Gila Lustiger - Die Schuld der anderen

  • Titel: Die Schuld der anderen
    Autorin: Gila Lustiger
    Verlag: Berlin-Verlag
    Erschienen: Januar 2015
    Seitenzahl: 496
    ISBN-10: 3827012279
    ISBN-13: 978-3827012272
    Preis: 22.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Ein paar Zeilen, mehr hat der Journalist Marc Rappaport einem siebenundzwanzig Jahre zurückliegenden Mord, der jetzt durch DNA-Abgleich gelöst sein soll, eigentlich nicht zugedacht. Und doch will er mehr über die Geschichte der jungen Frau erfahren, die mit achtzehn aus der stickigen Enge ihrer französischen Industriekleinstadt nach Paris floh, um zu studieren, und dort in die Prostitution schlitterte. Dabei stößt er auf einen Skandal von schockierendem Ausmaß, der die unlösbaren Verstrickungen von Wirtschaft, Geld und Politik durchscheinen lässt. Was als klassische Ermittlungsgeschichte beginnt, entpuppt sich bald als ein atmosphärisch dichter und mit souveräner Leichtigkeit erzählter Gesellschaftsroman über ein ganzes Land und unsere Gegenwart.


    Die Autorin:
    Gila Lustiger wuchs in Frankfurt am Main auf, studierte in Israel und lebt seit 1987 als freie Autorin in Paris.


    Meine Meinung:
    Ein atmosphärisch dichter Roman, ein Roman etwas beschreibt, was man vielleicht als fiktive Wirklichkeit bezeichnen könnte. Denn was Gila Lustiger in ihrem Buch beschreibt könnte sich überall in Europa abgespielt haben – oder es spielt sich vielleicht gerade jetzt irgendwo ab.
    Dieser Roman macht auch deutlich, dass keine Schweinerei mies genug ist – um nicht durchaus auch Realität sein zu können. Gerade auch in diesem korrupten und kaum durchschaubaren EU-Europa. Dieser Roman macht darüber hinaus aber auch klar, dass der „normale“ Mensch in diesem Europa nichts, aber auch gar nichts zählt.
    Obwohl dieser Roman in Frankreich spielt, so könnte er ab auch in Deutschland, Italien oder in jedem anderen EU-Land spielen.
    Es macht nachdenklich was in diesem Europa passiert, welches uns immer wieder neu durch verlogene Politikersprüche von durchtriebenen Politiker schmackhaft gemacht wird. Gila Lustiger schaut in die Fassade von vermeintlich sicheren Arbeitsplätzen, schaut auf Menschen, deren Gesundheit für den Profit irraparabel geschädigt wird, sie schaut auf diese riesige Bürgerverarsche. Es ist schon interessant was so auf dem Altar der „Freien Marktwirtschaft“ so alles geopfert wird. Menschlichkeit, Anstand und Empathie.
    Es ist kein Thriller – auch wenn dieser Gesellschaftsroman ohne Frage Thrillerbestandteile aufweist.
    Ein sehr lesenswertes Buch das sich seine 8 Eulenpunkte wahrlich redlich verdient hat.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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  • Dieses Buch steht auf meinem Wunschzettel. Ich finde der Inhalt passt hervorragend in
    das Weltgeschehen , allein was in Paris passiert ist und jeden Tag auf der Welt wieder passiert.

    „Lesen heißt durch fremde Hand träumen.“ (Fernando Pessoa)

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  • Danke für Deine Rezension, das Buch klingt in der Tat sehr interessant, wenn auch eher düstere Lektüre. Die Lesung mit Gila Lustiger auf der Buchmesse in Leipzig war sehr gut besucht und sie sprach sehr engagiert über die Probleme und deren Ursachen.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Ich mag ja Dennis Scheck und seine Sendung Druckfrisch sehr und dadurch bin ich auch auf dieses Buch aufmerksam geworden. Obwohl sicherlich auch Scheck den Klappentext gelesen hat und ausführliches Pressematerial vom Verlag bekommen hat, beharrte er darauf, dass es sich hier um einen Kriminalroman handelt. MMn trifft die Verlangseinschätzung als Gesellschaftsroman sehr viel besser zu.


    Als Kriminalroman wäre "Die Schuld der Anderen" sehr enttäuschend. Es kommt nur wenig wirkliche Spannung auf und wohin die Reise geht, ist eigentlich schon sehr früh in der Geschichte klar. Auch wenn ich mir als Kriminfan gewünscht hätte, dass Lustiger aus der Idee einen französichen Stieg Larsson hätte machen können. Aber dafür fehlte dann doch irgendwie der Biss, die Spannung und auch die Gefahr.


    Als Gesellschaftsroman funktioniert die Geschichte etwas besser, wobei auch hier für mich das gewisse je ne sais quoi fehlt. Letztendlich taucht sie dann doch nicht tief genug in die französische Gesellschaft ein; das Gespräch mit Dennis Scheck verspricht hier mehr als der Roman dann halten kann.


    Sprachlich ist es flüssig zu lesen, auch wenn Lustiger manchmal sehr verquirlt schreibt. Die sommerliche Trägheit von Paris kann sie sprachlich gut umsetzen. Völlig unnötig sind die französischen Sätze. Das Französische dient der Geschichte nicht sondern zeugt nur von einer affektierten Effekthascherei. Die Autorin lebt seit Jahren in Paris, ja, ich weiß, ihr Französisch ist fließend, muss man nicht extra beweisen.


    Am Ende hört's dann einfach auf. Das ist sicherlich Absicht, aber da ich eine Leserin bin, die gerne alles vorgekaut bekommt, hätte ich mir doch einen anständigen Epilog gewünscht. Die Hauptfigur Marc ist jetzt niemand, den man als Leserin so richtig ins Herz schließt (wobei die größere Nervensäge seine Freundin ist, die aber gottseidank nur eine Nebenrolle spielt), aber für ihn wird es am Ende erst richtig interessant. Da hätte Lustiger auf Fälle mehr draus machen können.


    Punkte: so zwischen 6 und 7.

  • Nach der Lektüre dieses Romans habe ich mich gefragt, ob ich nun primär einen Kriminalroman gelesen habe der sich hintergründig mit der moralischen Verdorbenheit der französischen Eliten beschäftigt oder ob es gerade umgekehrt ist, ein anklagender, zeitgenössisch anmutender Gesellschaftsroman für den der kriminelle Teil nur das Scharnier ist um eine wichtige Aussage zur politischen- und wirtschaftlichen Macht der Oberschicht gegenüber der einfachen Arbeiterschaft zu tätigen. Ich tendiere aus zwei Gründen zur zweiten Aussage. Der aufzulösende kriminelle Handlungsstrang ist alles in allem viel zu einfach gestrickt um bei versierten Krimileser Begeisterung auszulösen und nachdem man das letzte Wort gelesen hat, bleibt das gallige Gefühl der Ohnmacht der Besitzlosen gegenüber der Allmacht der Kapitalisten zurück. Da die Romanhandlung im Frankreich angesiedelt ist, verwende ich die leicht abfälligen sozialen Klassenbegriffe der Bourgeoisie und des Proletariats. Das die Autorin der Geschichte ein Zitat von Karl Marx voranstellt sagt einiges aus.


    Ein Mordfall an einer Prostituierten der 27 Jahre zurück liegt konnte anhand neuer DNA Analysen aufgeklärt werden und der mutmassliche Täter, ein Banquier, wird verhaftet. Für den Journalisten Marc Rappaport auf den ersten Blick ein Ereignis, dem die Zeitungen nicht viel Platz einräumen werden und das bloss zu einer kurze Randnotiz der vom täglichen Bohei von Big Business und Politik geprägten Printmedien verkommt. Je länger sich Rappaport mit dem Fall beschäftigt und von der einen zur nächsten Auskunftsperson weitergereicht wird desto tiefer zieht es ihn in den Fall hinein und er kommt einer grossen Sauerei der Vergangenheit auf die Spur. Was heisst es als Industrieller Verantwortung zu tragen und wie weit darf der Patriarch einer Firma für Produkte und Aufträge, die gegen bestehenden Gesetze verstossen und die Gesundheit schädigen aber dem Bestehen der Firma dienen und schlussendlich die Lohnzahlungen an die Angestellten sichern, gehen? Oder ist dieser Gedankengang nur das Feigenblatt um falsche Taten zu rechtfertigen? Rappaport muss sich bis zum Schluss mit ein paar der zentralen Fragen des Lebens beschäftigen.


    Der Roman beginnt eher gemächlich und es ist der gepflegte Schreibstil der Schriftstellerin Gila Lustiger der mich fürs Erste an die Geschichte bindet. Die Handlung köchelt relativ lange auf kleiner Flamme und man begleitet als Leser Marc Rappaport bei seinen Recherchen bis sein Weg ihn zum Brennpunkt des Übels führt. Ab da wird die Geschichte richtig spannend und die Autorin ritzt mit Korruption, Vertuschung von Schuld immer wieder das innere Gerechtigkeitsgefühl der Leserschaft. Man dringt zum Kern der Geschichte vor der sich im Titel widerspiegelt: Die Schuld der anderen. Muss man hinter diesem Titel als Satzzeichen einen Punkt oder ein Ausrufezeichen oder gar ein Fragezeichen setzen? Der Verlag lässt dies offen und als Leser kann man mutmassen welches Satzzeichen da angebracht wäre.


    Ein Roman mit französischer Prägung dessen Handlung aber auch in jedem andern Land spielen könnte. Da Frankreich sich die Parole der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahne geschrieben hat, verleiht der frankophone Handlungsort der Geschichte dennoch eine besonders delikate Note. Ein sehr empfehlens- und lesenswerter Roman der die Leser auf mehreren Ebenen anspricht. Wertung: 9 Eulenpunkte


    Edit: Mittlerweile ist das Buch als preislich günstigere Taschenbuchausgabe erhältlich