Anna Quindlen: Ein Jahr auf dem Land

  • Anna Quindlen: Ein Jahr auf dem Land
    Deutsche Verlags-Anstalt 2015. 320 Seiten
    ISBN-13: 978-3421046666. 19,99€
    Originaltitel: Still life with bread crumbs
    Übersetzerin: Tanja Handels


    Verlagstext
    Was im Leben am meisten zählt
    Rebecca Winter steht an einem Wendepunkt: Von ihrem Mann ist sie geschieden, für ihren erwachsenen Sohn nicht mehr unentbehrlich, und als Künstlerin hat sie längst ihren Zenit überschritten. Jahrelang lebte die berühmte Fotografin sorglos von den üppigen Einkünften eines Schnappschusses. Aber nun ist der Geldstrom versiegt. Notgedrungen beschließt sie, ihr New Yorker Apartment zu vermieten und für ein Jahr in ein kleines Haus fernab der Stadt zu ziehen. Der unfreiwillige Landaufenthalt ist kein Spaziergang im Central Park – und doch beschert er Rebecca eine unverhoffte Liebe, neue Inspiration und den Mut, unbekannte Wege zu beschreiten ... In „Ein Jahr auf dem Land“ zeigt sich Anna Quindlen auf der Höhe ihrer Kunst. Schon ihre früheren Romane überzeugten durch Wärme und Intellekt, doch dieser – so die New York Times – „glänzt darüber hinaus noch mit Humor und Prägnanz“. Ein klug unterhaltender Roman, ein Plädoyer dafür, sein Leben in die Hand zu nehmen und sich immer wieder neu zu erfinden.


    Die Autorin
    Anna Quindlen, Jahrgang 1952, gehört in den USA zu den wenigen ganz großen Autorinnen, die sowohl die Literaturkritik als auch das breite Publikum begeistern. Ihre Romane und Sachbücher erobern regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten. Für ihre Kolumnen in der New York Times erhielt sie 1992 den Pulitzer-Preis. Ihr Bestseller »Die Seele des Ganzen« (1995) wurde unter dem Titel »Familiensache« mit Meryl Streep verfilmt. Ihr neuester Roman »Ein Jahr auf dem Land« rangierte in den USA monatelang in den Top-Ten und verkaufte sich eine viertel Million Mal.


    Inhalt
    Rebecca Winter hat ihre Wohnung in New York City vermietet und ist selbst in eine vernachlässigte, sehr einfache Jagdhütte auf dem Land gezogen. Der Kontrast zum Großstadtleben könnte nicht größer sein. Während für kleinere häusliche Katastrophen in der Stadt der Hausmeister zuständig war, muss Rebecca sich gleich nach ihrer Ankunft um einen Waschbären kümmern, der sich unter dem Dach des maroden Häuschens niedergelassen hat. Als typische Städterin hat Rebecca die im Elternhaus vorgelebte Abneigung gegen herumfliegende Pollen und Insekten übernommen. Wenn sie hier auf dem Land zurechtkommen will, muss sie sich einer Lebensweise anpassen, die auf Selbstversorgung und gegenseitige Hilfe setzt. Weshalb sollte man Brennholz für den Kamin kaufen, wenn ein Nachbar es im Tausch gegen einen anderen Gefallen bis vor die Tür bringt?


    Rebecca hat als junge Frau einmal ein Foto zu traumhaften Konditionen verkauft, das sie von ihrem Küchentisch am Morgen nach einer Feier aufgenommen hatte (Still life with bread crumbs, so der Originaltitel des Romans). Bis heute flossen aus diesem Geschäft regelmäßig Einnahmen, die es Rebecca ermöglichten, ihre Eltern zu unterstützen und den Heimplatz ihrer dementen Mutter zu finanzieren. Obwohl sie sich als Fotografin seitdem nur wenig weiter entwickelt hat, blieb Rebecca in der öffentlichen Wahrnehmung die feministische Ikone, die in diesem Foto das Lebensgefühl einer ganzen Frauen-Generation ausdrückte. Rebeccas Ortswechsel ermöglicht ihr nun die Muße, die künstlerische Sackgasse zu erkennen, in der sie gelandet ist. Das Jahr auf dem Land, kaum zwei Stunden Fahrt von New York entfernt, wird für Rebecca zum Kulturschock und zur Bestandsaufnahme ihres Lebens. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag ist sie gezwungen, neu auf andere Menschen zuzugehen und ihren Blick für deren Lebensweise zu schärfen.


    Fazit
    Von Rebeccas Neubeginn erzählt Anna Quindlen in warmherzigem Ton und trifft damit das Lebensgefühl in den 50ern geborener Frauen, die sich zwischen den Ansprüchen von kränkelnden Eltern und nesthockenden Kindern aufgerieben fühlen. Da Rebecca auch den Winter auf dem Land verbringt, kann ich mir Quindlens Roman sehr gut als Lektüre für die Vorweihnachtszeit vorstellen. Nicht gelungen ist es der Autorin, mir Rebecca als Fotografin oder Künstlerin nahezubringen, die Fotografieren wie einen zusätzlichen sechsten Sinn nutzt. Verglichen mit den liebevoll zusammengetragenen Beobachtungen eines Lebens auf dem Land und einer sich anbahnenden Liebesbeziehung fallen die Passagen über Rebeccas Arbeit als Fotografin sprachlich und sachlich stark ab. Ärgerlich, dass diese nicht plausiblen Details von niemandem bearbeitet wurden, der etwas von der Sache versteht. So stützt der Roman leider das Klischee, Leserinnen von Frauenromanen würden sich nur für die Beziehungsebene interessieren und die Sachebene könne daher vernachlässigt werden.


    8 von 10 Punkten

  • Zum Inhalt siehe oben. :-)


    Meine Meinung:


    Wer erwartet, dass die Heldin Rebecca sich, frisch zum Landleben bekehrt, in Arbeitshosen und Gummistiefel wirft, eine Schafherde kauft, Wolle spinnt und Apfelkuchen bäckt, wird enttäuscht.


    Stattdessen bietet der Roman eine behutsame Annäherung an ausgewählte Aspekte des Landlebens – wie zum Beispiel die physische Nähe des Waldes, überhaupt der Natur, den unterschiedlichen Wortschatz der Menschen, die Qualität des Lichts und der Geräusche, durchaus auch das Tempo des Lebens, aber weitgehend klischeefrei (es wird nicht die böse hektische Stadt gegen das idyllische Land ausgespielt). Wenn Rebecca also auch nicht im Schlamm wühlt, wird sie in diesem Jahr doch in gewisser Weise innerlich geerdet.


    Dank zahlreicher Sprünge an verschiedene Orte und durch Zeitblenden in verschiedene Lebensphasen der Protagonistin wird immer wieder der Kontrast zwischen den Lebenswelten geschärft. Das Ganze vollzieht sich eher langsam, in schöner Sprache und berührenden Bildern, mit trockenem Humor und manchmal ungewöhnlichen Perspektiven. Auch zwischenmenschliche Beziehungen mit jeder Menge Liebe, Tragik, Tod, Scheitern und Versöhnen (und das Philosophieren darüber) kommen nicht zu kurz und werden in zahlreichen Facetten dargestellt, ohne dass ich es als kitschig oder seicht empfunden hätte.


    Lediglich am Schluss ging es mir schlicht zu schnell, daher auch ein Punkt Abzug. Die letzten Seiten, durchaus als Epilog ausgewiesen durch die Zwischenüberschrift „Später“, purzeln dermaßen hektisch durchs Geschehen, dass es am Ende meine Lesefreue ein wenig getrübt hat. Da hätte ich mir eher gewünscht, dass der ruhige Duktus des Buches beibehalten worden wäre.


    Ich hätte auch, mal wieder, die wörtliche Übersetzung des Originaltitels vorgezogen: Still Life with Bread Crumbs.


    9/10 Punkten.




  • Rebecca Winter ist Fotografin, sogar eine berühmte. Allerdings hat sie schon lange nichts neues mehr erfolgreich auf den Markt gebracht und so vermietet sie ihre Wohnung in New York und zieht aufs Land in ein kleines baufälliges Haus.

    Dort hofft sie nicht nur genügend Geld zu sparen um ihren finanziellen Verpflichtungen weiter nachkommen zu können, sondern auch wieder Inspiration zu finden.

    Und sie findet nicht nur das, sondern auch neue Freunde.


    Anna Quindlen gelingt es ein Wohlfühlbuch zu schreiben über Umstände, die gar nicht zum Wohlfühlen sind. Das Haus in das Rebecca einzieht ist eher ungemütlich, dunkel und lässt sich schlecht heizen. Noch dazu hat sich ein Waschbär auf dem Dachboden eingenistet.

    Und trotzdem hat das Buch etwas sehr heimeliges. Ich fand es schön die aufkommende Beziehung zu Jim zu verfolgen und auch ihre Freundschaft zu Sarah.

    Durch eingeschobene Rückblicke wird klar, wie Rebecca zu ihren Eltern steht, wie sie mit ihrem Sohn Ben zurechtkommt und welche Rolle ihr Ex-Mann Peter in ihrem Leben steht.


    Mir hat das Buch mit seiner ruhigen Erzählweise sehr gut gefallen. Es jagt nicht von einer Aufregung zur nächsten sondern fließt langsam und stetig dahin. Am Ende war ich durchaus traurig, Rebecca und Jim zu verlassen. Ich hätte sie gerne noch weiter begleitet.

    Von mir daher eine Leseempfehlung für dieses warmherzige Buch.


    9 von 10 Punkte

  • Dieses Buch habe ich zu Füßen des Breitenbergs in Pfronten gelesen, in rot karierter Bettwäsche im Zirbenbett oder direkt vor grünen, satten Wiesen, mit Kuhglockengeläut im Hintergrund und einem kühlen Weizenradler auf einem heißen Balkon mit Blick auf einen wunderschönen Garten mit blühenden Blumen, Hofhund und Kittycat. Ja, es ist schön auf dem Land ;)


    Der Charme der alten Hütte, in die sich die Hauptfigur der Geschichte aus Geldnotgründen zurückzieht, hat mich sofort gefangen genommen. Die Seiten des Landlebens sind schön unromantisch, dafür aber realistisch dargestellt (ich wohne auch zu Hause auf dem Land). Zu einem echten Wohlfühlbuch würde ich es von daher nicht unbedingt ernennen, also bitte keine falschen Illusionen.


    Die Geschichte wird eher prosaisch erzählt und die Hauptfigur hat einen ganzen Sack voller Probleme auf der Hucke. Da wären zum einen die sehr alten Eltern, nicht mehr in der Lage, finanziell für sich zu sorgen, die jeweils in ihrer eigenen Welt leben, und zum anderen die bereits erwähnten Geldprobleme, hervorgerufen durch eine zu teure Wohnung in New York City (die sie für ein Jahr untervermietet, um all ihre finanziellen Verpflichtungen einhalten zu können) und einem verblassenden Ruhm als ältliche, geschiedene, ungefragte Fotografin, die weder Neues noch Interessantes vorzuweisen hat.


    Das erzwungene Jahr auf dem Land wird diese Probleme nicht verschwinden lassen.

    Aber die Hauptfigur findet dafür andere, vorher unbekannte Seiten des Leben. Und auch aus künstlerischer Sicht ist der Blick durch die Linse ein gänzlich anderer und verhilft zu neuer Kreativität.


    Wer keine Lust mehr hat auf konventionelle Belletristik, ist hiermit sicher sehr gut bedient.


    Ich gebe gern 8 gute Punkte.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“