Titel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969
Autor: Frank Witzel
Verlag: Matthes und Seitz Berlin
Erschienen: Februar 2015
Seitenzahl: 817
ISBN-10: 3957570778
ISBN-13: 978-3957570772
Preis: 29.90 EUR
Dieses Buch ist so etwas wie eine literarische Explosion – der Urknall des Frank Witzel. Kaum greifbar, noch weniger beschreibbar – ein Buch so richtig um sich hineinfallen zu lassen um dann so ordentlich auf der Schnauze zu landen und nicht wissen warum.
Gibt es so etwas wie den "positiven und seligmachenden literarischen Griff ins Klo" - dann wäre das wohl hier der Fall.
Ein Highlight der deutschen zeitgenössischen Literatur.
Abstrus, durchgeknallt, völlig neben der Spur – genial auf eine fast schon pathologische Art und Weise.
Gudrun Ensslin, eine Indianersquaw aus braunem Plastik, Andreas Baader, ein Ritter in schwarzglänzender Rüstung.
Die Welt wird aus der Sicht eines dreizehnjährigen Jungen beschrieben, der aber mal 13, dann wieder älter und dann wieder viel jünger und dann wieder viel älter ist. Irgendwo ist das alles nicht greifbar, die Schauplätze wechseln ständig – es wird erklärt, es wird verklärt, es wird vertuscht und dann wird auch wieder Klartext geredet.
Es ist ein Roman, der wie der Verlag so treffend beschreibt, besteht aus einer explosiven Mischung von Geschichten und Gedichten, Welterklärungen, Reflexionen und Fantasie, ein detailbessenes Kaleidoskop aus den Stimmungen der Welt.
Zeiten verschieben sich, greifen ineinander und sind dann doch nicht das was sie zu scheinen vorgeben. Da wechselt jugendlicher – wenn auch gefährlicher – Übermut mit dem Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt, da beeinflussen der Psychiater und der katholische Geistliche den verwirrten Jugendlichen mit unterschiedlichen Methoden, wobei die Zielsetzungen aber durchaus ähnlichen Charakter haben.
Eigentlich ist dieses Buch nicht greifbar, überfordert sicher auch den Leser – lässt kaum mal Luft zum Atemholen, ist aufdringlich um dann aber auf der nächsten Seite wieder in Schüchternheit zu erstarren. Selten habe ich ein derartig facettenreiches Buch gelesen.
Wenn man dieses Buch zur Hand nimmt, dann ahnt man kaum worauf man sich hier einlässt. Über 800 Seiten gibt es ordentlich und begeisternd literarisch auf die Fresse. Der Kopf des Lesers wird mal so ordentlich durchgepustet.
Es sind Erinnerungen an den deutschen Herbst, das Nachkriegsdeutschland aus einer gewiß nicht so häufigen Sicht. Und in diese Erinnerungen hinein gibt es immer mal wieder ein paar Farbtupfer aus heutiger Zeit. Aber auch das Jahr 1989 wird nicht vergessen.
Frank Witzel nimmt seine Leser in die Pflicht – nicht an die Hand. Zurechtfinden müssen sie sich selbst. Man ist ja nicht in der Klippschule! Dieses Buch ist aber auch eine Gelegenheit das eigene Leben einfach mal ein wenig Revue passieren zu lassen. War man nicht vielleicht auch genauso durchgeknallt und immer auf dem Sprung?
Ein unglaubliches Buch. Sehr lesenswert – wird aber wohl nicht so sehr viele Leser finden. 10 Eulenpunkte für ein lautstarkes und sich nicht versteckendes Buch – Mainstream dürfte wohl anders aussehen.