Michael Wildenhain: Das Lächeln der Alligatoren
Verlag: Klett-Cotta 2015. 241 Seiten
ISBN-13: 978-3608939736. 19,95€
Verlagstext
Eher unfreiwillig verbringt Matthias seine Sommerferien auf Sylt. Er besucht seinen jüngeren Bruder, der dort in einem Heim lebt und mit niemandem spricht. Doch der Urlaub nimmt eine unerwartete Wendung, als Matthias die Betreuerin seines Bruders kennenlernt und sich in sie verliebt. Marta allerdings nimmt ihn zunächst nicht wahr. Erst als sie sich Jahre später an einer Berliner Universität wiedertreffen, kommt Matthias seiner Jugendliebe nahe. Sie führt ihn in Studentenkreise ein, die einer radikalen Gruppierung angehören. Matthias lässt sich auf Marta und ihre Überzeugungen ein, ignoriert Vorzeichen und widerstreitende Gefühle. Was Martas Absichten sind, wird ihm erst klar, als es zu spät ist.
Der Autor
Michael Wildenhain ist 1958 in Berlin geboren, wo er auch heute lebt. Nach einem Wirtschaftsingenieur- und Philosophiestudium engagierte er sich in der Hausbesetzerszene - Stoff u. a. für seine ersten literarischen Veröffentlichungen: "Die kalte Haut der Stadt", "Heimlich, still und leise", "Erste Liebe Deutscher Herbst". Wildenhain schrieb mehrere Theaterstücke. Mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Ernst-Willner-Preis, dem Stipendium der Villa Massimo sowie dem London-Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Zuletzt sind von ihm die Romane "Russisch Brot" und "Träumer des Absoluten" erschienen, zudem ein Auswahlband seiner Theaterstücke.
Inhalt
Am Anfang ist der Protagonist nur „der Junge“, der „junge Mann“ und wird erst später zum Icherzähler des Romans. Matthias Familie bricht auseinander, nachdem sein jüngerer Bruder Carsten nach einer schweren Krankheit geistig behindert bleibt. Carsten kommt in ein Heim, die Mutter der Jungen stirbt früh, der Vater verlässt die Familie. Matthias trägt lange und unnötig an der Last der Vorstellung, er habe Schuld an einer Kopfverletzung des Bruders und dessen Behinderung sei Folge dieser Verletzung. Bei einem Besuch des Bruders im Heim beobachtet Matthias mit pubertärem Interesse dessen Betreuerinnen, die kaum älter sind als er selbst. Zwischen den Angehörigen und den Betreuerinnen entsteht ein sonderbares Kräftemessen um das Wohl des Patienten. Man gewinnt den Eindruck, die Betreuerinnen hätten Carsten in Besitz genommen und würden seine lästigen Angehörigen abwehren. Als Matthias bereits Student in Berlin ist, kreuzt sein Weg den Weg Martas, die seinerzeit Carsten betreut hatte und nun Mitglied der RAF ist. Mathias lebt als Adoptivkind bei seinem Onkel, einem Professor der Neurologie, der zur Zeit des Hungerstreiks der RAF-Häftlinge eine Expertenkommission zur Zwangsernährung leitet. Sein Fund von altem Filmmaterial auf dem Dachboden konfrontiert Mattias mit der Tatsache, dass sein Onkel an den Menschenversuchen Josef Mengeles beteiligt gewesen sein muss. Matthias war für Marta und ihre Mittäter offenbar nur Mittel zum Zweck, um Kontakt mit dem Onkel herzustellen. Im dritten Teil des Buches ist Matthias selbst Professor und lebt inzwischen in Hamburg.
Fazit
Die Verknüpfung einer an einem Schicksalsschlag zerbrechenden Familie mit der Nazivergangenheit eines Angehörigen und dem RAF-Terrorismus als Stoff eines sehr kurzen Romans klang zunächst vielversprechend. Doch außer durch eine Thematik, die mich zum Nachdenken anregt, möchte ich auch gern von der Sprache eines Romans beeindruckt werden. Für einen Rückblick auf Kindheit und Studienzeit eines anfangs noch unbedarften jungen Mannes finde ich die Sprache in „Das Lächeln der Alligatoren“ zu gekünstelt und zu unzugänglich. Selbst als erklärter Fan von Bandwurmsätzen finde ich Absätze wie den unten zitierten misslungen, falls ein Buch sich nicht allein an Feuilleton-Journalisten und Jurymitglieder des Preises der Leipziger Buchmesse richten sollte.
„Am Grab meiner Mutter, an dem wir uns verabredet haben. Einer der seltenen Besuche. Blumen, ich werde ihr Rosen kaufen. Jetzt hole ich meinen Vater, der eine Vorlesung im großen Hörsaal des Universitätsklinikums hält, ab, um mit ihm gemeinsam zu ihrem Grab, der Ruhestätte auf dem Waldfriedhof zu fahren, nahe dem Olympiastadion, an einem verschwiegenen See.“ (Seite 104)
7 von 10 Punkten