Keine deutsche Übersetzung
“Do women drive taxis in America?” she asked.
“Have they progressed like us?”
(Teheraner Taxifahrerin zum Autor)
Über das Buch und meine Meinung
In seinem ersten Buch versucht der Autor - wie auch in seinen beiden späteren Büchern - die iranische Politik vor dem Hintergrund der Kultur zu erklären und einen Einblick in die Denkweise und das Selbstverständnis der Menschen im Iran zu geben. Jedes der Kapitel ist einem Thema gewidmet, beginnend mit einer Einführung in die velayat-e-faqih (Herrschaft der Rechtsgelehrten), in die Rolle des Präsidenten, des Supreme Leaders (Obersten Rechtsgelehrten) und der Revolutionsgarden. In diesem Buch geht er insbesondere auf zwei Aspekte ein, die zur iranischen Kultur gehören, aber im Westen häufig missverstanden werden: ta'arouf und haq.
Ta'arouf ist in etwa eine Art nicht ganz aufrichtiges, aber durchaus wohlmeinendes Höflichkeitsritual, mit dem Gespräche und Verhandlungen eröffnet werden. Es besteht aus einer Reihe an Selbstabwertungen, bei der am Ende behält derjenige die Oberhand behält, der ta'arouf besser beherrscht. Ein Beispiel aus dem Alltag ist der Teheraner Taxifahrer, der auf die Frage nach dem Preis sagt, dass die Fahrt keiner Bezahlung würdig war. Womit er keineswegs meint, dass er nicht bezahlt werden möchte. Nach einigem Hin und Her, bei dem der Taxifahrer darauf besteht, dass die Fahrt unwürdig war und man selbst darauf besteht, dass man bezahlen möchte, wird der Taxifahrer irgendwann sagen: "Bezahle, was Dir die Fahrt wert ist". Vielleicht wird man ihm aus Unsicherheit mehr anbieten als die Fahrt wert war, dann hat er die Oberhand behalten. Wenn der des ta'aroufs unkundige Tourist einfach aussteigt, ohne zu bezahlen, guckt er allerdings dumm aus der Wäsche.
Im Buch setzt der Autor ta'arouf in den Kontext der Rhetorik z.B. Ahmadinejads oder anderer Politiker. Achmedinejads Sprache und sein Verhalten waren bei allem Straßenjungencharme und diplomatisch ungeschickt anmutendem Verhalten immer von ta'arouf durchsetzt, allerdingt bei geichzeitiger rückhaltloser Verteidigung von haq. Mit haq sind (unveräußerliche) Rechte gemeint, die jedoch durchaus von dem abweichen können, was wir unter unveräußerlichen Rechten verstehen. Um es mit dem Autor zu sagen (meine Übersetzung): "Thomas Jefferson mag erklärt haben, dass unsere Rechte Leben, Freiheit und das Streben nach Glück beinhalten, und die Französische Revolution mag Frankreich das Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" gegeben haben, aber das iranische Motto, wenn es es gäbe, könnte einfach sein "Trete meine Rechte nicht mit Füßen ", ohne zu definieren, was diese Rechte sind."
Der Autor erklärt die Balance aus ta'arouf und haq an verschiedenen Beispielen, insbesondere zwei, die das abendländische Herz schneller schlagen lassen, nämlich Achmadinejads Holocaust-Verleugnung, für die ein jüdisch-iranischer Freund des Autors eine ganz interessante Interpretation abgibt und das iranische Atomprogramm. Ein fehlendes Verständnis für ta'arouf führt leider zu Missverständnissen und zu verpassten Chancen, einen Dialog zu eröffnen.
Der Autor selbst ist in seiner Einstellung ganz klar auf der Seite der Reformer und meiner Meinung nach auch nicht wirklich religiös. Aber aufgrund seiner sehr frommen Familie (der Großvater war ein Ayatollah) bewegt er sich ohne Berührungsängste unter sehr religiösen Menschen und auch Turbanträgern. Im Buch beschreibt er seine Besuche in Qom, einer der heiligen Städte und seine Teilnahme am Aschura-Fest (bei uns wohl hauptsächlich bekannt durch Bilder von sich geißelnden Männern). Er gibt dadurch einen kleinen Einblick in den shiitischen Islam, die Unterschiede zu Sunniten und auch ermöglicht er ein differenzierteres Bild auf Ayatollas und Mullahs, von denen manche ganz erstaunlich entspannte Ansichten haben.
Dank seiner guten familiären Beziehungen darf man den Autor auf einige Auslandsreisen Khatamis und auch Achmadinejads begleiten und bekommt einen kleinen Einblick "hinter die Kulissen". Wobei er gegen den reformorientierten Khatami, der wohl eher ein Meister des ta'aroufs und der internationalen Diplomatie ist, aber vielleicht zu wenig Betonung auf haq gelegt hat, nichts kommen lässt und da sicher auch nicht ganz objektiv ist. Insgesamt ist das Buch aber durchaus regimekritisch, er teilt ganz gut aus und es wundert mich wieder, dass sie ihn nach dem Buch weiterhin ins Land gelassen haben. Aber auch nach seinem letzten Buch durfte er ja offenbar dann doch wieder rein, um den neuen Präsidenten Rouhani in Teheran zu interviewen.
Das Buch hat mir noch einmal ein Tickchen besser gefallen als "The Ministry of Guidance invites you not to stay", weil es politischer ist. Es ist, meiner Meinung nach, ein Plädoyer dafür, den Iran nicht weiter zu isolieren, was bisher keinem geholfen hat, sondern dem Land ein Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen und ihm Zeit zu geben, eine eigene Demokratie zu entwickeln, die zu der Kultur des Landes passt, und die möglicherweise auch eine islamische Demokratie sein wird, statt zu versuchen, dem Menschen im Iran eine westliche, unseren Vorstellungen entsprechende, säkulare Demokratie zu aufzuzwingen.
Über den Autor
Hooman Majd, geboren 1957 in Teheran, ist eine iranisch-amerikanischer Journalist und Autor. Er lebt in New York City und reist regelmäßig in den Iran.
Sein Großvater mütterlicherseits war der Ayatollah Mohammad Kazem Assar (1885-1975). Sein Vater war vor 1979 Diplomat, daher wuchs Majd im Ausland auf und lebte unter anderem in Washington und Tokyo. Er besuchte die St. Pauls-Schule in London und studierte an der George Washington University in Washington, DC. Er blieb nach der Islamischen Revolution von 1979 in den USA. Majd hat drei Sachbücher veröffentlicht: The Ayatollah Begs to Differ: The Paradox of Modern Iran (2008), The Ayatollahs' Democracy: An Iranian Challenge (2010) und The Ministry of Guidance Invites You to Not Stay: An American Family in Iran (2013) Majd war auch als Berater und Übersetzer für Präsident Mohammed Khatami und als Übersetzer für Präsident Mahmud Ahmadinedschad auf dessen Reise nach New York zur UN tätig.
5 von 5 Sterne = 10 von 10 Eulenpunkte
.