"The Ministry of Guidance invites you not to stay" - Hooman Majd

  • Keine deutsche Übersetzung


    Zum Buch und meine Meinung


    Der Autor, der den Iran als Kleinkind verlassen und ihn seitdem zwar regelmäßig besucht, aber nie dort gelebt hat, beschließt, mit seiner amerikanischen Frau und seinem acht Monate alten Sohn ein Jahr im Iran zu leben. Es ist eine Reise zurück zu seinen Wurzeln, er möchte erleben, wie es sich anfühlt, wenn man nicht zu Besuch kommt, sondern wirklich im Iran lebt, zum anderen möchte er seiner Frau und den Lesern einen breiteren Einblick in die iranische Kultur geben.


    Bis zuletzt hat er Zweifel, ob er einen Fehler macht, zumal er wenige Wochen vor ihrem Umzug auf einer kurzen beruflichen Reise in den Iran noch beim Ministry of Guidance antreten musste, das nicht glücklich ist über seine Äußerungen in seinem letzten Buch über Achmadinejad (ehrlich gesagt, habe ich inzwischen sein erstes Buch gelesen und wundere mich, dass sie ihn überhaupt noch ins Land gelassen haben). Sie weisen ihn auch gleich darauf hin , dass er sich nicht einbilden soll, dass er einfach kommen und über alles schreiben darf, so dass er während des Jahres auch nicht journalistisch arbeiten kann.


    Auch ist er sich unsicher, ob es seine Frau gelingt, sich an die fremde Kultur anzupassen. Zu seinem Entsetzen begrüßt sie am Teheraner Flughafen auch gleich seine Freunde Khosro und Ali Khatami, den Bruder des ehemaligen Präsidenten Mohammed Khatami mit Handschlag und Küsschen links und rechts, ein großes No-Go in der Islamischen Republik (aber offenbar kein Problem für die Betroffenen). Der Autor beschreibt zunächst Herausforderungen des täglichen Lebens - die Luftverschmutzung, der Verkehr, die Wohnungssuche und wie man einen vernünftigen Internetanschluss, eine (illegale) Satellitenschüssel und einen stetigen Zustrom von Alkohol kommt. Und wo man in Teheran an glutenfreies Brot und organisches Gemüse kaufen kann.


    Das Buch ist keine Sightseeing-Tour duch den Iran. Der Autor und seine Familie unternehmen bis auf zwei Ausflüge ans Kaspische Meer und in die Berge nur eine Reise nach Yazd und Isfahan und eine nach Dubai und bleiben ansonsten in Teheran und zwar hauptsächlich in ihrem Stadtteil im Norden Teherans. Sie wohnen eher mittelständisch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, aber der Autor führt natürlich aufgrund seines familiären Hintergrundes ein privilegiertes Leben, in dem er Zugang zu Diplomatenkreisen und diversen Klerikern und Politikern hat.


    Das Buch ist weniger eine Analyse des iranischen Regimes, der politischen Struktur, aktueller Ereignisse, oder eine Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen, obwohl die Haltung des Autors ziemlich klar ist, und auch ein komplettes Kapitel einem ehemaligen Insassen des Evin-Gefängnisses widmet, den er seine Geschichte in eigenen Worten erzählen lässt. Es ist vielmehr - im Vergleich zu seinen ersten beiden Büchern - ein persönlicher Erfahrungsbericht, in dem er, wie aber in seinen anderen Büchern auch, versucht, politische Entscheidungen und das Verhaltensweisen vor dem Hintergrund der iranischen Kultur verständlich zu machen.


    Zum Beispiel beschreibt er etwas, das er als "Sulking" (Schmollen) bezeichnet, das Achmadinejad offenbar bis zur Perfektion beherrscht. Anfang 2011 hat er 11 Tage lang geschmollt, weil er einen Intelligence Minister nicht feuern konnte (gegen den Willen von Khamenei), der einen geschätzten Mitarbeiter verhaften lassen wollte was der Autor als "The Big Sulk" bezeichnet. Dieses Schmollverhalten ist auch von Mossadegh bekannt und ein Teil der Kultur. Der Iran schmollt seit 30 Jahren wegen des Verhaltens der USA, wobei das Schmollen im Grunde bedeutet "Wir wollen eine Beziehung zu Dir, aber bitte als selbstbestimmtes Land." Ein bisschen kulturelles Verständnis auf beiden Seiten würde die Kommunikation bestimmt einfacher machen und so manches Missverständnis verhindern.


    Das Buch beginnt recht humorvoll mit vielen Seitenhieben und einem gewissen Maß an Selbstironie, wurde aber im Verlauf - gefühlt - immer düsterer und ernster. Vielleicht, obwohl es kein chronologischer Bericht ist, sondern jedes Kapitel einen thematischen Schwerpunkt hat, wird hier die Stimmung im Land widergespiegelt, in einem Jahr, das mit Achmadinejads "Big Sulk" begann und mit der Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran endete.


    Über den Autor
    Hooman Majd, geboren 1957 in Teheran, ist eine iranisch-amerikanischer Journalist und Autor. Er lebt in New York City und reist regelmäßig in den Iran.
    Sein Großvater mütterlicherseits war der Ayatollah Mohammad Kazem Assar (1885-1975). Sein Vater war vor 1979 Diplomat, daher wuchs Majd im Ausland auf und lebte unter anderem in Washington und Tokyo. Er besuchte die St. Pauls-Schule in London und studierte an der George Washington University in Washington, DC. Er blieb nach der Islamischen Revolution von 1979 in den USA. Majd hat drei Sachbücher veröffentlicht: The Ayatollah Begs to Differ: The Paradox of Modern Iran (2008), The Ayatollahs' Democracy: An Iranian Challenge (2010) und The Ministry of Guidance Invites You to Not Stay: An American Family in Iran (2013) Majd war auch als Berater und Übersetzer für Präsident Mohammed Khatami und als Übersetzer für Präsident Mahmud Ahmadinedschad auf dessen Reise nach New York zur UN tätig.




    4,5 von 5 Sternen = 9 von 10 Eulenpunkten (ein Punkt Abzug, weil mir The Ayatollah begs to differ, das politischer und weniger annektotenhaft ist, noch ein bisschen besser gefallen hat).
    .

  • Was für eine spannende Rezension!
    Der Titel allein ist schon unwiderstehlich.
    :lache


    Hast Du das andere Buch, das Du erwähnst, auch schon gelesen?

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Was für eine spannende Rezension!
    Der Titel allein ist schon unwiderstehlich.
    :lache


    Hast Du das andere Buch, das Du erwähnst, auch schon gelesen?


    "The Ayatollah begs to differ" habe ich gerade beendet. Rezi folgt.


    Der Titel bezieht sich übrigens nicht auf etwas, was der Autor erlebt hat (obwohl er tatsächlich während seines Aufenthaltes immer wieder vom Ministry of Guidance angerufen wurde und Vorschläge bekam, wie er sich verhalten soll.


    Aber der Titel bezieht sich auf etwas, was dem Shah zugeschrieben wird: "The inhabitants of Tehran are invided to keep quiet."


    Woraufhin Mossadegh gesagt haben soll: "If I sit in silence, I have sinned."