Seelendieb – Astrid Vollenbruch (ab ca. 12 J.)

  • Wenn ein Abenteuer zu Ende ist, ist auch die Geschichte aus. So war das am Ende des sechsten Bands der Erlebnisse der zwölfjährigen Sonja und dem schwarzen Einhorn Nachtfrost. Das Land Parva war gerettet, eine Prophezeiung erfüllt.
    Aber tatsächlich waren noch einige Fragen offen, was die zugrunde liegende Geschichte angeht. Nun hat sich die Autorin daran gemacht, diese Fragen zu beantworten.


    Herausgekommen ist wieder ein Fantasy-Abenteuer für junge Teenager mit den bekannten Figuren. Sonja, ihre Geschwister Philipp, Corinna und der kleinen Paul, ihre Freundin Melanie, die frühere Motorroller-Gang, die inzwischen gezähmt ist, und auch denen, die der magischen Welt jenseits der Nebelbrücke angehören, allen voran Nachtfrost und der geheimnisvolle Ben Arvin.
    Ihr Alltagsleben zwischen Familie und Gestüt ist nur auf den ersten Blick in Ordnung. Tatsächlich ist die Lage ungemütlich geworden, weil es allmählich schwierig wird, die immer länger dauernde Abwesenheit der Besitzerin des Gestüts vernünftig zu erklären. Tatsächlich steht sie unter einem Straffluch und kann gar nicht zurückkommen.
    Das gerät rasch in den Hintergrund, als Nachtfrost Sonja überraschend warnt. Sie nimmt die Warnung nicht ganz ernst. Im nächsten Moment ist das Einhorn verschwunden. Sonja hat den Schock noch nicht überwunden, als Philipp und Melanie, die magisch mit der Nebelbrücke verbunden sind, spüren, daß etwas in ihre Welt eingedrungen ist. Und schon ist die ganze Umgebung in heller Aufregung, weil ein gefährliches Tier den Wald unsicher macht.
    Ausgerechnet der kleine Paul beschließt, daß das ein Abenteuer nach seinem Geschmack ist. Mit einem Dämon hat er nicht gerechnet. Die Folgen sind schlimm, schlimm ist auch, daß Sonja begreift, daß ihr ein Dämon auf den Fersen ist. Eine nicht ganz durchdachte Rettungsaktion bringt sie samt Melanie in eine völlig unbekannte Gegend der Welt Araun, wo sich so ziemlich alles gegen sie zu verschworen haben scheint. Was Sonja und Melanie erleben ist ganz anders als das, was sonst so in Abenteuerbüchern steht. Es ist eine furchterregende Realität, die tödlich sein kann.


    Auch wenn Sonja und ihre Freundin immer noch zwölf sind, ist ihr Abenteuer nicht auf eine kindliche Erlebniswelt beschränkt. Ben macht das ganz klar in einer beeindruckenden Szene mit Sonja. Abenteuer sind kein Ferienspaß. Zwischen Teenagergekabbel, Eifersuchtsanfällen und dem immerwährenden Ausloten der Haltbarkeit ihrer Freundschaft müssen sich Sonja und Melanie mit Fragen und Widerständen auseinandersetzen, wie sie auch Erwachsene bewältigen müssen. Sie stehen Gegnerinnen und Gegnern gegenüber, deren Reaktion nicht berechenbar ist. Sie machen Fehler, stolpern über eigene Vorurteile und sind gedankenlos. Das bringt nicht nur Spannung in die Geschichte, sondern auch eine Menge Denkanstöße.


    Es dauert ein bißchen, bis sich die Autorin warmgeschrieben hat, die Figuren wieder eingeführt sind und die Geschehnisse an das Zurückliegende angebunden. Aber dann geht es rasant weiter, es gibt neue tiefere Einblicke in die fremde Welt, die weit über übliche Teenager-Fantasy-Stereotypen hinausgehen. Die fremde Welt ist faszinierend und furchterregend zugleich, es wird viel Wert darauf gelegt, Fremdartiges darzustellen und ihm einen eigenen Wert zu lassen, ohne es an Vertrautes anzupassen. Es ist auch eine Erfahrung, die die jugendlichen ProtagonistInnen machen, daß sie mit einigem leben müssen, das sie nicht verstehen. Ebenso müssen sie mit ihren Fehlern und Fehlentscheidungen umgehen und Risiken auf sich nehmen, mit ungewissem Ausgang.


    Ein paar Fragen werden geklärt, man erfährt mehr über das Wesen von Geistern und Dämonen (faszinierende Idee!), aber mit jeder Antwort werden gleich neue Rätsel und Verwirrungen geliefert. Die Geschichte muß weitgehend ohne Nachtfrost auskommen, was zunächst schmerzt, aber sich als notwendig erweist. Es geht hier um die böse Seite des Abenteuerlebens, vom Haferschleim bis wütenden Dämonen.


    Es ist eine gelungene Fortsetzung, die zugleich der Weg in eine ganz neue Geschichte ist, voller Unerwartetem, noch ein wenig düsterer als das erste Abenteuer. Und natürlich endet es mit einem bösen Cliffhanger.


    Gelesen habe ich die gedruckte und gebundene Ausgabe.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus