Die Autorin (Quelle: Amazon)
Sibylle Berg lebt als Dramatikerin und Autorin in Zürich und Tel Aviv. Bisher veröffentlichte sie 15 Romane, 16 Theaterstücke und wurde in 26 Sprachen übersetzt. Bei Hanser erschienen Der Mann schläft (Roman, 2009), Vielen Dank für das Leben (Roman, 2012) und Wie halte ich das nur alles aus (2013).
Das Buch (Quelle: Amazon)
Chloe und Rasmus sind seit fast zwanzig Jahren verheiratet, und ja, alles bestens, man hat sich entwickelt, man ist sich vertraut. Aber dass dieses Leben nun einfach so weitergehen soll, ist auch nicht auszuhalten. Rasmus will es noch einmal wissen: Eine neue Welt erobern, weit weg von zu Hause; zeigen, was er kann. Chloe ist immer bei ihm. Bis sie Benny trifft und sich noch einmal verliebt, wild und leidenschaftlich: Nicht an morgen denken, Sex die ganze Nacht, noch einmal jung sein, verdammt nochmal. Chloe erlebt den besten Sex ihres Lebens, und Rasmus die größte Katastrophe. Sibylle Berg stellt die Frage, die alle Paare irgendwann einmal beschäftigt: Ist Sex lebensnotwendig? Oder doch eher die Liebe?
Meinung
Während des Lesens hatte ich drei unterschiedliche Wahrnehmungen: Am Anfang war ich von der Schreibkunst begeistert; etwa in der Mitte war ich genervt aufgrund des andauernden sexuellen Fabulierens und Penetrierens. Am Schluss stimmte mich das Ende dann doch versöhnlich.
Wäre dieses Leben repräsentativ für linksliberale Paare der Mittelklasse, dann käme einem das Dasein eines reaktionären Bibelkreispärchen sehr sympathisch vor. Sind die Leere, die Abstiegsängste und schließlich das Versagen der Protagonisten Einzelfälle oder haben sich diese Merkmale inzwischen in der akademischen Mittelklasse der Großstädter festgesetzt?
Wie dem auch sei, die beiden Charaktere haben mich abgestoßen: Überheblich, destruktiv, ängstlich, geistig leergepumpt, sexuell frustriert und missgünstig. Und die Liebe der beiden zueinander wird wohl eher von der Gewohnheit aufrechterhalten. Also kommt, was kommen muss:
Der Tag, an dem die Ehefrau einen neuen Mann findet. Und dann geht es richtig zur Sache. Ein normales Sexleben ist Blümchensex dagegen. Doch irgendwann hat sich das ständige Kopulieren dann doch erschöpft und die gute Frau stellt fest, dass Sex doch nicht alles ist. Das Lustobjekt verlässt das Subjekt und urteilt hart über seinen ehemaligen „F … reundeskreis“: „Ich werde heute abreisen aus dieser grauen Stadt, aus diesem kaputten Land mit seinen Leuten, die einander nicht ansehen … Rassisten bis ins Mark“ (S.252).
Dann geht es sehr schnell. Beim Lesen des überraschenden Endes dachte ich, der Lektor hätte der Autorin mitgeteilt: „Schätzchen, jetzt muss endlich Schluss sein!“ Denn der Schluss wirkt etwas konstruiert und abrupt, aber irgendwie passt es dann doch.
Der Schreibstil ist klasse, weil er so aufrichtig und authentisch ist und so viel von uns entlarvt, was vielleicht doch irgendwo tief in unserer Seele verborgen vor sich hin schlummert.
Und das Buch hallt nach. Die nächsten drei Wochen werde ich enthaltsam leben.