Karla Fabry: Schattenblau. Das Herz der Tiefe – Fantasy-Roman, August 2014, CreateSpace Independent Publishing Platform, ISBN 978-1500439781, 476 Seiten, Format: 13,3 x 3 x 20,3 cm, Buch: EUR 11,95, Kindle Edition: EUR 0,99.
Der New Yorker Biomediziner und Ozeanograph Louis LeBon erhält einen Forschungsauftrag in Spanien. Für 18 Monate wird die ganze Familie in das andalusische Küstenstädtchen La Perla ziehen. Ehefrau Susanne und Sohn Chris, 18, sind sofort Feuer und Flamme für die Veränderung. Tochter Lilli, 17, findet die Idee bescheuert. Dass sie aus schulischen Gründen noch sechs Wochen lang allein in New York ausharren muss, während die Familie schon vorausgereist ist, stimmt sie nicht fröhlicher.
Viel ist nicht los in dem spanischen Kaff, stellt Lillis Bruder Chris bald fest. Wenigstens hat er schon ein paar Kumpels gefunden: den Spanier Toni und dessen hinreißende Schwester Maria sowie den Iren Eugene, der gerade bei seinem Onkel in der Kneipe jobbt. Die Erzählungen dieses Onkels verleiten die drei Jungs zu einer „Schatzsuche“ im Kneipenkeller. Sie finden aber nur vergammeltes Gerümpel – und ein altes Buch mit gruseligen Geschichten über Meermenschen. Dieses „Amphiblion“ nehmen sie mit und lesen den Mädels Lilli und Maria am Lagerfeuer daraus vor.
Dass diese unheimlichen Geschichten einen wahren Kern haben, das ahnen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wir Leser allerdings schon, denn in einer Parallelhandlung lernen wir Alexander Valden kennen, der in einem submarinen Internat lebt. Äußerlich ist er ein ganz normaler junger Mann, doch er ist ein Meermensch, ein Wasseramphibion, das erst nach einer schmerzhaften Metamorphose an Land gehen kann.
Alex‘ Metamorphose steht unmittelbar bevor. Zu seinem Erstaunen erfährt er von seinem Mentor Seraphim, dass er ausgewählt wurde, danach für eine bestimmte Zeit an Land zu leben. Natürlich unter einer menschlichen Tarnidentität, denn die Menschen sollen von der Existenz der menschenähnlichen Wasseramphibien nichts wissen
Alex‘ Anwesenheit an Land verfolgt einen bestimmten Zweck: Rex Fothergyll ist wieder da, ein Wasseramphibion, bei dessen Metamorphose etwas schiefgegangen ist: Er hat sich dabei charakterlich zum Negativen verändert und sich „auf die dunkle Seite der Macht“ geschlagen. Dieses Risiko besteht bei der Verwandlung immer – genau wie das Risiko zu sterben. Dass Rex nichts Gutes im Schilde führt, wissen die Wasseramphibien. Nur was genau sein Plan ist und wie man ihn vereiteln kann, das müssen sie erst herausfinden. Ihr Spion an Land ist Alex.
Alex und Lilli begegnen einander zweimal unter dramatischen Umständen, ehe er schließlich in ihrer Klasse als neuer Mitschüler „aus Australien“ auftaucht. Dass sie einander das Leben gerettet haben, knüpft ein starkes Band zwischen ihnen – und bald sind sie ein Paar. In Alltagsdingen ist der junge Mann seltsam weltfremd und unbeholfen, was ihr natürlich nicht verborgen bleibt. Hat der Kerl noch nie ein Fahrrad gesehen? Und telefonieren kann er auch nicht? Wo kommt der denn her? Unter dem Eindruck der Geschichten aus Eugenes altem Buch beschleicht sie ein Verdacht und sie beginnt zu recherchieren. Kann es sein, dass Alex so ein Mensch aus dem Meer ist? Ein Amphibium?
Mit ihren Vermutungen und ihrem Halbwissen wird Lilli zur Gefahr für sich und andere. Wäre sie völlig ahnungslos oder würde ihr jemand die ganze Geschichte erzählen, wäre das für alle Beteiligten besser. Dass die menschenähnlichen Amphibien weltweit verbreitet, untereinander gut vernetzt und vielfach verwandt oder verschwägert sind, wäre schon mal ein Anfang. Dass es neben den Menschen und den menschenähnlichen Wasseramphibien noch eine dritte Art gibt, die unerkannt unter den Menschen lebt und sich im Wasser wie ihre verhassten unterseeischen Verwandten verhält, wäre zum Beispiel eine hilfreiche Information gewesen. Und was ist dran an der Geschichte, dass es unter den Menschenamphibien in Notzeiten Auserwählte gibt, die mehrere Verwandlungen durchmachen und am Schluss unsterblich sind?
Dass Alex gegen mächtige Raubtierinstinkte ankämpfen muss und stets Mühe hat, die Kontrolle über sich zu behalten, ist Lilli immerhin klar. Doch weil sie sonst nur Bruchteile der notwendigen Fakten und Zusammenhänge kennt, kann sie sich nicht zusammenreimen, welche Rolle sie in Rex Fothergylls Plänen spielen könnte. Das verstehen auch ihre Freunde erst, als es fast schon zu spät ist …
Auch wenn Alex und seine Kumpels auf ein Unterwasser-Internat gehen und Amphipolo spielen – ein submariner Harry Potter ist der Roman nicht. Karla Fabry hat hier eine ganz eigene Welt geschaffen. SCHATTENBLAU ist die romantische Geschichte einer ersten großen Liebe unter ungewöhnlichen Vorzeichen. Es geht ums Erwachsenwerden und um den uralten Kampf zwischen Gut und Böse. Wir sehen außerdem, dass es nichts bringt, vor Kindern Familiengeheimnisse zu haben. Die alten Geschichten holen auch diejenigen ein, die keine Ahnung haben, was vor ihrer Geburt geschehen ist. Es trifft sie nur vollkommen unvorbereitet.
SCHATTENBLAU ist phantasievoll, romantisch und spannend. Und immer, wenn man denkt, nun habe man verstanden, wie das alles zusammenhängt, kommt eine weitere Information.
Da keine der handelnden Personen alles zu wissen scheint, sondern jeder nur ein bisschen, erfordert es im Verlauf der Geschichte immer mehr Konzentration, um den Überblick zu behalten: Worin ist Alex eingeweiht? Was weiß Lilli, was nur Seraphim oder Rex? Worüber sind Lillis Eltern informiert? Und was ist eigentlich Eugenes Wissensstand? Der sollte dringend mal mit Lilli reden! Ehrlich sind auch nicht alle, sodass man sich noch zusätzlich fragen muss, ob sich der eine oder andere nicht nur unwissend stellt. Komplexe Fantasy-Welten ergeben komplexe Geschichten. Das hat seinen Reiz.
Ungeduldige Leser, die mehr Interesse an Action und den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen haben als an Gedankengängen und Gefühlen der Personen oder an Ausstattungsdetails der Räumlichkeiten, werden versucht sein, vorzublättern. Das bleibt ihnen unbenommen, auch wenn ihnen dadurch manches entgeht. Ausführlichkeit und Erzähltempo sind immer persönliche Geschmacksache.
Und für die Leser mit hebräischer Prägung, die meinen, Alex‘ Mentor müsse doch wohl „Seraph“ oder „Seraphin“ heißen, weil die Endsilbe „-im“ eine Pluralform ist: Die Schreibweise „Serafim“ gibt es auch, hauptsächlich im slawischen Sprachraum. (Wir zählen hier jede Erbse. )
Die Geschichte ist im Prinzip schon in sich abgeschlossen, doch bleiben in den Nebensträngen noch verschiedene Fragen offen, die dann hoffentlich in einem Folgeband – oder Folgebänden – beantwortet werden. Ich will jetzt wissen wie das war mit Tante Emily und mit Amanda … wer Eugenes Vater ist und was genau mit James geschah. Und das mit der fünften Tochter ist ja wohl auch noch nicht ausgestanden …
Die Autorin
Karla Fabry wurde 1970 geboren und lebt in der Nähe von Stuttgart. Nach dem Studium der Indologie und Philosophie an der Universität Heidelberg arbeitete sie einige Jahre hauptberuflich als Texterin. Berufsbegleitend machte sie eine vierjährige Ausbildung zur Yogalehrerin.