Lyrik bzw. Poesie -- Was ist das denn nun? ;o)

  • Obwohl selbst keine Lyrikerin brennt mir das Thema in der Tat auf -- ja, sogar unter den Nägeln! :grin


    Was ist Lyrik? Reines Sich-Ausdrücken des Selbst? Oder verdichteter Ausdruck von Gedanken, Gefühlen und Momentaufnahmen?


    Na dann mal ran an den Speck, ihr Lesenden und Schreibenden, so ihr lyrik liebt (und fabriziert) oder auch nicht: Wie lautet eure Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Lyrik?




    Ja, Delphin mich hat es in den Fingern gejuckt zu beginnen mit »Kannst du mir vielleicht sagen, Sokrates, ob die Lyrik ...« :lache

  • Also, Doc & Tom, ich zieh das mal herüber:

    Zitat

    Original von Tom


    Natürlich versucht man manchmal, Gefühle von Figuren auszudrücken, so zu vermitteln, daß sie nachvollziehbar, verstehbar werden. Aber in erster Linie versucht man, Gefühle zu wecken, entstehen zu lassen. Auch empathische, aber auch solche wie Angst, Spannung, Mitgefühl usw.


    Der Ansatz bei Lürik ist zumeist ein etwas anderer, aber ich bin in diesem Bereich zu wenig firm, um das erklären zu können. Dennoch - der Versuch, Gefühle auszudrücken, ist die Hauptintention vieler Gelegenheits- und Liebesbrieflüriker. Diejenige vieler Leute, die es besser können, ist günstigstenfalls der, Gefühle zu vermitteln. Das ist ein anderer Schuh. Aber, wie gesagt: Nicht meine Spielwiese. Allerdings sind die Metaphern und Sprachbilder des obigen Gedichts so ... übersichtlich, daß auch meinereiner was dazu sagen konnte. :grin


    Meine Meinung:
    Doc hat völlig recht: Bei Lyrik handelt es sich eigentlich nur um eine technisch andere, wesentlich stärker verdichtete Form von Literatur.

  • Zitat

    eine technisch andere, wesentlich stärker verdichtete


    ... und wesentlich kryptischere und zuweilen wesentlich experimentellere, da bezüglich der Form offener. "Verdichtet" würde ich nicht immer gelten lassen; manch ein Lüriker benötigt reichlich Raum für wenig Inhalt, wobei dann die Schönheit der Sprache im Vordergrund steht bzw. stehen kann.

  • Zitat

    Original von Tom
    ... und wesentlich kryptischere und zuweilen wesentlich experimentellere, da bezüglich der Form offener. "Verdichtet" würde ich nicht immer gelten lassen; manch ein Lüriker benötigt reichlich Raum für wenig Inhalt, wobei dann die Schönheit der Sprache im Vordergrund steht bzw. stehen kann.


    Dafür laß ich das "wesentlich kryptischere" nicht gelten. Meist ist das nur eine Bemäntelung für einen schwammigen oder geradezu nebligen Umgang mit Sprache.


    Übrigens: Deine Einschränkung gilt auch für viele Prosaformen. Wenn ich allein überlege, was für Sätze der eine oder andere Romancier ziseliert ...

  • Hallo, Iris.


    "Kryptisch" bedeutet: Unklar, schwer zu verstehen, schwer zu deuten - das stimmt m.E. oft. Lürik spielt (ist natürlich nicht alles generalisierbar) mit Sprache, Sprachmelodie und mit Sprachbildern, vor allem aber mit einer zuweilen sehr persönlichen Deutungsebene. Lürik hat in dieser Hinsicht viel mit Malerei gemein; Lürik ist irgendwie Sprachmalerei. Das bedeutet aber auch, daß die Form manchmal über dem Inhalt steht; Deutung ist ein Prinzip bei Lürik, auch emotionale Deutung. Selbstverständlich gibt es hier viele, viele Überschneidungen mit Prosa, überhaupt ist die Grenze sehr verwaschen. Sagt jemand, der gerade - mit großem Vergnügen - Eckhard Henscheid liest. :-)

  • darf man auch als Nichtschreiberling was dazu schreiben?


    Ich finde Lyrik..einfach nur grauslig...diese Metaphern und Millionen von Adjetiven..nur um z.B. sagen zu wollen: * Ich liebe dich.*..oder
    *alles Scheisse*...nee Danke

  • Alexx,
    schlimmer Standpunkt, aber wenigstens mal ein ehrlicher!
    Bravo!!
    Wenn du mal nach Berlin kommst, lese ich Dir meine Lieblingsgedichte vor. Nach einer Flasche Oppenheimer Wein (oder zwei, oder drei...) verstehst Du die auch, ich schwöre es!
    :grin
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • @Alexx
    Na, Lyrik verstehen und lyrisch werden sind zwei Paar Schuhe.
    Von Letzterem rate ich in der Regel ab. :lache


    Iris
    glaub bloß nicht, daß ich jetzt Schadewaldt beischleppe!!


    ich verweis mal auf Goethe, der uns die heute geltenden Gattungen beschert hat. Demnach ist Lyrik die subjektivste Form. ;-)
    Toms 'Sprachmalerei' gefällt mir gut (besonders für einen, der von Lürik nichts versteht.)
    Ein Gedicht zu schreiben setzt für mich einen sehr bewußten Umgang mit dem einzelnen Wort voraus und zwar unter Einbeziehung des semantischen, assoziativen, klanglichen Überbaus, bis hin zur Form von Buchstaben oder ganzen Wörtern.
    Der Sprachrhythmus gehört auch dazu, gleich, ob man sich an Metrik, Strophen, Reim und andere Formalia hält.
    Gefühle ausdrücken als eigentlicher Sinn vom Verfassen von Gedichten reicht mir nicht. Jedenfalls nicht, wenn damit einzelne Gefühle gemeint sind. Es geht im Gegenteil um Gefühlslagen, komplexe Gebilde.
    Liebe im Gedicht z.B. ist nie nur die Liebe zwischen zwei Menschen, sondern verweist immer auf eine Idealvorstellung von Liebe, etwas nicht mehr konkret Faßbares.
    Es geht um Überhöhtes, Abstraktes, Grundsätzliches.
    Etwas, das man wenig beachtet, ist, daß Gedichte an ihre Entstehungszeit gebunden sind. Die abstrakte Thematik erst ermöglicht es uns, den Inhalt mancher Verse noch nach Jahrhunderten zu erfassen.
    Oder zu glauben, daß wir sie erfassen. ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Heaven
    Mit Lyrik hab ich es auch nicht so, brauche wohl auch weinhaltige Nachhilfe von magali. :grin


    Na, ich wußte es doch!
    Wenn ich von Wein anfange, kommen alle dazu.
    Alexx! Fünf Flaschen!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    ich verweis mal auf Goethe, der uns die heute geltenden Gattungen beschert hat. Demnach ist Lyrik die subjektivste Form. ;-)


    <räusper> Das ist Diltheys Text, stammt letztendlich von dem Herrn Hegel. Goethe hat über sich Ansichten zum Thema Selbst(ent)äußerung des Ich in etlichen Briefen mokiert. :grin
    Die Auffassung, daß "Lyrik" subjektiv sei, wird hoffentlich eine nur temporäre Meinung bleiben. Jeder Text ist subjektiv --, und der Herr Hegel hat in seinen Vorlesungen zur Ästhetik einen ziemlichen Kappes erzählt. Aber leider einen wirkmächtigen Kappes. ;-)


    'Tschuldige, magali, daß ich da etwas drastisch werde, aber ich habe meine Abschlußarbeit über die Sapphodeutung geschrieben, und das war eine wahre Passionsgeschichte durch den aberwitzigen Irrgarten der Interpretation und der Vorstellungen, was Lyrik bittschön zu sein hat. Da gefielen einem am Ende wieder die Opitzens und Baumgartens ...

  • Na, dann sagt mir mal bitte, gefühls-, verstandes- oder profigemäß wie Ihr das Nachfolgende einordnet, vor allem würde mich aber die Meinung derer interessieren, die von Lyrik nicht viel halten, nicht viel damit anfangen können und was sie dabei empfunden haben.


    Zwei Texte zur Auswahl:


    Wer reitet so spät


    Wer reitet so spät bei Sturm und Wind
    es ist die Rosi, sie will ein Kind
    sie hält Johannes fest im Arm
    die Luft am Meer ist schwül und warm


    Johannes, was birgst Du so bang dein Gesicht?
    Siehst Rosi du die Gefahr denn nicht?
    Bald kommt der Erguss aus meinem Schweif
    und deine Eizelle ist doch schon reif


    Ach, du Dummer, reit mit mir
    schöne Spiele spiel ich mit dir
    runter mit dem überflüssigen Gewand
    Rosi drückt Johannes fest in den Sand


    Rosi, oh Rosi, hörst Du es nicht
    dass dort hinten laut jemand spricht?
    Sei ruhig und vor allem kein Kind
    das ist nur das Meer und auch der Wind


    Los, Johannes, lass dich gehen
    oh lieber Gott, wie ist das schön
    niemals werd ich das bereuen
    und oft noch mich an dich erfreuen


    Rosi, oh Rosi, nicht an diesem Ort
    ich glaub, es sind Voyeure dort
    Ach Johannes, ich bin eine heiße Frau
    Ich kann nicht aufhören, das weißt du genau


    Ich liebe Dich, mich reizt deine schöne Gestalt
    und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt
    Oh Rosi, ich glaub, dass ich jetzt kann
    oh, Rosi, oh Rosi es ist getan


    Die Rosi erschauert, reitet weiter geschwind
    schreit laut auf, nun empfängt sie ein Kind
    erreicht den Orgasmus mit Müh und Not
    der künftige Vater war leider schon tot



    IHR DREHT DIE ZEIT


    Ihr dreht die Zeit
    nicht zurück
    nur weil ihr
    an die Stätte
    eurer Geburt zurückkehrt


    Masochistenbrut
    ihr drückt Euch
    die Eisendornen
    eurer Erinnerungen
    ins senile Gehirn
    und freut Euch
    über den Erinnerungsschmerz


    Lügnervolk
    ihr redet
    mit verklärten Augen
    von vergangenen Tagen
    und hasst doch
    eure Väter
    und verachtet
    eure Mütter


    Ihr dreht die Zeit
    nicht zurück
    euer Schwelgen
    in dem was war
    ist die Lüge
    eures Lebens
    ich kenne euch
    mit dieser Lüge
    auf den Lippen
    werdet ihr gehen


    Lyrik kann überaus intelligent unterhaltend sein, ich verweise da gerne auf Kästner, der ja Texte geschrieben hat, die viele leider nicht kennen - aber eben auch mystisch, hinweisend, zum Denken anregend, was mir persönlich die liebste Form ist.
    Für mich muss Lyrik etwas von dem haben: Entweder ohne Umschweife zur Sache, pointiert und klare Worte oder aber verschleiernd, vielsagend und doch eindeutig, wenn man nachdenkt.

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Zitat

    Original von Iris
    Meine Meinung:
    Doc hat völlig recht...


    DAS klingt total lyrisch in meinen Ohren. :-)


    Ich kann Lyrik eigentlich nur als Leser beurteilen. Meine eigenen bescheidenen Versuche kann man ja zum Teil in der Kurzgeschichtenrubrik der Eulen "bewundern". Ich gehöre sicherlich zu den Leuten, die mit Gedichten etwas anfangen können. Ich mag es sehr, wenn sich mir beim Lesen von Gedichten etwas auftut, wenn ich plötzlich spüre, was der Verfasser rüberbringen wollte (oder mir zumindest einbilde davon etwas zu spüren). Deshalb mag ich wahrscheinlich Eichendorff so gerne. Er spricht den Romantiker in mir an. Das sind z. B. Gedichte mit denen ich viel anfangen kann, ebenso Rilke.


    Um auf die Eingangsfragen von Iris zurückzukommen. Lyrik ist m. E. nach nicht der reine Ausdruck der Innenwelt des Verfassers, sondern vorallem eine andere Art etwas zu erzählen. Was ist dabei zweitrangig. Lyrik ist für mich nur eine andere Form anderen Menschen etwas mitzuteilen.


    Gruss,


    Doc

  • Zitat

    Original von Iris


    <räusper> Das ist Diltheys Text, stammt letztendlich von dem Herrn Hegel. Goethe hat über sich Ansichten zum Thema Selbst(ent)äußerung des Ich in etlichen Briefen mokiert. :grin
    Die Auffassung, daß "Lyrik" subjektiv sei, wird hoffentlich eine nur temporäre Meinung bleiben. Jeder Text ist subjektiv --, und der Herr Hegel hat in seinen Vorlesungen zur Ästhetik einen ziemlichen Kappes erzählt. Aber leider einen wirkmächtigen Kappes. ;-)


    'Tschuldige, magali, daß ich da etwas drastisch werde, aber ich habe meine Abschlußarbeit über die Sapphodeutung geschrieben, und das war eine wahre Passionsgeschichte durch den aberwitzigen Irrgarten der Interpretation und der Vorstellungen, was Lyrik bittschön zu sein hat. Da gefielen einem am Ende wieder die Opitzens und Baumgartens ...


    Iris, ich habe es zwar nicht verstanden, aber Du hast sicher recht.
    Allerdings ziehe ich, praktisch wie ich nun einmal bin, es vor, über Literatur die reden zu lassen, die sie auch ausüben und nicht Philosophen, gleich ob staatlich oder kulturbeflissen (obwohl Dilthey zu den Vernünftigeren gehört), Germanistikprofessoren, KritikerInnen und JournalistInnen.
    Goethe, den bisherigen Quellenbefunden nach ein Ausübender der Profession, (auch wenn er damit wenig verdient hat), hat nun einmal drei Naturformen der Dichtung proklamiert. Sein Unterscheidungsmerkmal für die Lyrik war: die subjektivste.
    Ich bin nicht schuld daran! Nicht hauen!!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Wenn du mal nach Berlin kommst, lese ich Dir meine Lieblingsgedichte vor. Nach einer Flasche Oppenheimer Wein (oder zwei, oder drei...) verstehst Du die auch, ich schwöre es!


    da will ich dabei sein! :lache


    der penetrante bo!

  • Zitat

    Original von magali
    Allerdings ziehe ich, praktisch wie ich nun einmal bin, es vor, über Literatur die reden zu lassen, die sie auch ausüben und nicht Philosophen, gleich ob staatlich oder kulturbeflissen (obwohl Dilthey zu den Vernünftigeren gehört), Germanistikprofessoren, KritikerInnen und JournalistInnen.


    Das Problem ist, daß beides einander bedingt. Denn über einen sehr langen Zeitraum waren die Kritiker selbst Schrifsteller, oder man bewegte sich in denselben Kreisen, übte also direkten Einfluß aufeinander aus.
    Heute ist das auch noch so, allerdings quasi abstrahiert dadurch, daß man via Medien wie z.B. Zeitungen (Stichwort "Feuilleton") kommuniziert. Dennoch findet ein Austausch statt, und wenn man nur eine Seite anhört, verpaßt man die Hälfte.


    Zitat

    Goethe, den bisherigen Quellenbefunden nach ein Ausübender der Profession, (auch wenn er damit wenig verdient hat), hat nun einmal drei Naturformen der Dichtung proklamiert. Sein Unterscheidungsmerkmal für die Lyrik war: die subjektivste.


    Aber nicht Subjektivität und damit subjektive Beliebigkeit per se! Das ist der Unterschied zur Hegel-Dilthey-Kayser-Linie, deren Theorien die Entwicklung der modernen Befindlichkeitspoesie forciert haben. .grin


    Ich hau dich nicht, ich mag bloß diese Heinis nicht, deren Theorien dazu geführt haben, daß Lyrik in weiten Teilen zum beliebigen Schwachsinn degeneriert ist: Gut sei sie, wenn -- werkästhetisch -- der Dichter seine heißen Gefühle zum Ausdruck bringt (tunlichst unter Ignorierung jeglicher kalter Technik :rolleyes), bzw. wenn -- rezeptionsästhetisch -- das Werkchen im Leser/Hörer heiße Gefühle auslöst (wiederum unter Ignorierung jeglicher kalter Technik :rolleyes).
    Die Ergebnisse sind ästhetisch zumeist unter aller Sau, doch wenn du Kritik übst, schmettert man dich damit ab, daß du die Gefühle des Dichters/Lesers schlechtmachst und damit dessen Person -- schließlich handele es sich um Lyrik! :pille