OT: Hotet 1973
Martins Eltern sind umgezogen. So fühlt es sich für Martin an. Natürlich ist er dabei, aber gefragt hat ihn niemand. Er fühlt sich scheußlich in der neuen Umgebung. Er mag die Schule nicht, die Mitschüler nicht, die Lehrerin nicht. Alle machen sich über ihn lustig, die Art, wie er spricht, was er sagt. Er kann schließlich nichts dafür, daß er so viel weiß. Sein Großvater hat ihm alles beigebracht. Aber auch Großvater lebt nicht in der neuen Stadt. Die Umstände sind für Martin so schlimm geworden, daß er immer häufiger die Schule schwänzt. Als der Druck zu groß wird, läßt er sich dazu hinreißen, zur Verteidigung ein Messer zu kaufen. Die vermeintliche Stärke nützt ihm nichts, im Gegenteil.
Lennart Frick (geb. 1939) ist ein schwedischer Schriftsteller, Journalist und Verleger. Er schreibt seit 1960 Romane und Jugendbücher, ins Deutsche übersetzt wurden nur wenige, die meisten davon erschienen nur in der DDR. So auch dieses Kinderbuch.
Martin, ca. 10, 11 Jahre alt, ist eine ambivalente Figur, das ist selten in der älteren Kinderliteratur. Er fühlt sich unwohl, stößt auf Abwehr, zugleich schließt er sich ab und benutzt die ungerechte Behandlung immer mehr als Ausrede dafür, Kontaktaufnahmen zu verweigern. Der Autor läßt ihn Irrwege gehen, die die Leserin genauso mitnehmen wie den kleinen Helden. Die Konsequenz ist bestechend und unangenehm. Es dauert auch eine Weile, bis man durchschaut, daß Martins Probleme nicht nur von außen kommen, sondern daß ein gewisser Trotz an seiner Situation auch Anteil hat.
Daß letzte Drittel wirkt etwas überfrachtet, weil Martin dann nicht nur mit der örtlichen Trennung, sondern mit dem Tod des geliebten Großvaters konfrontiert wird. Bewältigung des Umzugs und Verlusts des alten Freundeskreises und Begreifen, daß Zurückliegendes endgültig vorbei ist, sind ein bißchen viel für eine so junge Hauptfigur. Frick zeichnet sie überzeugend, bis in die feinsten Regungen von Verlassensein, sich zurückgesetzt fühlen, Würde verlieren, Würde zurückgewinnen, den Kampf um Anerkennung. Das wirkt auch beim heutigen Lesen sofort.
Die Handlung bleibt dagegen etwas zurück, am Ende bleibt zuviel offen, auch wenn es ein hoffnungsvolles Ende ist.
Ausgesprochen schön sind die ganzseitigen Bleistiftillustrationen von Hildegard Gerbeth, im Buch schwarz-weiß, bunt auf dem Einband.
Ein älteres, selten gewordenes Kinderbuch, das wegen der eingehenden Beschreibung der kindlichen Hauptfigur immer noch empfehlenswert ist.