätte den Begriff "Heuchler" auch nicht verwendet, wenn mich die Szene, in der Salim seiner Frau vorwirft, ihm die Kinder zu entfremden und nicht gut genug dafür zu sorgen, dass sie arabisch lernen, nicht so arg geärgert hätte.
    Da hätte ich ihm gern an den Füßen genommen und ordentlich durchgeschüttelt.....symbolisch gesprochen.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Trotz der Zeitsprünge fand ich diesen Abschnitt sehr packend.
    Hajaj zeigt im Leben ihrer Figuren die Momente, wo es kritisch wird. Judit ist ihrem Mann gefolgt, damit er seine beruflichen Möglichkeiten nutzen kann. Nur - genau das kann er nicht. Er will alles oder nichts. Er muss beweisen, dass er kein Bauer ist, er muss ganz an die Spitze. Alles oder nichts - das ist seine Devise.
    Ist es ein Wunder, dass er mit Nichts dasteht?
    Das was er hat, die Liebe seiner Frau und seiner Kinder ist ihm nicht genug. Ganz besonder schlimm fand ich, wie er seine Kinder behandelt und besonders seinen Sohn verletzt.
    ...


    Ich finde auch, dass Hajaj gut daran getan hat, nur die "Krisen" der Familie zu beleuchten. Auch wenn man sich dann einiges dazudenken muss. So wird aber die Entwicklung der Figuren dramatisch deutlich.
    Sicherlich war Salims Weg schon vorgezeichnet. Dazu dient ja auch das Symbol des Orangenbäumchens. Selbsterfüllende Prophezeiung, sozusangen. Ähnlich wird Marcs Lebensweg verläufen, glaubt man der Symbolik.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
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    Jude ist da ganz anders. Für sie ist ihre Familie ihre Lebensgrundlage - und Salim kündigt sozusagen die Vertragsgrundlage auf. Ich kann verstehen, dass sie ihre Kinder nimmt und nach England zurückkehrt.


    Ich weiß nicht, ob Judit so viel anders ist. Sie ist stiller, nicht so zornig wie Salim. Aber auch sie hat in der Ehe die Sprache verloren. Beide setzen sich nicht mehr auseinander, beide sprechen nicht darüber, welche Richtung sie in der Erziehung der Kinder einschlagen wollen. Salim spricht nicht über die Demütigungen, die er erfährt. So entfremden sie sich.
    Sicherlich ist es von Salim grundlegend falsch, sich für Rafans dunkle Geschäfte zu entscheiden und sich von seiner gekonnten Rhetorik einlullen zu lassen. Ich musste beim Lesen daran denken, dass es auf diese Tour betsimmt den Salafisten gelingt, Jugendlich für sich zu werben. Da müsste Salim intelligenter sein und seine Verletzungen vergessen.
    Aber Judits Heimlichtuerei bezüglich der Schule musste ja nach hinten los gehen. Das war auch nicht richtig und hat Salims Entscheidung begünstigt.
    Traurig, was aus der starken Liebe geworden ist.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • ich finde auch das es sich sehr traurig entwickelt hat, vorallem für die Kinder und für Marc besonders :-(


    Das größte Problem Jude und Salime reden nicht miteinander. Ich denke die Familie wäre in England besser aufgehoben gewesen und hätte da auch ihren Platz im Leben gefunden.
    Salim ist so aus der Bahn geworfen dass er sich der konsequenzen seines Handelns gar nicht mehr bewußt ist. Durch den Drang seinen Kindern Wurzeln, nämlich arabische zu geben damit sie sich nicht so zerrissen und verloren fühlen wie er, hat er aber übersehen das sie arabisch und englisch sind. Das da auch zwei Lebensweisen und zwei Religionen verbunden werden wollen. Das merkt er in seinem Drang überhaupt nicht und das weniger meistens mehr ist :-(. Jude hat vieles zurück gestellt auch das bemerkt er nur eher oberflächlich. Sie hätten den Kindern beide Religionen nahebringen können und dabei festgestellt das ja doch alles aufs selber hinausläuft. Ihre Kinder haben eigentlich wurzeln in der Familie.
    Salim kann leider nicht loslassen und die Demütigungen die er durchmacht würden jeden Menschen ein Stück weit verbittern lassen. Für Rafan ist Salim ein Gebrachsgegenstand den er mit dem Köder *Familie* immer wieder ein Stück weit auf seine Spur bringt, leider :-(


    Jude hätte den Umzug nach England nicht heimlich vollziehen dürfen den damit, das hätte sie wissen müssen, hat sie genau in die Wunde geschlagen die Salim nie überwinden konnte, die ja sein eigentliches Problem ist. :-(

    e0354.gif


    c0624.gif Sommer in der kleinen Bäckerei am Strandweg--Jenny Colgan

    Chroniken von Deverry 2 --Katharine Kerr
    Drachenelfen , die Windgängerin -- Bernhard Hennen


  • Gute Frage. Unsereins sieht das sicherlich genau so, aber ich glaube das gerade diese fehlende Identität Salim dazu treibt bei seinen Kindern alles "anders/besser" machen zu wollen. Das er es nicht kann sehen wir als Aussenstehende, aber er sieht das sicherlich komplett anders. Seine Kinder sind ja schon alleine optisch keine Araber - Marc ist ja hellhäutig wie ich gelesen habe. Auch sie werden nie richtige Araber werden, können sie gar nicht. Müssen sie aber auch gar nicht. Schwieriges Thema. Ich denke das er hier so verbohrt ist, das er in der Hinsicht nicht mit sich reden lässt....

  • Zitat

    Original von Maharet
    ...


    Gute Frage. Unsereins sieht das sicherlich genau so, aber ich glaube das gerade diese fehlende Identität Salim dazu treibt bei seinen Kindern alles "anders/besser" machen zu wollen. Das er es nicht kann sehen wir als Aussenstehende, aber er sieht das sicherlich komplett anders. Seine Kinder sind ja schon alleine optisch keine Araber - Marc ist ja hellhäutig wie ich gelesen habe. Auch sie werden nie richtige Araber werden, können sie gar nicht. Müssen sie aber auch gar nicht. Schwieriges Thema. Ich denke das er hier so verbohrt ist, das er in der Hinsicht nicht mit sich reden lässt....


    Ich denke, dass wir diese Zerissenheit zwischen den Kulturen gar nicht richtig nachvollziehen können. Ihr habt schon Recht, im Grunde tut er genau das seinen Kindern an, was er selbst entbehren musste. Aber er kennt gar keine andere Heimat als Jaffa, das er mit sieben schon verlassen musste. Seit dem lebt und schwebt er zwischen den Kulturen, zwischen den Identitäten. Alles, was ihm sein letztes bisschen Heimat gefährdet, empfindet er als Gefahr und als Angriff und sei es von der eigenen Frau.
    Das rechtfertigt sein Handeln nicht, aber ich kann es nachvollziehen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Wirklich nachvollziehen kann ich es nicht. Schließlich hat Salim - soweit wir wissen - in England gute Erfahrungen gemacht.
    Er hat sein Studium höchst erfolgreich abgeschlossen und er muss auch beruflich erfolgreich gewesen sein, sonst hätte er diese Stelle in der amerikanischen Firma gar nicht erst bekommen.


    Möglicherweise hat ihm die Erfahrung, von der Mutter verlassen worden zu sein, mehr geschadet als die Vertreibung aus der Heimat. Mir scheint es ein wenig, als hätte ihn dieser Verlust am inneren Wachstum gehindert, als sei seine Persönlichkeit auf arg wackeligen Grundlagen gebaut.

  • Doch, ich kann Salims Verhalten auch nachvollziehen.
    Auch wenn er noch so gute Erfahrungen in England gemacht hat, es ist nie wirklich seine Heimat geworden. Er hatte dort nie das Gefühl, dass genau da das Fleckchen Erde ist, wo er hingehört. Das war für ihn wohl immer der Garten mit seinem Orangenbaum.

  • Zitat

    Original von Zwergin
    Doch, ich kann Salims Verhalten auch nachvollziehen.
    Auch wenn er noch so gute Erfahrungen in England gemacht hat, es ist nie wirklich seine Heimat geworden. Er hatte dort nie das Gefühl, dass genau da das Fleckchen Erde ist, wo er hingehört. Das war für ihn wohl immer der Garten mit seinem Orangenbaum.


    Vielleicht wäre es ihm leichter gefallen,, hätte er wirklich seine Orangen ernten dürfen, danach hat er sich als Kind doch so gesehnt und das blieb ihm letztendlich verwehrt.