'Die Korrekturen' - Seiten 635 - Ende

  • Dieser letzte Abschnitt hat mich sehr mitgenommen. Der war für mich voller Emotionen.


    Es ist schön, dass Enid am Ende so eine Art Frieden mit sich und dem, in ihren Augen immer noch nicht korrekten Leben, ihrer Kinder findet.


    Aber ich kann es immer noch nicht fassen, dass Enid jeden Tag ins Pflegeheim zu ihrem Mann geht, nur um ihn ständig daran zu erinnern, dass er ihr nicht genug war und dass er immer im Unrecht war. Und alles nur, weil sie sich von seinem guten Aussehen hat blenden lassen, weil er ihre Erwartungen nicht erfüllt hat, weil sie mit sich unzufrieden ist, den Weg der Ehe gewählt zu haben, anstatt auf eigenen Beinen zu stehen? Ich kann das nicht verstehen.


    Der Moment in dem Chip erkennt, dass sein Vater ihn liebt so wie er ist, fand ich wunderbar erzählt. Diesen Schlüsselmoment, der sich ja schon durch seine seltsame Art der Anreise aus Litauen, die durchgemachte Todesangst usw. andeutete, war einfach schön. Und dann übernimmt er sogar das erste Mal im Leben die Verantwortung für einen anderen Menschen.
    Ich habe ihm sein Glück am Ende wirklich gegönnt.


    Gary sucht sich endlich ein eigenes Hobby und erkennt, dass es die Eisenbahnen sind, die ihn, ähnlich wie seinen Vater, immer noch faszinieren. So kommen er und Caroline sich wohl nicht mehr allzu häufig in die Quere bei ihrer Art der Freizeitgestaltung. Das dürfte dem Eheleben und dem Familienfrieden gut tun. :lache
    Oder auch die Situation als Denise begreift, was ihr Vater für sie getan hat. Alfred hat so viel für seine Familie zu tun versucht, auf seine sprachlose und auch rüpelhafte Art. Ich hätte ihm gewünscht, dass er seine emotionale Seite mehr hätte zeigen können, vielleicht hätte Enid ihm ja dann seine Makel verziehen und seine Kinder ein leichteres Leben gehabt.

  • Mir fehlen noch 30 Seiten, daher nehme ich mal noch keinen genauen Bezug zu deinem Beitrag, Saiya. :wave


    In einem geben ich dir vollkommen Recht: Dieser letzte Abschnitt geht richtig an die Substanz.
    Im gleichen Zug wie der "alte" Alfred, der Vater, der Macher, aus dem Leben der Familie entschwindet, wird er für den Leser und zumindest für Denise klarer und deutlicher. Al hat jahrelang mit einem für ihn ungeheuerlichen Geheimnis gelebt und es seiner Tochter zuliebe bewahrt.
    Mich hat Denises Mitgefühl für ihren hinfälligen, in seiner Bedürftigkeit unansehnlichen Vater sehr berührt.


    Und jetzt lesen ich zu Ende.

  • Yeah, ich hab´s geschafft...


    hm, der Moment, auf den Enid so lange gehofft hat, nämlich zumindest das Grundgerüst ihrer Familie zu Weihnachten um sich zu versammeln, währte nun nur ein paar Minuten. Sie tat mir direkt leid (auch und vor allem weil ihre Enkel, schön unfair manipuliert von Caroline, nicht mitgefahren sind).


    Gary ist furchtbar anmaßend - und hat doch in gewisser Weise Recht mit dem, was er meint. Nur, dass man als Kind eben akzeptieren muss, dass die Eltern selber entscheiden und dahinterkommen müssen, was für sie wann am besten ist.


    Alles in allem hatte ich zum Schluss das Gefühl, dass sie alle erwachsen geworden sind.


    Und dass die Natur es ganz nett eingerichtet hat, dass Frauen (im Normalfall) länger leben als Männer (und sie somit noch einmal die Chance haben, ihr ganz eigenes Leben zu leben, ohne Kinder, ohne Mann).


    Schönes Buch. Manchmal mit fast schon zu intimen Einblicken hinter die Fassaden und Wände.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Yeah, ich hab´s geschafft...


    hm, der Moment, auf den Enid so lange gehofft hat, nämlich zumindest das Grundgerüst ihrer Familie zu Weihnachten um sich zu versammeln, währte nun nur ein paar Minuten. Sie tat mir direkt leid (auch und vor allem weil ihre Enkel, schön unfair manipuliert von Caroline, nicht mitgefahren sind).


    Ich will nicht nur auf Caroline rumhacken, denn bei aller Kritik, habe ich in manchen Dingen auch Mitleid mit ihr. Aber das nur nebenbei. In diesem Fall allerdings hätte ich ihr empfohlen, dass sie noch ein mal über ihren Schatten springt und guten Willen Zeigt, weil es vielleicht ja wirklich das letzte mal sein könnte. Ihre Angst ging aber wohl eher dahin, wieder einen Präzedenzfall zu schaffen und eine neue, von ihr ungewollte Tradition.


    Zitat

    Gary ist furchtbar anmaßend - und hat doch in gewisser Weise Recht mit dem, was er meint. Nur, dass man als Kind eben akzeptieren muss, dass die Eltern selber entscheiden und dahinterkommen müssen, was für sie wann am besten ist.


    Findest du? Also im Großen und Ganzen schon, aber ist es nicht so, dass Eltern wenn sie alt geworden sind, auch manchmal HIlfe und den anderen Blickwinkel der erwachsenen KInder brauchen, um sich der sich verändernden Welt anpassen zu können, die man nicht mehr in allen Details versteht oder mit nutzt?


    Zitat

    Schönes Buch. Manchmal mit fast schon zu intimen Einblicken hinter die Fassaden und Wände.


    Ich fand das Buch auch sehr intensiv mit vielen Denkanstößen, stellenweise zwar auch überspitzt, aber dafür ist es ein Roman.
    Ich bin jedenfalls froh, dass jemand das Buch vorgeschlagen hat. Sonst wäre es mir entgangen.


  • Nein, ich hacke ja auch nicht auf ihr herum. Aber ich kenne die Situation mit der schwierigen Schwiegermutter (sollte eigentlich Schwieriger-Mutter heissen :lache) und fahre im Prinzip auch nicht mehr hin, würde dagegen jedoch die Kinder nicht von ihr fernhalten, weil es nicht fair ist. Man kann Kinder dahin manipulieren, dass sie glauben, es selber nicht zu wollen oder es nicht tun, um demjenigen Elternteil zu gefallen, aber irgendwann kommt dann immer der Zeitpunkt, wo sie es bereuen, weil die Großeltern dann nicht mehr da sind.


    Was die Eltern und das Älterwerden derer betrifft, kann ich noch nicht so ganz aus eigener Erfahrung sprechen, aber ich beobachte, was bei anderen Familien geschieht und denke, dass jeder Mensch seine eigene Geschwindigkeit hat, Entscheidungen zu treffen oder vor sich selber zuzugeben, dass es nicht mehr geht.
    Meine Oma ist z. B. gerade 83 geworden und hat noch ein kleines Ferienhaus am See mit Grundstück, das sie allein in Schuss hält UND fährt noch jedes Jahr im Winter für mind. 4 Wochen nach Tunesien. Wenn es nach meinem Bruder ginge, hätte sie das vorletztes Jahr schon aufgegeben, aber sie will weitermachen. Sie muss viel Energie dafür aufwenden, sich dagegen zu wehren.
    Wenn es um einen kranken Elternteil geht, sieht die Sache sicher anders aus. Irgendwann kommt halt der Punkt, wo es nicht mehr geht, aber Enid konnte noch. Mit der Endlösung ging es ja auch allen besser - ausser Alfred.


    Ich bin auch auf jeden Fall sehr froh, das Buch gelesen zu haben, es war richtig komisch vorhin, ein neues Buch zu beginnen. :wave

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Inzwischen habe ich das Buch dreimal (gut, beim drittenmal nur auszugsweise) gelesen. Jedesmal hat mich ein anderer Aspekt besonders berührt.
    Logischerweise, weil für mich selbst jedesmal ein anderer Lebensabschnitt dran war.
    Ich denke, das macht ein gutes Buch aus: immer wieder neue Erkenntnisse über sich selbst zutage zu fördern.


    Diesmal war es, dass Alfreds Krankheit es für seine Kinder leichter gemacht hat, ihm endlich einmal näher zu kommen. Als müsste die harte Schale der Disziplin durch die Krankheit aufgebrochen werden und Platz machen für einen anderen Alfred.
    Es ist ein wenig die Geschichte meines Vaters, der erst Gefühle zulassen konnte, als sein Geist durch Alzheimer völlig verwirrt war.


    Allerdings empfinde ich Caroline immer noch als intrigantes Biest, die ihre Jungs benutzt um ihren Mann zu strafen und sie gleichzeitig ihren Schwiegereltern zu entfremden. Es kann sein, dass ihre Kinder ihr das irgendwann sehr übelnehmen.
    killerbinchen, ich kenne die Situation mit der nicht ganz einfachen Schwiegermutter auch gut. Es ist aber ein Unterschied, ob man mit ihr leben muss, was ich nie getan hätte, oder ob man sie einmal im Jahr besucht und dabei die Ohren auf Durchzug stellt. Das habe ich einfach den Kindern zuliebe gemacht, die ihre Großmutter sehr geliebt haben.

  • Ich sehe es genau so wie du: Das Buch hat so viel! Ich denke, dass ich es auf jeden Fall irgendwann noch einmal lesen werde.


    Zitat

    Diesmal war es, dass Alfreds Krankheit es für seine Kinder leichter gemacht hat, ihm endlich einmal näher zu kommen. Als müsste die harte Schale der Disziplin durch die Krankheit aufgebrochen werden und Platz machen für einen anderen Alfred.
    ...


    Ich finde, auch für die Beziehungen der Geschwister untereinander war diese Extremsituation sehr wichtig. Chip und Denise habe vielleicht eine ganz neue Position zueinander gefunden, wenn sie sie nicht zum Teil schon immer hatten. Und Gary? Nun, zumindest wissen alle jetzt, wo und wie sie zueinander stehen. Gary kann nicht aus seiner Haut, und wirklich ernsthaft versucht er es auch nicht. Schade für ihn, aber manche Dinge sind eben wie sie sind.

  • Zitat

    Original von Clare
    ...


    Ich will nicht nur auf Caroline rumhacken, denn bei aller Kritik, habe ich in manchen Dingen auch Mitleid mit ihr. Aber das nur nebenbei. In diesem Fall allerdings hätte ich ihr empfohlen, dass sie noch ein mal über ihren Schatten springt und guten Willen Zeigt, weil es vielleicht ja wirklich das letzte mal sein könnte. Ihre Angst ging aber wohl eher dahin, wieder einen Präzedenzfall zu schaffen und eine neue, von ihr ungewollte Tradition. ...


    Ich fand es sehr geschickt vom Autor, dass er an Weihnachten nur die Kernfamilie in St. Jude versammelt hat.
    Auch ich empfand diesen letzten Abschnitt sehr intim und ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass Caroline und auch der kleine Jonah nur gestört hätten. Sie hätten nicht dazu gepasst.
    Das Wechselspiel zwischen peinlichem Berührtsein, Mitleid, Entsetzen, Freude, das ist Franzen wirklich gut gelungen.
    Ich hätte es Alfred sehr gegönnt, dass er es noch geschafft hätte, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen. So zu altern ist doch entwürdigend.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    ...
    Diesmal war es, dass Alfreds Krankheit es für seine Kinder leichter gemacht hat, ihm endlich einmal näher zu kommen. Als müsste die harte Schale der Disziplin durch die Krankheit aufgebrochen werden und Platz machen für einen anderen Alfred.
    Es ist ein wenig die Geschichte meines Vaters, der erst Gefühle zulassen konnte, als sein Geist durch Alzheimer völlig verwirrt war.
    ...


    Das hast du sehr schön ausgedrückt. :anbet
    Alfreds Krankheit legt auch alle Charaktereigenschaften der Familienmitglieder bloß.
    Überhaupt ist die Entwicklung der Figuren das , was mir am besten gefallen hat.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Clare
    ...
    Ich finde, auch für die Beziehungen der Geschwister untereinander war diese Extremsituation sehr wichtig. Chip und Denise habe vielleicht eine ganz neue Position zueinander gefunden, wenn sie sie nicht zum Teil schon immer hatten. Und Gary? Nun, zumindest wissen alle jetzt, wo und wie sie zueinander stehen. Gary kann nicht aus seiner Haut, und wirklich ernsthaft versucht er es auch nicht. Schade für ihn, aber manche Dinge sind eben wie sie sind.


    Diese Familie braucht ihren Gary, denn sonst würde Alfred sich immer noch allein aus der Wanne quälen. Gary bringt die Tatsachen auf den Tisch und das war in dem Moment genau richtig.
    Er ähnelt Alfred am meisten. Ich habe Hoffnung, dass er in seiner eigenen Familie zumindest die Beziehung zu seinen Kindern verstärkt.


    Mir hat das Buch auch sehr gefallen und ich bin froh, es mit euch gelesen zu haben. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Diese Familie braucht ihren Gary, denn sonst würde Alfred sich immer noch allein aus der Wanne quälen. Gary bringt die Tatsachen auf den Tisch und das war in dem Moment genau richtig.
    Er ähnelt Alfred am meisten. Ich habe Hoffnung, dass er in seiner eigenen Familie zumindest die Beziehung zu seinen Kindern verstärkt.


    Mir hat das Buch auch sehr gefallen und ich bin froh, es mit euch gelesen zu haben. :wave


    Du hast Recht, Gary ist der praktische Teil der Familie, auch wenn sein Drängen zu Entscheidungen und dem Schaffen von Tatsachen die in der Familie, die erstmal darüber reden und nachdenken wollen, nervt. Ich wünsche ihm, dass er es auch in seiner eigenen Familie, seiner Beziehung zu seiner Frau und den Kindern, schafft, etwas mehr anzupacken und auch seine Wünsche oder sein Missfallen zu äußern. Dass das meiste in seinem Kopf ausgemacht wird, treibt ihn sonst irgendwann weiter in die Depression. Er muss noch lernen, dass die anderen nicht erahnen können, was einen stört oder was man sich wünscht und dass man manchmal nicht starr auf seinem Recht beharren muss, wenn andere dabei Verletzungen von sich tragen. Er kann ein gutes Leben habe, muss es nur noch erkennen.


    Ich bin auch sehr froh, dass jemand das Buch vorgeschlagen hat (warst du das, Frau Regenfisch?). Es wäre mir sonst entgangen, was ich sehr bedauern würde. Ein wirklich gutes Buch!

  • Zitat

    Original von Clare
    ...
    Ich bin auch sehr froh, dass jemand das Buch vorgeschlagen hat (warst du das, Frau Regenfisch?). Es wäre mir sonst entgangen, was ich sehr bedauern würde. Ein wirklich gutes Buch!


    Jepp, das war ich.
    Ich habe es von einer lieben Freundin geschenkt bekommen, auf deren Geschmack ich mich verlassen kann. :knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Inzwischen habe ich das Buch dreimal (gut, beim drittenmal nur auszugsweise) gelesen. Jedesmal hat mich ein anderer Aspekt besonders berührt.
    Logischerweise, weil für mich selbst jedesmal ein anderer Lebensabschnitt dran war.
    Ich denke, das macht ein gutes Buch aus: immer wieder neue Erkenntnisse über sich selbst zutage zu fördern.


    Das kann ich gut nachvollziehen. Denn ich bin mir sicher, dass ich dieses Buch irgendwann noch einmal lesen werde. Ich bin ehrlich gesagt auch noch nicht ganz fertig damit. Das schwirrt immer noch in meinem Kopf herum und immer, wenn hier jemand noch etwas geschrieben hat, habe ich das gelesen und war wieder mittendrin. Wenn das nicht "Nachhaltigkeit" ist, was dann? :-)
    Es ist selten, dass ich mich mit Büchern, die ich nach so einem Roman lese, schwer tue, weil ich einfach mit einem Teil meiner Gedanken noch bei Alfred und seiner Familie war.


    Hast du noch mehr von Franzen gelesen? "Freiheit"habe ich schon ewig auf meinem Wunschzettel.

  • Nein, von Franzen habe ich sonst noch nichts gelesen. Um Freiheit bin ich herumgeschlichen, konnte mich aber nie recht entschließen, weil da noch so viele andere Bücher herumstehen, die aufs Gelesenwerden warten.


    Saiya, das ist wirklich das Besondere an den Korrekturen. Bei mir war es auch jedesmal so, dass mir eine andere Person besonders am Herzen lag. Im Nachhinein ist ganz deutlich zu sehen, wie sehr das durch die eigene Lebenssituation beeinflusst ist.
    Vor 20 Jahren hätte ich Enid überhaupt nicht verstehen können. Beim ersten Lesen war meine Sympathie ganz klar bei den Kindern, besonders bei Gary.