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"Valentina" an der Deutschen Oper in Berlin *klick*
Interview im ZDF vom 27.02.2015 *klick*
Hätte Anna Thalbach nicht als Sprecherin im Programm gestanden, wären mir Valentina Freimane und ihre sehr interessante Autobiographie immer noch unbekannt.
So verbrachte ich zwei spannende Stunden im Haus des Buches in Leipzig, gemeinsam mit so vielen anderen Interessierten, dass noch zahlreiche zusätzliche Stühle aufgestellt werden mussten.
Valentina Freimane wurde 1922 geboren, wuchs dreisprachig in Riga, Paris und Berlin auf und ist eine der letzten Überlebenden des Holocausts in Lettland. Ihre Autobiographie ist für sie das Zeugnis eines reichen, von Kunst und Liebe gesegneten Lebens, wobei sie es für ein Wunder hält, dass es dieses Buch tatsächlich gibt. Sie habe gelernt, dass man einem Menschen alles nehmen könne, außer dem, was in seinem Kopf und Herzen lebe.
Den Titel "Adieu Atlantis" hatte sie schon im Kopf, lange bevor sie überhaut ernsthaft daran dachte, ihre Erinnerungen aufzuschreiben und er steht für den Abschied von einer längst vergangenen Welt. In diese Welt nahm sie ihre Zuhörer mit, so lebendig sind ihre Erzählungen. Sie halte es für ihre Pflicht, alles aufzuschreiben, was sie als wichtig in jener Welt empfindet und von den Menschen zu erzählen, die ihr das Leben retteten. Menschen, die sich ihre Werte nicht von Politik oder Kirche vorschreiben ließen. Sie habe das Glück gehabt, viele solcher Menschen zu treffen und auch wenn nicht alle gut zu ihr gewesen seien, habe sie von ihnen viel gelernt und sie hätten ihr ermöglicht, fast unbeschadet durch eine schwere Zeit zu gehen, an eine Gereichtigkeit zu glauben, die siegen würde ohne verbittert zu werden.
Ihre Kindheit sei glücklich gewesen, in ihrem versunkenen Atlantis. Eine Welt über deren Menschen sie zwar nach dem Ende des Krieges schreiben wollte, dies aber in der damaligen Sowjetunion undenkbar war. Erst als es in Riga eine Volksbewegung für die Unabhängigkeit gab spürte sie, dass die Menschen mutiger und offener wurden. Ihre Freunde haben ihr gesagt, sie solle ihre Geschichte aufschreiben, auch wenn sie sich nicht als Schriftstellerin sehe.
So kam es, dass alle in ihrem Umfeld wussten, dass sie an "Adieu Atlantis" arbeitete, während sie selbst wie eine Katze um den heißen Brei herumschlich, voller Sorge, dass die Erinnerungen an zu viele traurige Gefühle und Ereignisse sie überwältigen könnten. Sie machte sich Notizen, kam jedoch jahrelang nicht weiter bis eine Freundin ihr half, ihre Erinnerungen auf Band zu sprechen. Ihr gegenüber saß ein vertrauter Mensch, der ihre Ängste verstand, die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend jedoch kaum kannte und so ergaben sich viele Fragen und interessante Gespräche.
Ihre Berliner Kindheit habe sie lange wie durch einen Schleier gesehen und trotz zahlreicher Einladungen zur Berlinale sei ihr von der Sowjetregierung lange Jahre die Reisegenehmigung verweigert worden. Jahre später stand sie plötzlich wieder vor ihrem Elternhaus, in dem sich heute ein Hotel befindet. Als sie drinnen ein scheinbar vertrautes Möbelstück sah, sei das wie ein "Schlag in ihr Gehirn" gewesen und plötzlich seien ihre Erinnerungen an jene Zeit wieder zurückgekehrt.
Anna Thalbach las zwei längere Abschnitte der ausgezeichneten Übersetzung von Matthias Knoll. Im ersten Abschnitt ging es um den bunten und ungewöhnlichen Alltag der jungen Valentina Freimane in Berlin, die gerne ihrer Gouvernante entfloh und durch die Arbeit ihres Vaters in den Filmstudios in Babelsberg die unterschiedlichsten Menschen kennenlernte, u.a. Fritz Lang und Marlene Dietrich. In jener Zeit seien Leben und Film für sie miteinander verschmolzen und sie habe zwar die sich verändernde Stimmung wahrgenommen, jedoch erst spät die Auswirkungen auf ihr sicheres familiäres Nest gespürt. Schon mit zehn Jahren hatte sie einen eigenen Reisepass und pendelte mit dem Zug zwischen Berlin und Riga. Ihre Eltern erzogen sie zu einer kritischen Person, die genau hinschaute und hinterfragten oft z.B. warum ihr etwas gefiel oder was ihr aufgefallen sei, es wurde anspruchsvolle Literatur gelesen und schon früh lernte sie viele Fremdsprachen.
Valentina Freimane erkärte, dass in Lettland nach den Wahlen zwar viele Zeitungen geschlossen und der Staat totalitärer wurde, das Leben jedoch für Menschen, die politisch indifferent waren, durchaus erträglich, da der Lebensstandard lange hoch blieb und unverändert Reisefreiheit herrschte. Ihr Vater sei als Demokrat nicht angetan gewesen von den Veränderungen, trotzdem kehrte die Familie nach einigen Jahren zurück nach Lettland. Doch auch dort sah sie nach und nach die Veränderungen auf der Straße. Als Kind sei es ihr am unglaublichsten gewesen, wie Menschen sich veränderten und selbst glaubten, sie seien schon immer so gewesen. Frühere Freunde seien zu fanatischen Judenhassern geworden und bis heute würde es sie wundern, wie der Mensch sie selbst verleugnen könne. Allerdings habe sie inzwischen aufgegeben, einige Dinge verstehen zu wollen.
Hier sei so gut wie unbekannt, dass die baltischen Staaten doppelt okkupiert waren. Zuerst 1940 durch die Sowjets, dann 1941 durch die Wehrmacht und ab 1944 kehrte die Sowjetarmee zurück. Ihre Eltern und alle anderen Familienmitglieder starben im Rigaer Ghetto, ihr Ehemann, bei dem sie zunächst Unterschlupf fand, starb später im Gefängnis.
Anna Thalbach las einen weiteren Abschnitt und wieder hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so gebannt lauschten die Anwesenden ihrem Vortrag.
Dieser Ausschnitt begann mit den ersten Tagen der deutschen Besetzung in Riga, den politischen, sozialen und heimischen Veränderungen wie z.B. der Einführung von Judensternen. Valentina Freimane traf immer wieder auf Menschen, die ihr halfen, ihren Mut und Zuversicht zu bewahren.
Auf die Frage, ob sie es nicht immer noch unglaublich fände, dass diese Menschen ihr damals halfen, antwortet sie, in den Menschen stecke viel Potenzial für Gutes. Sie sei damals einfach nur froh gewesen, gerettet zu werden. Eigentlich solle nicht bemerkenswert sein, dass gerade in dieser grausamen Zeit Menschen ohne zu zweifeln und nachzudenken so handelten. Über diese Menschen wollte sie schreiben, jene, die sich nicht manipulieren ließen und ihr Leben für eine junge Frau riskierten.
Diese Menschen wollte sie den Anwesenden vorstellen und sie hoffe, dass deren selbstloses Verhalten die Norm werde.
Am Ende bedankte sich die sehr sympathisch wirkende Valentina Freimane beim Publikum für das Interesse am Leben eines einzelnen Menschen und blieb für Fragen und zum Signieren, während lettischer Kräuterlikör ausgeschenkt wurde.
Edit:
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