Aber aufnehmen nicht vergessen!
Ach, Paradise.
Zu Dir muss ich ja genau wie zu den anderen freundlich Willkommen im Ziel sagen, aber das faellt mir gar nicht leicht, weil es heisst: Heute Abend kann ich mich nicht wieder auf Deine Zusammenfassung freuen. Morgen auch nicht. Nie mehr. Eine von Deinen Zusammenfassungen zu meiner Hatti krieg ich nie wieder.
Ach mann.
Und da behauptest Du noch, Deine Beitraege waeren zu lang?
Anyway:
Vielen, vielen Dank!
Wenn Du mein Buch halb so gern gelesen hast wie ich Deine Zusammenfassungen, dann hat's Dir immerhin Spass gemacht.
Dass Du Dir Dokumentationen ueber Cuneiform-Deciphering anschaust (ist das nicht toll? Ich weiss jedenfalls, was ich mit meinem naechsten Leben anfange. Und dem naechsten. Und dem naechsten. Wirklich schade, wenn man da nicht so richtig dran glauben kann) und Gilgamesch rausholst, freut mich riesig.
Zu Deinen Fragen vorab - das muss ich jetzt wohl mal bekennen: Mir faellt auf, dass dieses kein Buch ist, bei dem sonderlich viel, was ich wollte, funktioniert hat. Mein Wunsch, subtil zu bleiben, Dinge anzudeuten, nichts aufzudraengen, nichts zu erklaeren, hat dazu gefuehrt, dass vieles fuer den Leser unsichtbar bleibt. Das ist gar nicht so toll. Ich hab das Buch nicht weniger lieb. Es bleibt das einzige Buch von mir, das ich selbst lesen wollte (und gelesen habe! Mehr als einmal). Aber es gibt mir schon ein bisschen zu denken, dass ich bei dem Buch, das die meisten Ueberarbeitungsgaenge hatte (der Verlag hat mir extra noch einmal die Zeit verlaengert. Und zwei Ueberarbeitungsgaenge haben komplett in Yerevan stattgefunden ...), offenbar die festesten Scheuklappen um hatte.
Das bestaetigt leider etwas, das man im Prinzip vorher wusste, aber nicht so gern wahrhaben will: Zu wenig Distanz zwischen Autor und Thema/Geschichte tut dem Ergebnis nicht gut.
Das Problem ist nur:
Zu wenig Distanz zwischen Autor und Thema/Geschichte macht aus Schreiben Glueck.
Wie soll man sich da entscheiden?
Ganz klar - fuer den Leser. Sonst kann man das Ding ja nicht verkaufen. Aber so ganz einfach ist das nicht. So ein Mensch ist ja genusssuechtig. Und wenn man das einmal erlebt hat ...
Never mind. SO intensiv wird's mir nicht nochmal passieren, und das Buch, das ich danach geschrieben habe, war ein solider Kompromiss. Ich bin eigentlich sicher, das funktioniert fuer die Leser besser.
So, jetzt im Einzelnen:
Zum Museum: Arman ist besessen von diesen Tafeln. Er will die alle, die anderswo hingekommen sind, sehen, und eigentlich will er die auch alle zurueckklauen, da er meint, die gehoeren ihm.
In Berlin ist er, weil er Tilman belauern will, aber der Versuchung, an die Tafel dranzugehen, kann er nicht widerstehen.
Das ganze Ding mit der Entzifferung dieser Tafeln ist eine von zwei Ersatzhandlungen, um irgendwie doch noch an diesen Vater ranzukommen (die andere ist: ihn zu raechen). Mir ist das am allernaechsten vom ganzen Buch gegangen, dieses Vater-Zeugs und die Hethiter, die keinen Tag des Vaters haben. Und davon steht offenbar ueberhaupt nix drin. Das macht mich schon traurig. Vor lauter Angst, irgendwas ueberzuerklaeren oder beim Leser auf Knoepfe zu druecken (was ich halt selbst so ueberhaupt nicht abkann), habe ich nichts gezeigt. Sehr schade. Verschenktes Potential.
Rehan gehoert in die gleiche Kiste. Das ist seine geklaute Ersatzschwester. (Ja, im zweiten Buch hat die noch mal einen grossen Auftritt, das ist aber nicht ihre Funktion, denn als ich dieses geplant habe, gabs ja noch gar kein zweites!) Ich brauch die natuerlich auch noch, um zumindest im Ansatz zu zeigen, was aus low-resilience-Todesmarschkindern (die absolut uebrigblieben, von denen niemand mehr herausbekommen konnte, von wem sie stammten) haeufig wurde, um einen Kontrast zu haben und um zu zeigen: Die kann man nur noch beschuetzen, fuer einen Safe haven sorgen, heilen kann man da nix mehr. (Ich wuerd dazu gern noch was sagen, trau mich aber nicht, habe furchtbare Angst, falsch verstanden zu werden. Rehan hab ich mal gesehen. Und nie vergessen. BITTE NICHT WEITERLESEN, wenn das Probleme macht und BITTE nicht falsch verstehen. In Filmaufnahmen die Sowjetarmee bei der Befreiung des KZ Auschwitz gedreht hat. Diesen Film muss man sich in Auschwitz fuer seine Gruppe abholen, man muss sich dazu in eine Schlange stellen und dann an der Ausgabe die Sprache angeben, in der man den Film braucht. Ich hab mich a immer ewig in der Ecke rumgedrueckt und abgewartet, weil ich mich nicht getraut habe, da hinzugehen und vor allen Leuten: "Deutsch" zu sagen. Na ja. In diesen Aufnahmen gibt es auch welche aus dem provisorisch errichteten Krankenlager, in das Haeftlinge verbracht wurden, und eine ist von einem Maedchen, fuer das medizinisch nichts mehr getan werden kann. Es kann nur noch versucht werden, dass es sich beim Sterben sicher und warm fuehlt, und diese Maenner in Armeemaenteln sitzen dann um das Bett und streicheln das Maedchen. Natuerlich ist dieser Film auch propagandistisch, das war ja vor 89. Aber vergessen hab ich das trotzdem nicht. Das Maedchen musste mal in ein Buch von mir, glaub ich. Sorry. Danke fuers Lesen. Bitte nicht falsch verstehen.) Fuer ein paar dramaturgische Kleinigkeiten konnt' ich sie dann auch noch benutzen, aber das spielt keine Rolle.
Leider, leider, davon stand wohl auch nix in meinem Buch.
Verteidigen will ich aber meine Entscheidung, keinen weiteren Hattusa-Teil zu schreiben, auch wenn das fuer den Leser unbefriedigend ist, das finde ich nach wie vor groovy: Wie das alles zu deuten ist, wissen wir doch heute immer noch nicht. Ich wollte das basically an der Stelle stehen lassen, an der die Archaeologen sind (wobei ich natuerlich aus den nackten Fakten eine wilde Geschichte gemacht hab), hinschmeissen und sagen: So, den Rest koennt ihr euch ausdenken. Amarna denkt sich ihr's. Das ist recht wahrscheinlich. Aber wir wissen's nicht.
Dass mein Liebespaar nicht bei Dir punkten konnte, finde ich natuerlich auch schade, aber da haett' ich, denk' ich, nix machen koennen, auch ohne Scheuklappen nicht. I love them. Can't help it. Ich kann das nicht mal hinschreiben, ohne daemlich zu grinsen. Tante Frieda halt. Na ja ... vermutlich sind gerade das die Scheuklappen.
Dass Arman voellig allein daran schuld ist, dass er Buelent falsch verstanden hat,wollt' ich auch nicht gesagt haben. Buelent drueckt sich auch nicht sehr klar aus, das wollt' ich eigentlich mehrmals zeigen.
Maenner bitte das hier nicht lesen, ich habe keineswegs vor, hier Mann-Frau-Klischees, von denen wir alle eh zur Genuege genervt sind, plattzutreten, und meins alles andere als boese. Eher fasziniert und bewundernd.
Ich bin ja eine lebenslange begeisterte Maennerbeobachterin (aufgewachsen mit vier Bruedern, immer mit deutlich mehr Maennern und jetzt ausschliesslich mit Maennern lebend). Und nach wie vor voellig gefesselt von den Seiten des Phaenomens Mann, die ich als voellig anders und von der Durschschnittsfrau als nicht nachahmbar empfinde. Eine davon ist diese Nicht-Verstaendigung.
Mein Mann (ein beredter, eloquenter Lehrer und Kuenstler!) kann zum Beispiel stundenlang mit seinem partiell bei uns lebenden Bruder (ein beredter, eloquenter Filmemacher) zusammensitzen und "sich ueber ein wichtiges Thema unterhalten".
Spaeter spielen sich zwischen ihm und mir dann Dialoge dieser Art ab:
"Hast du Rob wegen XYZ gefragt."
"XYZ? Ja! Hab ich!"
"Und was hat Rob gesagt?"
"Rob? Gesagt? Wozu?"
"Na du wolltest dich doch mit ihm ueber XYZ unterhalten."
"XYZ? Ja. Stimmt. Da hat er was gesagt."
"Was denn?"
"Du, das hatte ich nicht richtig verstanden."
"Und wieso hast du dann nicht nachgefragt?"
"Nachgefragt? Haett ich das machen sollen?"
Manchmal habe ich das Gefuehl, meine Brueder, meine Soehne, mein Schwager mein Mann, mein Vater koennen ewig vollkommen gluecklich beieinander sitzen und mehr oder minder durch in Abstaenden ausgestossene Brummlaute kommunizieren.
In dem Moment wo dann eine Frau (ich) dazukommt, aendert sich das schlagartig, sie werden charmant, gespraechig, sagen sogar Sachen, die Sinn haben ...
Aber wenn da nun zwei sechs Jahre lang vor sich hin brummend aufeinandersitzen? 1915? Die sagen sich doch nicht: Du, ich hab dich fuerchterlich lieb. Die machen das mit diesen Lauten und irgendwelchen Sprachersatzhandlungen. (Zaertlichkeit ist eine gut verstaendliche. Aber so richtig wahrscheinlich bei den zweien halt auch nicht.) Und die sind eben ziemlich leicht fehlzuinterpretieren, vor allem wenn man dazu praedestiniert ist, zu hoeren, was man eh schon im Kopp hat.
So ungefaehr war's jedenfalls gemeint.
Und letztens: Dass ich Ohr schon mal hatte, ist mir jetzt echt peinlich. Tut mir total leid, das war mir ueberhaupt nicht praesent. Diese Medizin-Sachen macht mir immer mein Bruder - ich schildere ihm die Symptome und Umstaende, die ich brauche, und er sucht mir ne Krankheit. Haett' ich mich erinnert, dass ich Ohr schon mal hatte, haette ich ganz unbedingt darauf gedrungen, etwas anderes zu bekommen, denn solchen Vergleich wollte ich auf gar keinen Fall heraufbeschwoeren. Das tut mir jetzt sehr leid.
Ich glaub' das war's, oder? Und ich fange mal wieder ewig zu spaet mit meiner Arbeit an ... Never mind. Wenn ich was vergessen habe, bitte noch mal nachfragen, mich freut's jederzeit.
Und ansonsten bleibt mir nur - das ist aber wirklich last but not least - mich ganz ganz herzlich noch einmal zu bedanken.
Alles Liebe von Charlie