T. C. Boyle - Hart auf Hart

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  • Der Verlag über das Buch
    Gegen die Gesellschaft – für die Freiheit: Der große Amerika-Roman von T. C. Boyle.


    Absoluter Freiheitsanspruch und Verfolgungswahn – T. C. Boyle erkundet in seinem neuen Roman die dunkle Seite der USA. Adam, den seine Eltern nach etlichen Schulverweisen und Therapiesitzungen aufgegeben haben, ist eine wandelnde Zeitbombe: In der Wildnis, wo er ein Schlafmohnfeld angelegt hat, führt er ein Einsiedlerleben und hortet Waffen gegen imaginäre Feinde. Aber es gibt jemanden, der sich in ihn verliebt. Sara hat ebenfalls ausreichend Feindbilder: Spießertum, Globalisierung, Verschwörer und die Staatsgewalt. Als sie Adam am Straßenrand aufgabelt, beginnt eine leidenschaftliche Liaison. Doch bald merkt Sara, dass Adam es ernst meint mit den Feinden, sehr ernst.


    Der Verlag über den Autor
    T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, unterrichtete an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt Willkommen in Wellville (Roman, 1993), América (Roman, 1996), Riven Rock (Roman, 1998), Fleischeslust (Erzählungen, 1999), Ein Freund der Erde (Roman, 2001), Schluß mit cool (Erzählungen, 2002), Drop City (Roman, 2003), Dr. Sex (Roman, 2005), Talk Talk (Roman, 2006), Zähne und Klauen (Erzählungen, 2008), Die Frauen (Roman, 2009), Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013) und die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014).


    Meine Meinung
    T. C. Boyles Roman „Hart auf Hart“ unterscheidet sich stilistisch etwas von seinen jüngsten Werken. Er ist härter und die Figuren sind skurriler. Fast scheint es, der Autor hat eine Art schriftstellerische Verjüngungskur durchlebt. Seine Figuren wirken unangepasster, eigenwilliger und wütender. Adam, der sich selbst als eine Art Waldläufer sieht und sich nach seinem Idol Coulter nennt, sieht um sich herum fast nur Alien. Feinde, die ihn nicht verstehen, die er bekämpfen muss, mit allen Mitteln. Dabei schreckt er auch vor Mord nicht zurück. Schon in seiner Kindheit zeigt er Anzeichen einer psychischen Störung, deren Behandlung verweigert er sich aber inzwischen. So wird er zum Gejagten, der die Polizei lange Zeit zum Narren hält. Trotz allem beginnt Sara mit ihm eine Affäre. Auch sie lehnt sich gegen die Staatsgewalt und das kleinbürgerliche Denken auf und sieht in der ersten Zeit ihres Verhältnisses zu Adam auf. Doch schon nach kurzer Zeit reduziert sich ihre Beziehung in erster Linie auf das Sexuelle, bis auch ihr bewusst wird, dass Adam eine tickende menschliche Zeitbombe ist, die zu explodieren droht. Er ist gegen fast alles, aber für eines, die Freiheit.


    So fremd einem die Charaktere der Protagonisten zu Beginn auch sein mögen, kann man sich sehr schnell in sie hinein versetzen und ihre Form der Gesellschaftskritik nachvollziehen. Sie wirken auf ihre Art glaubwürdig. Man muss sie nicht mögen und auch die Wahl ihrer Mittel nicht unbedingt gut heißen, um sie verstehen zu können. Beide sind Wutbürger im amerikanischen Stil. Die Konstruktion des Romans ist beeindruckend. Die Sicht von Adams Eltern auf die Szenerie würde fast den bürgerlichen Gegenpol bilden, wären da nicht die Ereignisse auf der Kreuzfahrt. Von der ersten Seite an entwickelte sich eine spannende Handlung, die bis zum Ende hin nicht schwächelte. Sprachlich ist dieser Roman auf einem sehr ansprechenden Niveau angesiedelt, auch wenn einige Szenen durchaus etwas vulgärer erscheinen, was aber gut mit dem Bild, das Adam abgibt, harmonisiert.


    T. C. Boyles Roman zeichnet das umfassende Bild zweier gesellschaftlicher Rebellen, die ihren persönlichen Feindbildern mehr oder minder entschlossen entgegentreten und die damit für eine düster-bedrohliche Atmosphäre sorgen, die der Lektüre durchgängig eigen ist. „Hart auf Hart“ ist ein fesselndes Buch, das seinen Titel vollkommen zu Recht trägt. T. C. Boyle ist ein Meister seines Fachs, der es versteht, den Leser auf (s)eine ganz besondere Art und Weise zu unterhalten.


    10 von 10 Eulenpunkten

  • Danke für diese sehr informative und interessante Buchvorstellung. Das Buch wird dann wohl auch demnächst in meinem Bücherschrank aufschlagen. Das was du schreibst, klingt sehr vielversprechend - und man kann eigentlich gar nicht anders als dieses Buch zu lesen. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Habe über die Hälfte durch und es scheint ein ganz wichtiges Buch zu sein. Habe nur auf die 10 Punkte geguckt, die ich bisher auch geben würde.

  • T. C. Boyles Romane lese ich sehr gern. Bei seinem letzten, "San Miguel", hatte ich den Eindruck, er wird mit seinen Figuren ein bisschen brav. Mit diesem ist er aber wieder ganz der alte Boyle, der skurrile, eigenwillige Typen kreiert, die man nicht mögen muss und das Buch trotzdem sehr gut finden kann. Ich kann euch nur empfehlen, lest es (bald). :lesend


    Danke für den Link, Dieter. Die Druckfrisch-Sendung wollte ich aufnehmen, hatte es aber dann vergessen.

  • Das Buch sprengt Grenzen. Boyle verführt den Leser, in die Haut des Wahnsinnigen zu schlüpfen, um mit ihm gegen das „Schweinesystem“ zu kämpfen. Ist das politisch korrekt? Natürlich nicht, das ist hart auf hart – hammerhart und gefährlich obendrein.


    Wie schlimm muss es bei uns sein, wenn schon ein US-Amerikaner den Verlust der Freiheit konstatiert? Und man fragt sich, warum bei uns so wenige ausflippen, in einem Land, in dem alles geregelt ist und fast alles kontrolliert und überwacht wird. Und wir sind längst noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt, denn auch bei uns werden noch allerlei Quoten, Nahrungsaufnahme-Verordnungen, Fenstergrößenreglungen, Feiertag-Handyverbote … folgen.


    Boyle deckt geschickt all die Selbstlügen, die zahlreichen Widersprüche und vor allem das Spießertum der ehrenhaften Bürger auf, so dass der Leser gezwungen wird, für den Menschen in der Revolte fast schon Partei zu ergreifen. Nicht alle werden so weit gehen und den drogensüchtigen Psychopathen Adam sympathisch finden, doch Saras Motive und ihre Auflehnung gegen den „Nazi-Staat“ werden bestimmt alle nachvollziehen können.


    Und genau das ist die Erziehungsaufgabe, die Boyle zwischen die Zeilen geschrieben hat: Eine Warnung!


    Ein Mensch, der den Anderen vor sich selbst schützen will und deshalb viele Regelungen und Gängelungen erfindet, wird nie verstehen können, warum der Andere irgendwann ausbrechen will. Er versteht weder den Geist der Pioniere, noch das Unabhängigkeitsstreben der Waldläufer. Deshalb hat er überhaupt keine Ahnung von der Kehrseite seiner Kontrollwut: Eine Gefahr, die immer größer wird.

  • Die Geschichte fängt gleich schon auf den ersten Seiten ziemlich spannend an. Und obwohl der Roman gut und sehr flüssig zu lesen ist, habe ich mich ungefähr in der Mitte des Buches gefragt: "Und was soll das Ganze jetzt?" Wo es nämlich ungefähr hinführen wird, ist leider schon im Klappentext etwas vorweggenommen worden. Aber natürlich habe ich weitergelesen, denn Boyle versteht es sehr gut den Leser gefangen zu halten. Als ich das Buch zugeklappt habe, war ich vom Ende nicht sehr überrascht, aber zufriedengestellt.


    Und erst dann begann diese Geschichte bei mir nachzuhallen. Man beginnt viele Fragen zu stellen. Wie sinnvoll sind manche Gesetze (speziell hier auch das Waffengesetz in Amerika), welche Chancen haben psychisch kranke Menschen in unserer Welt und noch viele Fragen mehr.


    Ich bin beeindruckt (und für die Bingo-Eulen unter uns: Ja, es ist auch ein Buch, bei dem mir ein paar Tränen kamen)


    9 Punkte

  • T.C. Boyle, ein großer Name. Ich habe in der Tat noch nicht viel von ihm gelesen, bin bei weitem kein Kenner. Dieses Buch von ihm sprach mich an. Leider schossen schon bald überall Kritiken dazu im Netz aus dem Boden. Und ich fühle mich dem Anspruch, dieses Buch hier nun zu rezensieren, fast nicht gewachsen. Fast fühle ich mich, als dürfte ich mich, die sich sonst nur durch seichte Unterhaltungslektüre liest, hier gar nicht meinungstechnisch herantrauen. Ich versuche es trotzdem.


    Sten ist 70 und mit seiner frau Carolee auf Kreuzfahrt. Sie Sonne scheint hart auf sie runter, eben weil sie halt da ist. Sie machen einen Tagesausflug nach Costa Rica, Naturwanderung steht auf dem Plan. Der Busfahrer ist mürrisch, warum macht man sowas überhaupt, setzt sich der Hitze und dem Stress aus, wenn man es auch zu Hause schön haben kann. Dann passiert es. Beim Stopp an der Ankunftsstelle werden die ältlichen Ausflügler überfallen. Sten, Ex-Marine, überkommt die Wut. Während alle betagten Reisenden stumm ihre Wertsachen abgeben, greift er sich einen der auf keinerlei Gegenwehr eingestellten Angreifer und nimmt ihn in den Würgegriff. Etwas zu hart, denn der Feind sinkt tot zu Boden und seine Komplizen ergreifen die Flucht. Sten wird flugs zum Helden, der Geschmeiss vom Boden Costa Ricas entfernt hat. Dabei geht ihm dieses Ereignis näher, als er alle glauben machen will.


    Zu Hause muss er sich wieder mit seinem seltsamen Sohn Adam befassen. Dieser ist 25, schon länger verhaltensauffällig. Er lebt abseits, im Haus seiner Großmutter, trägt Tarnanzug und ist in seiner Fantasie der legendäre Trapper John Colter. Adam lernt Sara kennen. Sara ist von Beruf Hufschmiedin und vom Geiste her Verschwörungstheoretikerin. Sie hat bizarre Ideen in Bezug auf ihre eigene Freiheit und der Bewachung und Bevormundung von Seiten des Staates. Bei einer simplen Verkehrskontrolle verweigert sie das Aushändigen des Führerscheins, was viele unangenehme Ärgernisse zur Folge hat, die Sara in ihrer Paranoia nur noch mehr bestärken. Diese kindische Verweigerung ist eine unglaublich bizarre Sache. Sie fühlt sich überwacht und verfolgt von ihrem eigenen Land. Das hat sie mit Adam gemeinsam. Obwohl sie viel älter ist, steht sie ihm in seiner geistigen Verwirrung in nichts nach, und so werden sie „ein Paar“. D.h. sie haben Sex, denn dieses Grundbedürfnis hat Adam in der Tat noch. Und das kann Sara befriedigen.


    Sten und Carolee sind erstaunlich blind und nachsichtig, wenn es um Adam geht. Sie erkennen das gefährliche Potential nicht, das in ihrem Sohn schlummert. Ebenso Sara, eine erwachsene, gestandene Frau, die in ihrer Paranoia geblendet ist und durch das vermeintliche Interesse, das ihr der junge, gut gebaute und sexuell überaus agile Adam entgegenbringt, befeuert wird und somit alle nur erdenklichen Ausflüchte für ihn bereit hält. Dann gibt es einen ersten Toten. Alle in der Umgebung machen „die Mexikaner“, die in den einsamen Wäldern Marihuana anbauen, dafür verantwortlich. Aber schon bald stellt sich das als falsch heraus.


    Diese um sich greifende Paranoia, diese unglaubliche Angst und das Misstrauen, das alle Beteiligten auf fremdes haben, ist bemerkenswert. Ja, diese ehrenwerten Bürger sind Spießer. Aber Sara z.B. ist für mich so außerhalb jedes Nachvollziehen. Zu denken, dass die Anschnallpflicht im Auto ein Eingreifen in ihre persönlichen Belange wäre, ist in meinen Augen schlichtweg nur dumm. Sie denkt, das macht sie frei, aber zu schauen, das sie mit ihren Gesetzesbrüchen durchkommt, macht sie in meinen Augen weniger frei und eher eingeengter, als wenn sie den Sinn dieser Gesetze und die Regeln für ein gesellschaftliches Miteinander , anerkennen würde. Ihre Freiheit könnte sie anders finden als kindisch gegen das vorzeigen ihres Führerscheins zu trotzen. Vielleicht bin ich ein Bequembürger, aber ich kann nichts heldenhaftes in Saras Verhalten sehen.


    „Hart auf Hart“ war ein schwieriges Buch für mich, voller paranoide Gedanken und Wut, für mich eine fremde Welt, anstrengend und vor allem schwer zu rezensieren. Ich habe mich auch hier ein wenig abgemüht mit dem Schreibstil des Autors. So ganz war es nicht meins. Es war mir auch insgesamt zu negativ. Ich habe einige Kritiken zu dem Buch gelesen. Einfach um abzugleichen, ob meine Gedanken dazu irgendwo wieder gespiegelt werden. Am ehesten wurde ich bei der [URL=http://www.fr-online.de/literatur/t--c--boyle--hart-auf-hart--oekokrieger-gegen-aliens,1472266,29709912.html]Frankfurter Rundschau[/URL] fündig und zitiere hier:


    Zitat

    das Ende ist absehbar und die Botschaft auch: Ein Junge mit Gewehr ist Mist. Dabei beschleicht uns der Verdacht, dass der Wahn und die Wut im Bauch nicht auf Adam beschränkt sind. Es muss gar nicht „diese ganze Heil-Hitler-Polizeistaat-Scheiße“ sein, die Sara aufregt. Ein Grund zum Amoklaufen, so Boyle in schönster Beiläufigkeit, sind schon die Playlisten im Radioprogramm.

  • Ich habe alles, wirklich alles von T. C. Boyle gelesen, wobei die Negativliste, die es tatsächlich gibt, bislang von der völlig überflüssigen, humorfreien und unfassbar langweiligen Architektenbiografie "Die Frauen" (2009) angeführt wurde. Bei "Hart auf Hart" bin ich ungefähr in der Mitte, aber es hat jetzt schon einen der vorderen Plätze auf dieser Liste sicher.


    Und das liegt an zwei Aspekten. Erstens. Seine Hauptfiguren sind Knalltüten. Ja, es geht in diesem Roman um Knalltüten, um Leute, die sich (noch) nicht im, aber direkt über dem Bodensatz der Gesellschaft befinden - irgendwo zwischen Prekariat, Proletariat und White Trash. Sara und Andy aber wirken unkonturiert, geschmacksarm und kaum nachvollziehbar. Sie sind Smoothies aus Hackfleisch und Erdbeeren. Das mag noch gut aussehen, wenn es ordentlich im Mixer bearbeitet wurde, aber es schmeckt scheiße. Und außerdem - zweitens - versteckt sich Boyle im Detail, und zwar im so überreichlichen Detail, dass es seine metaphorische Kraft verliert. Anders gesagt: Es geht in diesem Buch zu neunzig Prozent um Belanglosigkeiten, die belanglose Charaktere skizzieren helfen sollen. Man könnte die Geschichte, die ich bisher gelesen habe - wie gesagt: ungefähr die Hälfte - auch ohne jeden Verlust auf 20, 30 Seiten erzählen. Was interessiert mich die Häuslichkeit, die sich Andy und Sara in der Wüste aufbauen? Was die sich wiederholenden Mikrokonflikte? Was die immer gleichen Rituale, Äußerungen, Abläufe? Ja, lieber T. C., da sind zwei, die ein bisschen originell sind, vielleicht sogar ein wenig exemplarisch, und die Freiheit, um die es geht, befindet sich bei diesen Leuten in den falschen Händen. So what? Und warum bitte, lieber Herr Boyle, brauchst Du zehn, zwanzig Seiten, um einen spannenden Moment aufzubauen, der dann gleich wieder vorbei ist? Kann es sein, dass Deine Figuren und Dein Thema genau genommen nicht für einen Roman ausgereicht hätten? Mir kommt es so vor - und das finde ich ärgerlich. Und übrigens. Es ist langweilig. Vorhersehbar. Unempathisch.


    Vollständige Rezi folgt, sollte ich das Buch beenden. Sicher bin ich da noch nicht.

  • Sind Sie gelangweilt, Herr Boyle?


    Es gibt da einen Musiker, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der alle paar Jahre ein neues Album veröffentlicht. Das kaufe ich dann, höre es mir an, gehe ins Konzert und freue mich darüber, dass dieser Musiker immer noch aktiv ist. Tatsächlich aber ist das längst zum Ritual geworden, bei dem die Musik inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Okay, ein paar Sachen finde ich immer noch recht gut, aber eigentlich langweilt mich das Zeug. Der Mann ist fraglos nach wie vor ein großartiger Musiker, seine Auftritte sind beeindruckend, aber aus meiner persönlichen Sicht ist der Zug schon vor Jahren abgefahren. Ich hätte ihn fahren lassen sollen.


    Es gibt da einen Schriftsteller, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der inzwischen fast jährlich einen neuen Roman veröffentlicht. Den kaufe ich dann, lese ihn und ... ja, was eigentlich? Entschuldigung, lieber T. C., aber meistens ärgere ich mich. Diese lahme Architektenbiographie - "Die Frauen". Großer Gott. Dieser völlig vergurkte Identitätsraubroman mit dem Titel "Talk Talk". Oder dieses wirklich, wirklich äußerst langweilige Buch über Albert "Dr. Sex" Kinsey. Ganz zu schweigen von der seltsamen Inselmonographie "San Miguel", die wohl ein Spin-Off des okayen "Wenn das Schlachten vorbei ist" war, übrigens der einzige Boyle-Roman der letzten Jahre, den ich halbwegs spannend und interessant fand. Halbwegs: Fett, kursiv und doppelt unterstrichen.


    Und jetzt "Hart auf hart", multimedial angekündigt, mit viel Brimborium und der unvermeidlichen Adelung durch Denis "Druckfrisch" Scheck. Ehrlich, werter Herr Boyle, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Sie mir mit diesem Buch eigentlich erzählen wollten. Der doofe deutsche Titel hilft mir leider auch nicht weiter. Wer ist da hart? Und wer außerdem noch?


    Es beginnt mit einer Kreuzfahrt. Sten, ein gestandener Siebziger, Ex-Marine, ist mit seiner Ehefrau in Costa Rica unterwegs, auf einem Landausflug, als ein paar Gauner die Busladung reicher Rentner überfallen wollen. Eher aus Reflex killt Sten einen der Diebe. In seinem Heimatörtchen Mendocino, in den Redwoods von Kalifornien, wird Sten fortan als Held verehrt. Die Verehrung schlägt schnell ins Gegenteil um, als sich herausstellt, dass Stens durchgeknallter Sohn Adam im Wald Opium anbaut und mit seinem chinesischen Repetiergewehr Leute abschießt.
    Was die gesamte Handlung des Romans zusammenfasst. Ja, da ist auch noch Sara, die vierzigjährige Frau, freiberufliche Hufschmiedin, die "keinen Vertrag" mit den Ordnungskräften hat, also die US-Regierung für illegitim hält, und deshalb ohne Fahrzeugpapiere durch die Gegend schaukelt. Weil ihr Hund bei einer Verkehrskontrolle einen Polizisten beißt, kommt der Köter ins Heim. Auf dem Weg nach Hause liest Sara den herumstreunenden Adam auf und verliebt sich in ihn. Adam aber ist zu solchen Gefühlen nicht fähig, dafür hilft er Sara, das Tier zu befreien. Während sie völlig merkbefreit von trauter Zweisamkeit träumt, will Adam, nicht weniger realitätsfern, nur seinem Vorbild ähnlich sein, dem Waldläufer Colter, der zu Zeiten von Mason und Dixon im Busch unterwegs war.


    Auf knapp 400 Seiten gedehnt geht es (wieder einmal) ein bisschen um Naturschutz, um Drogenanbau, um alte (amerikanische) Freiheiten und neue (dito) Einschränkungen - und letztlich um zwei Leute, die, vorsichtig gesagt, etwas abseits stehen. Während Sara eher gedämpft verhuscht ist, hat der Knalltütenhammer bei Adam mit großer Wucht zugeschlagen. Leider bleibt beides auf der Behauptungsebene, und die Frage nach dem Warum ebenso unbeantwortet wie ungefähr ein Dutzend weiterer. Da das Buch aus der personalen Perspektive der jeweils handelnden Figur - Sten, Sara, Adam - erzählt ist, tauchen Formulierungen wie "das Rädchen rattert" (Adam bei der Betrachtung seiner eigenen Absonderheit) oder "ich habe keinen Vertrag mit ihnen" (Sara) häufig auf. Was da für ein Rädchen rattert oder was es gar zu bedeuten hat, dass Adam mal versucht hat, die chinesischen Aliens auf seine Seite zu ziehen, soll der Leser nicht erfahren. Das größte Rätsel aber lautet: Wozu diese Geschichte? Oder, kürzer: WTF?


    Ja, Herr Boyle, Sie sind ein akribischer, routinierter Erzähler. Ihnen gelingt es, auch aus dem belanglosesten Setting einen Text zu entwickeln, der sich immerhin gut lesen lässt. Mitunter ist es interessant, wenn es beispielsweise um den krassen Kontrast zwischen Mega-Malls und jahrtausendealten Wäldern drumherum geht. Oder sogar spannend, etwa, wenn Sten und ein Kamerad verdächtige Mexikaner jagen, die sie für Drogenbauern halten, die irgendwo im Wald betäubungsmittelhaltige Pflanzen ernten. Aber aus diesen und vielen weiteren Details will sich einfach keine Geschichte formen, der man irgendeine Thematik entnehmen könnte. Klar, es gibt Einzelthemen wie das Altern (Sten), Einsamkeit und Liebe (Sara), psychische Störungen (Adam), und die Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft (gähn), aber der kahlköpfige Waldteufel, der das alles vorantreibt, steht, von seiner Klatsche abgesehen, für nichts. Das ist nur einer, der frei herumläuft, obwohl man ihm das nicht gestatten sollte. Gut, vielleicht ist das Boyles Thema: Die Gefahr der weitgehend uneingeschränkten Freiheit(en). Aber dafür hätte eine Kurzgeschichte gereicht. Bei einer Short Story wäre wenigstens das fade Ende nicht so aufgefallen.


    Lieber T. C., ich muss abschließend leider zwei weitere schlimme Dinge über dieses Buch sagen. Erstens: Die Figuren wirken unecht, wie am Schreibtisch gemixt. Und zweitens: Man merkt dem Roman an, dass Ihnen das Schreiben keinen Spaß gemacht hat. Vielleicht ist das auch die Antwort auf mein Musikerproblem: Am Anfang, als die Verehrung entstand, hatte auch für ihn die eigene Musik noch große Bedeutung. Aber das hat irgendwann aufgehört, und dann war er nur noch Musiker - irgendein Musiker. Schade drum, vielleicht unausweichlich, aber immerhin kann man sich ja noch, wenn man mag, die alten Platten anhören. Oder die alten Boyles lesen, hinreißende Sachen wie die frühen Anthologien, oder "Willkommen in Wellville", "Grün ist die Hoffnung", "América" und, natürlich, "Wassermusik". Als Überbrückung, bis Ihnen das Schreiben wieder Spaß macht. Ich bin geduldig. Sie können doch mehr, als solche Ungeschichten wie diese hier herunterzurotzen.

  • Zitat

    Original von Tom
    Sind Sie gelangweilt, Herr Boyle?


    Es gibt da einen Musiker, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der alle paar Jahre ein neues Album veröffentlicht. Das kaufe ich dann, höre es mir an, gehe ins Konzert und freue mich darüber, dass dieser Musiker immer noch aktiv ist.


    Jackson Browne? :gruebel


    Der "Sind Sie gelangweilt, Herr Boyle-Beitrag" ist übrigens großartig! :anbet

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.