'Die Stadt der schweigenden Berge' - Seiten 242 - 332

  • Eigentlich könnte ich bei diesem Abschnitt Paradise Losts Gedanken komplett zittieren und einfach unterschreiben – dann wärs einfacher. :grin


    Zitat

    Original von Paradise Lost
    Ach ja, und der Moment das Wildschwein zu schütteln (ein klein wenig ;-) ) ist auch gekommen. Steht einfach stumm da und lässt alles mögliche über sich behaupten ohne zu widersprechen. Dummer sturer Kerl.


    So gings mir auch! Lässt sich der da (zweimal!) für irgendwas beschimpfen, was er gar nicht getan hat oder gar nicht ist. Es gibt nicht immer Leute wie Ögün Ebedi oder Bodo Hähnlein, die sich schützend vor ihn stellen. Er darf sich nicht selbst immer als Opfer sehen, sondern muss für sich selbst eintreten.


    Und dann ist mir ein anderer Gedanke gekommen, zu der auch die Erklärung von Charlie (auch wenn ich die erst danach gelesen habe) wunderbar passt:


    Zitat

    Original von Charlie
    Ich erlaube ihm, sich mit dem Ruecken zum Leser zu stellen (anfangs sogar physisch ...), der Leser kommt nicht mehr an ihn ran und sieht nicht, dass er in der Szene ganz fuerchterliche Angst hat und sich sehnlichst wuenscht, dass einer sagt: "Das stimmt doch alles gar nicht."


    Vielleicht braucht er einfach das Gefühl das sich jemand schützend vor ihn stellt. Er hat sein Leben lang Prügel bekommen, die meisten wahrscheinlich für gar kein Fehlverhalten oder unwichtige Kleinigkeiten und muss vielleicht jetzt lernen, anderen Menschen zu vertrauen. Zu vertrauen, dass sie es gut mit ihm meinen, dass sie zu ihm halten, auch wenn sie erstmal glauben, er hätte was angestellt oder wäre „ungebildet“. Weil er eine wertvolle Person ist, auch wenn er Analphabet wäre.


    Angst sehe ich da nicht so eher das (unbewusste) Gefühl nach Bestätigung. Schütteln möchte ich ihn trotzdem aber immer noch – schließlich ist äußerst riskant, was er da treibt! Wie oben schon geschrieben, nicht immer wird er auf solche Menschen treffen! Warum er allerdings seine Würde abgeben solll, wenn er sich selbst verteidigt, habe ich nicht verstanden. :gruebel


    Zitat

    Original von Paradise Lost
    Paul gibt in diesem Abschnitt keine sehr gute Figur ab. Er stapft von einem Fettnächpfen ins nächste, da tut er mir jetzt richtig leid. Sein ganzes Leben entgleitet ihm. Er will ja ein guter Kerl sein und zivilisiert und er mag es selber nicht, wenn er abwertend über den "Armenier" denkt, aber er ist auch kein Heiliger und ich denke kein Mensch kann erwarten, dass er einfach so klaglos zuschaut wie die Frau die er liebt sich an einen anderen hängt.


    Auch hier kann ich Paradise Lost nur zustimmen! Ich sehe Paul bei weitem nicht so kritisch, wie viele andere hier! Und noch ein Gedanke: für uns ist Bildung selbstverständlich und jeder kann sie mehr oder wenig „einfach“ erhalten. Doch zu Pauls Zeit 1931 war es eben nicht selbstverständlich, wahrscheinlich nicht mal, lesen und schreiben zu können. Man kam nur weiter, wenn man sich persönlich ganz schön ins Zeug legte und anstrengte. Und ich glaube, Pauls Schrecken über Armans vermeintlichen Analphabetismus liegt vor allem daran, dass er meint, Arman hätte sich nicht genügend um Bildung bemüht. Er – der sich sicher durch ganz schwierige Zeiten durchgekämpft hat – dagegen schon und trotzdem zieht Amarna Arman ihm vor. Also Schrecken nicht über mangelndes Lese- und Schreibvermögen sondern eher über vermeintlich fehlende Motivation und Anstrengungsbereitschaft.


    Merten nervt mich dagegen sehr! Ganz gewaltig! :schlaeger Nach Charlies Erklärung konnte ich mich im letzten Abschnitt etwas aussöhnen mit seiner Figur, aber das geht ja gar nicht! Besonders hinterhältig finde ich sein Aufhetzen von Paul und auch von Amarna. Zum Glück durchschauen das die beiden langsam aber sicher. Ich bin ja normalerweise ein sehr friedfertiger Mensch, aber kann nicht ihm der Felsblock auf den Kopf fallen? Nur ein bisschen, dass er nach Berlin zurückmuss oder zumindest nicht reisen kann. Warum ausgerechnet er nach Hattusa mitmuss, verstehe ich sowieso nicht. Aber ich denke, das hat mit dramaturgischen Gründen zu tun. :-]


    Ich hab mir natürlich schon Gedanken darüber gemacht, warum er so extrem ist. Hoffentlich gibt’s dafür eine einigermaßen ausreichende Erklärung. Mir sind momentan zwei mögliche Motive eingefallen.


    Möglichkeit 1 – Neben Hass sagt man ja der Liebe nach, sie sei das stärkste Gefühl. Steckt also eine (unglückliche) Liebe dahinter? Aber wie kann ein Neunjähriger daran schuld sein, dass Merten seine Liebe verlor?


    Möglichkeit 2 – da stimme ich hundertprozentig Streifi zu:


    Zitat

    Original von streifi
    Bei Merten haben ich ja auch das Gefühl dass er irgendwo Dreck am Stecken hat und nur Arman weiss es.


    Ich habe nämlich ohne ihr Posting zu kennen ebenfalls geschrieben: Merten hat Dreck am Stecken (viel Dreck!) und Arman weiß davon. Ein Gedanke! Und nun will Merten Arman entweder einschüchtern oder bestechen, auf alle Fälle von Amarna weghalten, um ihr nichts erzählen zu können.


    In diesem Abschnitt gefallen mir die vielen Spuren sehr gut, an denen wir rumrätseln können! :grin


    Aufdrängen tut sich natürlich dir Frage, wer den Stein manipuliert hat. Arman sicher nicht, da bleiben eigentlich nur Merten und Paul, die ja wussten, wo Amarna abends hinwill. Paul traue ich so eine Hinterhältigkeit überhaupt nicht zu (auch nicht im Totalsuff), der ist nicht der Typ dafür, Merten umso mehr. Aber ist das nicht zu naheliegend? Und dann noch der Geruch nach Amarnas Vater! Der ist ja auch einer der ganz großen Unbekannten in diesem Spiel!


    Auf bowulfs Idee wäre ich trotzdem nie und nimmer gekommen!


    Zitat

    Original von beowulf
    Der Anschlag, der ja wohl kein Mordanschlag sondern mehr eine Morddrohung war könnte ganz einfach Amarnas Vater zugerechnet werden, wenn man davon ausgeht, dass er gegen die Person gerichtet ist, die sich am häufigsten in diesem Raum aufhält.


    Oder aber:


    Zitat

    Original von Booklooker


    Oder die Schuld auf Arman schieben wollte.


    Das glaube ich mittlerweile auch! Ein ernstzunehmender Anschlag war es ja sowieso nicht, wie Amarna feststellt.


    Dann die Frage, wer aus den Unterlagen über die Expedition (von der ich gerne viel mehr gelesen hätte!) gestrichen wurde – es ist sicher jemanden, den wir kennen! Ich dachte an Amrans unbekannten Onkel Alex, der wurde ja mal kurz ganz am Anfang in diesem Zusammenhang erwähnt!


    Geklärt hat sich zumindest die Frage, warum Amran so perfekt deutsch spricht! Diesen Brief ganz am Anfang dieses Abschnitts fand ich schon sehr geschliffen, aber so ist es einleuchtend!


    Und auch die gemeinsame Geschichte von Amarna und Arman wird teilweise geklärt. Warum aber wird die Sache mit der harmlosen Schlange so hochdramatisiert?


    Aber jetzt gehts auf nach Hattusa! Endlich!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021


  • Hach, Lese-rina. Ich weiss jetzt gar nicht, ob ich dazu etwas sagen soll (das ist, fuercht' ich, eine der Standard-Einleitungen zu meinen Endlos-Postings). Eigentlich faende ich es richtiger, das so stehen zu lassen, statt zu erklaeren, wie und warum es fuer mich ein bisschen anders aussieht. Ich moecht' meine Sicht nicht dir/euch aufdraengen. Mir ist klar, ich hab ihn sich so hinstellen lassen, mit dem Ruecken zum Leser, dabei hab ich gewusst, dass man ihn so sehen kann, und er faende meine staendige Erklaererei absolut indiskutabel (und solche Einwuerfe als Tante Frieda wollt' ich in Zukunft eigentlich mal lassen, ehe noch mehr Leute an meinem Geisteszustand zweifeln).
    Ich finde das, was Du und Paradise geschrieben habt, ja auch ganz und gar nicht falsch (im Gegenteil) und ich moecht' mich auch nicht vor ihn stellen und ihm das Schuetteln ersparen (das faende er noch indiskutabler). Aber es kommt mir irgendwie auch unfair (au weia bin ich peinlich) vor, wenn ich nicht sage, dass ich das, was er in der Szene macht, verstehe und gern mag. Auch wenn es nicht klug, sondern der ideale Bumerang ist.


    Ich mag's trotzdem.


    Fuer mich ist es - auch - ein Versuch, seine Wuerde zu bewahren, indem man so tut, als haette man ein Entengefieder oder eine Stahlruestung oder beides, an dem/der das alles abgleitet, Beleidigungen, Beschuldigungen, Schlaege, Tritte. Das ist unschlau. Aber wenn man ueber lange Zeit die Erfahrung gemacht hat, dass "ich war das gar nicht" ueberhaupt nichts nuetzt, sondern einen eher noch tiefer reinreitet, ist es die einzige Moeglichkeit, die einem bleibt. Der totale Rueckzug in sich selbst und eine Macht-mal-kratzt-mich-nicht-Haltung, die natuerlich in aller Regel dazu provoziert, noch massiver draufzuhauen. (Was aber auch - so pervertiert das klingt - eine Art von Sieg ist. Arman provoziert ja Merten und Paul und holt die aus der Deckung, nicht umgekehrt. Pyrrhus-Sieg, ohne Frage. Aber das ist sicher keine Sache, ueber die er nachdenkt.) Aber vielleicht kann er dabei etwas bewahren, das fuer die Angreifer unantastbar bleibt.
    Die Haltung hat er sich angewoehnt, und die bekommt er so leicht nicht durchbrochen. Dazu muessen Ebedi und Amarna ihm erst ziemlich geduldig erklaeren, dass sie auf seiner Seite sind und keinesfalls bereit, irgendwas zu glauben, was irgendwer erzaehlt (das ist seine Grunderfahrung - dass das jeder glaubt). Und Bodo Haehnlein braucht's, der sagt: Kratzt mich eh nicht. Ich finde Sie groovy.


    Dabei lass ich's mal und lese das auch nicht nochmal durch, ums auf Verstaendlichkeit zu pruefen. Habe Angst mich zu erschrecken, und wollte es auch nur in den Raum stellen, NICHT AUFDRAENGEN.


    Deine Analyse von Paul finde ich einfuehlsam, fair und genau richtig! Und (ich bitte, mich dafuer wirklich nicht in die falsche Ecke zu setzen) ausserdem hab ich eben versucht, mir das zu ueberlegen, wie mein eigener aufgeschlossener, toleranter, menschenfreundlicher Freundeskreis reagieren wuerde, wenn eine von uns buchbesessenen Akademikerinnen glueckstrahlend ankaeme und erklaerte: Ich hab mir uebrigens einen bildschoenen berufslosen Menschen geangelt, der nicht lesen kann.
    Glueckwuensche fielen zweifellos eher betreten aus, und wenn man sich das "Haste dir das auch gut ueberlegt?" verkniffe, dann hoechstens aus political correctness, nicht aus Ueberzeugung.
    Ich finde: Was Paul in der Szene ablaesst, klingt schrecklich. Aber es ist nicht schrecklich gedacht.


    Und zur Schlange breche ich die (kleine!) Lanze, dass ich's, glaub ich, auch nicht sehr harmlos faende, wenn ich feststellen muesste, dass mitten in einem Giftschlangen-Gebiet im Bett meiner Fuenfjaehrigen eine Schlange liegt. (Obwohl ich Schlangen toll finde ...) Zuschlagen entschuldige ich nicht, Dramatsieren hat selbstredend einen anderen Grund, aber ausgerastet waer' ich, glaub ich, auch.


    Das Wichtigste:
    Ich bedank mich wieder mal bei Dir und freu mich ganz maechtig, dass ich Dich noch ein paar Tage an Bord habe.


    Einen froehlichen Freitag wuenscht Charlie


    P.S.: Und ich schnappe keineswegs ein, wenn Du - oder ein anderer - mir sagt: Du, hoer mal auf mit der vielen Erklaererei. Im Gegenteil. Ich bin ueber solchen Rat eher froh, da ich mir eben nicht sicher bin, wie's besser ist. Im Kollegenkreis heisst es immer: Erklaer bloss nicht Dein eigenes Buch, und das ist ja auch richtig, denn ein Roman, der sich nicht selbst erklaert, hat schon verloren. Aber ...

  • Danke, Zwergin.


    Mir kommt's nur staendig so vor, als haett' ich die zu gern, die Figuren in diesem Buch. (Fehlende Distanz zwischen Autor und Sujet usw. ...) Aber daran ist ja nu ooch nischt mehr zu retten.


    Ich bin jedenfalls froh, wenn Du Dich nicht fuehlst, als wollte ich etwas aufzwingen. Will ich nicht!


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie
    Und ich schnappe keineswegs ein, wenn Du - oder ein anderer - mir sagt: Du, hoer mal auf mit der vielen Erklaererei. Im Gegenteil. Ich bin ueber solchen Rat eher froh, da ich mir eben nicht sicher bin, wie's besser ist. Im Kollegenkreis heisst es immer: Erklaer bloss nicht Dein eigenes Buch, und das ist ja auch richtig, denn ein Roman, der sich nicht selbst erklaert, hat schon verloren.


    Gut, dann schreib ich dir jetzt mal was: Mach bloß weiter mit deiner Erklärerei! :grin


    Wie Zwergin lese ich deine Erklärungen gerne - übrigens genauso die von anderen Lesern! - und mir kommt überhaupt nichts aufgezwängt vor. Ich finde es interessant zu erfahren, wie dieses oder jenes gedacht ist oder auf andere wirkt. Aber dadurch muss ich diese Sichtweise noch lange nicht übernehmen. Das mag ich an Leserunden: unterschiedliche Ansichten und Interpretationen! Bücher, die das nicht hergeben, sind meistens langweilig.


    Eine andere Autorin hat hier irgendwo sinngemäß geschrieben: Sobald das Buch raus ist, ist es nicht länger "das Buch" des Autors, sonder jeder kann damit machen, was er will (also interpretationstechnisch). Damit muss der Autor dann leben, auch wenn Leser etwas anderes reinlesen, als er vielleicht gemeint hat. (Ich hoffe, ich habe das einigermaßen verständlich wiedergegeben).


    Das mit dem "Erklär bloß nicht das eigene Buch, das muss für sich selber stehen", würde ich hier nicht so sehen. Es ist ja nicht so, dass du jetzt etwas erklären müsstest, damit das Buch einen Sinn ergibt. Sondern hier geht es ja wirklich um Interpretationen und da gibt es kein "richtig" oder "falsch". Wenn jetzt erklärt werden müsste, warum Arman so anders ist, weil überhaupt nicht rausgekommen ist, welche Kindheit er hatte - dann würde ich auch sagen: das sollte man rauslesen können. Aber das kam ja auch deutlich genug zur Sprache.


    Mit deiner "Erklärung" von Armans Verhalten kann ich mich auch gut anfreunden und jetzt nachvollziehen, was du mit "Würde" gemeint hast. Ich finde diese Haltung durchaus verständlich und letztlich ist es wahrscheinlich sowieso ein ganzes Bündel an unbewussten Motiven, so und nicht anders zu reagieren.



    Zitat

    Und (ich bitte, mich dafuer wirklich nicht in die falsche Ecke zu setzen) ausserdem hab ich eben versucht, mir das zu ueberlegen, wie mein eigener aufgeschlossener, toleranter, menschenfreundlicher Freundeskreis reagieren wuerde, wenn eine von uns buchbesessenen Akademikerinnen glueckstrahlend ankaeme und erklaerte: Ich hab mir uebrigens einen bildschoenen berufslosen Menschen geangelt, der nicht lesen kann.
    Glueckwuensche fielen zweifellos eher betreten aus, und wenn man sich das "Haste dir das auch gut ueberlegt?" verkniffe, dann hoechstens aus political correctness, nicht aus Ueberzeugung.


    Ich stelle dich dafür wirklich nicht in die falsche Ecke, sondern finde es sehr ehrlich! Und jeder, der sich diese Frage ebenso ehrlich stellt, wird auf die gleiche Antwort kommen! Ich glaube, egal wie tolerant und menschenfreundlich wir sein wollen, manche Situationen erfordern uns im Moment und da fällt einem viel mehr das Schwierige und Negative ein als alles andere. Das finde ich auch nicht schlimm, sondern menschlich, wir sind nun mal keine Maschinen! Schlimm fände ich es nur, an diesem Punkt stehenzubleiben und nicht zu sehen, dass der andere ganz andere Vorzüge, Talente und Fähigkeiten hat!


    Auch mit dieser Schlangengeschichte: da hast du völlig recht! Auch hier finde ich es absolut menschlich und völlig verständlich, in dem Moment total auszuflippen! Das hat doch jeder irgendwann schon mal erlebt - man nimmt etwas wahr, zieht daraus (falsche) Schlüsse, und reagiert dann völlig über. Nur hinterher sollte man dann doch vielleicht mal fragen, welche Schlange es eigentlich gewesen ist und sich dann für seine Überreaktion adäquat entschuldigen. Und nicht nach fast 20 Jahren diese Geschichte wieder hervorkramen. Aber ich denke, da fehlen mir momentan noch zu viele Puzzleteile, um das wirklich einordnen zu können.


    Zitat


    Ich bedank mich wieder mal bei Dir und freu mich ganz maechtig, dass ich Dich noch ein paar Tage an Bord habe.


    Ja, da musst du wohl durch. :lache

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina


    Auch mit dieser Schlangengeschichte: da hast du völlig recht! Auch hier finde ich es absolut menschlich und völlig verständlich, in dem Moment total auszuflippen! Das hat doch jeder irgendwann schon mal erlebt - man nimmt etwas wahr, zieht daraus (falsche) Schlüsse, und reagiert dann völlig über. Nur hinterher sollte man dann doch vielleicht mal fragen, welche Schlange es eigentlich gewesen ist und sich dann für seine Überreaktion adäquat entschuldigen.


    Da bin ich sozusagen mit dir aehhh deckungsgleich.
    Nicht nur ueberlappend, sondern ueberlagernd, wenn das bitte jugendfrei gelesen werden koennte.
    Das habe ich auch die ganze Zeit gedacht, waehrend ich das Buch geschrieben hab, und zwar mit Gehaemmer im Kopf: Kann nicht einer von diesen Typen mal die Groesse haben, sich zu entschuldigen?
    Ich glaube, wirklich Scharen von Menschen (leider nicht ausschliesslich des Verfassers dieses Ergusses) begreifen ueberhaupt nicht, wie wichtig das sein kann, was das zuweilen fuer ein irrer Schmerzlinderungseffekt ist. "Fuer Entschuldigungen kann man sich nix kaufen" stimmt ja womoeglich. Aber die koennen einer enormen Verstoerung abhelfen, dem Gefuehl: Ich hab irgendwas total wichtiges, was ich nicht mal richtig blicke, total und unverzeihlich falsch gemacht.


    Nee, ich erzaehl dazu jetzt keinen Schwank aus meinem Leben.
    Aber das war halt in meinem Kopp auch.


    Ausserdem glaube ich, dass sich viele - nette - Menschen nicht entschuldigen, weil sie denken: Das ist ja viel zu schlimm, was ich da fabriziert habe, dafuer kann ich mich doch nicht entschuldigen. Kinder blutig schlagen gehoert da natuerlich unbedingt dazu. Der Betroffene kann sich davon aber nun mal wirklich nix kaufen, dass ich mich ins Kaemmerlein verkrieche und mich bis ans Lebensende schaeme. Sondern bleibt bis in alle Ewigkeit mit Das-muss-ja-wohl-an-mir-gelegen-haben sitzen.
    Ich finde Entschuldigen groovy. Auch wenn man nicht so ganz richtig weiss, was eigentlich abgelaufen ist, sondern nur sieht: Da hab ich offenbar ein Weichteil getroffen, das ich gar nicht treffen wollte, und jemandem wehgetan (darin sind wir Berliner ja anerkannte Weltmeister, und nee, den Schwank aus meinem Leben verkneif ich mir auch jetzt).


    Mehr sagen kann ich dazu ja nicht, weil ich dann wieder im Spoiler-Fettpott sitze.


    Bin sehr erleichtert, dass meine Erklaerererei Dich nicht nervt!


    Mit dem, was Du ueber Buecher, die nachher dem Leser gehoeren und nciht mehr dem Autor, hast Du unbedingt Recht (der hat schliesslich 9,99 dafuer bezahlt! Ich nicht ...). Ich habe damit auch ganz tolle Erlebnisse, bei denen ich dachte: Mann, wieso hab ich nicht den Leser das Buch schreiben lassen, der hatte bei weitem die besseren Ideen. Aber bei der Hatti tu ich mich - fuercht ich - ein bisschen schwer, deshalb hab ich Angst, das ich euch hier mit Zeugl vollsabbele, das euch den Spass an der Freude vollends versaut.


    Aber solange es fuer euch rund laeuft ...


    Ich freu mich auf dein naechstes Statement und hoffe, ich bekomme dich heil ins Ziel!


    Vielen Dank,
    Charlie

  • [quote]Original von Lese-rina
    Wie Zwergin lese ich deine Erklärungen gerne - übrigens genauso die von anderen Lesern! - und mir kommt überhaupt nichts aufgezwängt vor. Ich finde es interessant zu erfahren, wie dieses oder jenes gedacht ist oder auf andere wirkt. Aber dadurch muss ich diese Sichtweise noch lange nicht übernehmen. Das mag ich an Leserunden: unterschiedliche Ansichten und Interpretationen!/quote]
    :write So seh ich das auch. Gerade solche Szenen, wo man nicht in die Figur hineinschauen kann, haben natürlich sehr viel Handlungsspielraum und je nach persönlichen Erfahrungen reagieren die Leser da unterschiedlich.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Ich kann in den Kopf von Arman auch nicht reinschauen. Ich weiss nicht mal, ob ich recht habe.
    Ich glaub, in Schreibratgebern steht ziemlich oft: "Sagen Sie dem Leser nicht alles ueber die Figur, aber Sie als Autor muessen alles wissen."
    Wenn das stimmt, dann hab ich's hier falsch gemacht. Kratzt mich aber nicht. Es war viel zu schoen, es so zu machen, und man goennt sich ja sonst nix.