Streuner! Straßenhunde in Europa - Stefan Kirchhoff

  • Stefan Kirchhoff: Streuner! Straßenhunde in Europa, Nerdlen 2014, Kynos-Verlag, ISBN 978-3-95464-025-6, Hardcover, 176 Seiten mit 195 Farbfotos, Format: 19,5 x 2 x 24,4 cm, EUR 29,95.


    “Hunde, die nicht auf Menschen geprägt sind und völlig verwildert in kleinen Gruppen leben, sollte man ihr Leben in Freiheit und ohne Besitzer lassen. Wenn sie nicht Gefahr laufen, Opfer von Hundefängern, Vergiftungsaktionen oder Tierquälern zu werden und auch ansonsten zurechtkommen, sollten sie weiterhin in Freiheit leben dürfen.“ – Claudia Ludwig, Fernsehmoderatorin und Autorin, Seite 122.


    Drei Monate lang hat der Autor zusammen mit seiner Freundin mit einem 30 Jahre alten Wohnmobil Italien, Griechenland, die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Serbien, Slowenien und Kroatien bereist und dort das Leben der Straßenhunde in Wort und Bild dokumentiert. Dabei ist er zu interessanten Erkenntnissen gelangt, die er uns im vorliegenden Buch präsentiert. Da will man als Leser natürlich wissen, was der Mann von der Sache versteht. So einiges, wie’s aussieht: Stefan Kirchhoff, Jahrgang 1978, ist gelernter Tierpfleger, hat als solcher 12 Jahre lang im Tierschutz gearbeitet und war anderthalb Jahre lang als stellvertretender Projektleiter in Italien im „Tuscany Dog Project“ tätig. Er hat Erfahrung im Auslandstierschutz und in der Vermittlung von Auslandshunden. Bei seinen beruflichen und privaten Reisen in Länder wie Ungarn, Rumänien und Spanien dürfte die Idee zu diesem Buch entstanden sein.


    Dass das Hundeleben in manchen Gegenden der Welt ganz schön hart sein kann, will der Autor nicht beschönigen. Manche Tiere werden unter grausamen Bedingungen in Zwingern oder an Ketten gehalten oder in unwirtlichen Gegenden ausgesetzt, wo sie verwildern und im Krankheitsfall nicht versorgt werden. Hunde gibt es in diesen Ländern im Überfluss, kein Besitzer schützt sie, also sind sie für kranke Hirne jederzeit verfügbar und Misshandlungen ausgesetzt. Statt dass man die Population durch Kastration in Grenzen hält, werden Vergiftungsaktionen durchgeführt oder man sperrt die Tiere in (überfüllte) Heime, wo sie nach kurzer Zeit getötet werden. Man kann sie ja nicht alle nach Deutschland ausfliegen! Das ist ohnehin nur eine Notlösung. Schlauer wäre es, vor Ort anzusetzen und beispielsweise schon Schulkinder für den Tierschutz zu sensibilisieren und damit künftige Generationen für den verantwortungsvollen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen vorzubereiten.


    Die ganz üblen Bedingungen sind jedoch, nach Stefan Kirchhoffs Beobachtungen, zum Glück die Ausnahme - was er auch statistisch belegt. Er will uns die andere Seite zeigen, die bis jetzt noch nicht so gründlich beobachtet und dokumentiert wurde: Es gibt nämlich durch aus eine Menge Hunde, die den Alltag auf der Straße ganz gut meistern und ein freies, selbstbestimmtes Leben führen, um das mancher Haushund sie beneiden würde. Nicht immer ist das Einfangen und Vermitteln der Tiere also die beste Lösung. Manchmal wäre es sinnvoller, sie zu kastrieren, sie wieder zurückzubringen und dafür zu sorgen, dass sie im Notfall medizinisch versorgt werden - und sie ansonsten wursteln zu lassen.


    Die, die ganz gut alleine klarkommen, leben in Rudeln ( = Familienverband) oder Gruppen ( = freiwilliger Zusammenschluss von Einzelhunden). Sie finden entweder ausreichend Nahrung in den Zivilisationsabfällen oder sie werden von Menschen gefüttert. Tierfreundr gibt’s natürlich auch in Ländern mit Straßenhunden.


    Beim Ruhen, beim Spielen, beim Streunen, beim Beobachten ihres Umfelds, bei der Futterbesorgung und der sozialen Interaktion mit Artgenossen und Menschen hat Kirchhoff die Streuner verschiedener europäischer Länder fotografiert. Wir sehen unter anderem Hunde vom Vesuv, Pompeij und L‘ Aquila, die Waldhunde von Istanbul und Teneriffa und die Uni-Hunde von Griechenland.


    Vielen dieser Tiere bescheinigt der Autor eine recht gute Lebensqualität. „Ich habe Straßenhunde gesehen, die ihre natürlichen Bedürfnisse ausleben können, eben weil es keinen Menschen gibt, der sich ständig einmischt oder [sie] begrenzt. (…) Wie die Beispiele im Kapitel ‚Alltag eines Straßenhundes‘ zeigen, haben die Streuner viele Möglichkeiten, von denen unsere Haushunde nur träumen können. Handlungsfreiraum.“ (Seite 119)


    Trotzdem wäre es natürlich verantwortungsvoll und wünschenswert, wenn der Mensch verhindern würde dass Hunde (und Haustiere allgemein) sich unkontrolliert vermehren. Auch das Aussetzen von unliebsam gewordenen Haushunden und das Streunenlassen von unkastrierten Besitzerhunden trägt dazu bei, dass der Strom der Straßenhunde nie versiegt.


    Wie effektiver Auslandstierschutz aussehen müsste, davon hat Stefan Kirchhoff eine sehr konkrete Vorstellung. Diesem Thema widmet er ein eigenes Kapitel. Natürlich sieht er auch, wo die Tierschützer trotz hohen Engagements an ihre Grenzen stoßen.


    Mit seinen Ansichten wird sich der Autor unter Tierschützern und Hundehaltern nicht nur Freunde machen. Darüber, was das Beste für die Tiere ist, gibt es erfahrungsgemäß die verschiedensten Auffassungen und es kommt mitunter zu regelrechten „Glaubenskriegen“. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, sich mit seinen Beobachtungen zu befassen und daraus eigene Schlüsse zu ziehen. Man kommt womöglich ins Grübeln und fragt sich, was der eigene Hund wohl den ganzen Tag tun würde, wenn er sein Leben „frei Schnauze“ führen dürfte.


    Die Fotos sind sehr aussagekräftig, nur das Layout ist manchmal ein bisschen chaotisch. Wenn mitten im Fließtext plötzlich Bildunterschriften auftauchen, die zu einem der nebenstehenden Fotos gehören, stört das den Lesefluss. Aber das sind Kleinigkeiten.



    ((Bild anklicken, dann wird es größer!))


    Zentrale Fakten und Erkenntnisse werden in farbig unterlegten Infoboxen zusammengefasst, so dass man sich schnell einen Überblick über die Inhalte der Kapitel verschaffen kann. Das Quellenverzeichnis zeigt, wo der Autor für sein Buch recherchiert hat und wo man selbst bei Interesse sein Wissen vertiefen kann.


    Stefan Kirchhoff betreibt mittlerweile eine Hundeschule, in der er seine Erfahrungen an Hundebesitzer weitergibt.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner