'Im Schatten der Königin' - 2. Zwischenspiel - 3. Zwischenspiel

  • Thomas Seymor wird hier als ziemlich übler und berechnender Zeitgenosse geschildert. Obwohl - berechnend scheinen mir eigentlich fast alle, vor allem im Dunstkreis der Herrschenden.


    Ich habe schon einige Bücher gelesen, die sich mit dieser Zeit und ihren Personen beschäftigen. Leider krieg ich die nicht wirklich sortiert in meinem Kopf, vor allem nicht nach längerer Zeit.
    Aber ich meine mal ein Buch gelesen zu haben, in dem Thormas Seymor eine Hauptrolle spielt und dort etwas anders dargestellt wird. Auch die Sache mit Elisabeth. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie sich dort ihm an den Hals geworfen und wird als berechnendes junges Persönchen dargestellt.
    Kann das sein :gruebel? Gibt es auch Auslegungen in dieser Richtung?

  • Lumos, Philippa Gregory stellt es so hin, aber Philippa Gregory hat ein entschiedenes Vorurteil sowohl gegen Anne Boleyn als auch ihre Tochter und stellt sie in ihren Romanen extrem negativ dar. Dann gibt es noch die romantische Auslegung des Films "Die Thronfolgerin", in dem Thomas Seymour als Mann, der halt zwei Frauen liebt, hingestellt wird.


    Nur: eine der beiden war dreizehn, dann vierzehn, als sie seine Stieftochter wurde, und stand auf Platz 3 in der Thronfolge. Mir hat in dieser Angelegenheit immer Catherine Parr am meisten leid getan. Heinrich VIII. zu überleben, nur, um den Mann, den sie (von ihrer Seite aus) aus Liebe geheiratet hat, mit ihrer Stieftochter zu erwischen, und dann im Kindbett zu sterben...


    Nun hatte Thomas Seymour tatsächlich schon vor Heinrich um Catherine geworben, aber sich sofort zurückgezogen (aus Überlebensgründen!), als er sah, daß sein königlicher Schwager interessiert war. Nach dem Tod von Heinrich hielt er jedoch nicht etwa als erstes um die jetzt endlich frei gewordene Catherine an, sondern beantragte beim Kronrat, entweder Mary oder Elizabeth heiraten zu können. Sein Bruder Edward, der Lord Protector, sagte sofort nein, und erst dann holte sich Tom Seymour bei Catherine das Ja. Das scheint mir doch ziemlich deutlich zu machen, daß es ihm darauf ankam, durch eine Ehe mit einer Prinzessin (oder Königinwitwe) an Macht zu gewinnen, nicht um Liebe. Der Hellste scheint er auch nicht gewesen zu sein, denn was er nach Catherines Tod tat, um endlich doch noch an die Macht zu kommen, war ausgesprochen idiotisch: ein Versuch, seinen jungen Neffen Edward VI. zu kidnappen, wobei er aus Panik Edwards Hund erschoss, als dieser nicht mitkommen wollte. Das war das Ereignis, durch das er dann verhaftet wurde.


    Was genau zwischen ihm und Elizabeth vorgefallen ist, als sie zu ihrer Stiefmutter zog: da sind die historischen Quellen in erster Linie die Aussagen von Kat Ashley bei ihrem Verhör im Tower. (Auch andere Dienstboten haben ausgesagt, aber die waren nicht in so vertraulichen Positionen untergebracht. Alle jedoch schildern Seymour als denjenigen, von dem die Initiative ausging.) Demnach scheint es angefangen zu haben mit morgendlichen Aufwecken und Kitzelattacken (klingt für uns noch harmlos, war aber damals schon etwas anrüchig, wenn der Aufwecker und Kitzler ein erwachsener Mann, nicht blutsverwandt mit dem sehr jungen, aber bereits heiratsfähigen Mädchen im Bett war), steigerte sich zu dem Vorfall, bei dem er ihr das Kleid zerschnitt, während Catherine Parr sie festhielt (Catherine scheint das auch noch für harmlosen Übermut gehalten zu haben), und danach erwischte ihn Catherine Parr mit Elizabeth allein in seinen Armen. Mehr als das ist nicht gesichert, auch, weil Elizabeth sich bei ihren eigenen Verhören keine Aussage entlocken ließ. Danach wurde Elizabeth zurück nach Hatfield geschickt. Was auch noch überliefert ist, sind danach folgende traurige Briefe von ihr an ihre Stiefmutter (wobei der exakte Grund nicht genannt ist) und eine Übersetzung von Catherine Parrs Buch "Lamentations of a Sinner" ins Italienische, die Elizabeth für ihre Stiefmutter verfertigte. Eine Bitte um Vergebung? Wer weiß. (Catherine Parr, aber sie starb.)


    Lange Zeit sind Biographen davon ausgegangen, daß Thomas Seymour Elizabeths erste Liebe gewesen ist; erst Patricia Finney stellte das in Frage und wies darauf hin, daß wir, wenn heute ein Stiefvater eine Minderjährige in seiner Obhut sexuell belästigt, von Mißbrauch reden würden. Außerdem reagierte Elizabeth auf seinen Tod entschieden kaltblütig, nicht nur im Gegensatz zu ihrer Haltung, als viele Jahre später Robert Dudley starb, sondern auch zu ihrer Reaktion auf die Gefahr, die damals Kat Ashley und Thomas Parry (Elizabeths Haushofmeister) drohte, die gleichzeitig mit Seymour im Tower festsaßen. Für ihre Gouvernante und ihren Haushofmeister kämpfte sie (erfolgreich) wie eine Löwin, statt sich von ihnen zu distanzieren und ihnen die Schuld zuzuschieben. (Ihr Argument gegenüber dem Rat war im Gegenteil, daß, wenn sie unschuldig war, auch ihre Dienstboten unschuldig sein müßten, und der Rat also entweder sie schuldig sprechen oder ihre Dienstboten freilassen müßte.) Für Seymour dagegen rührte sie keinen Finger.


    Um in jeder Hinsicht fair zu sein: ob Elizabeth nun ihrerseits in ihn verliebt war, oder seine Avancen unwillkommen waren, Thomas Seymours Verhalten unterschied sich nur in einer Hinsicht nicht von dem eines anderen Schwagers Heinrichs VIII., nämlich Charles Brandon, Herzog von Suffolk (und Großvater von Jane Grey): Tom Seymour verlor seinen Kopf. Trotzdem hat Brandon meist in fiktiven Darstellungen ein sehr positives Image (in der Serie "Die Tudors" z.B.). Aber wenn man sich Charles Brandons Ehegeschichten anschaut, dann wirkt er nicht weniger skrupellos als Thomas Seymour, nur sehr viel erfolgreicher. Da gab es nämlich:


    1) Anne Browne; Charles war mit ihr verlobt, was damals bindend war; überdies nahmen die beiden den Ehevollzu vorweg, und daher gab es schon ein Kind, als Charles herausfand, daß Anne eine reiche Tante hatte. Das führte zu:


    2) Margaret Neville. Die reichte Tante. (Und eine von DEN Nevilles.) Charles heiratete sie und ließ Anne im Stich. Das machte die Familie Browne nicht glücklich, und sie gingen sogar vor Gericht, um ihn zu verklagen. Damit hatten sie Erfolg: die Ehe mit Margaret Neville wurde aufgelöst, und Charles heiratete doch noch Anne. Sie bekam noch ein weiteres Kind, und dann starb sie. Dann gab es beinahe:


    3.) Elizabeth Grey. Achtjähriges Waisenmädchen und Erbin von Lord Lisle. Außerdem Charles' Mündel. (Vormundschaften waren immens profitabel für Tudor-Adlige.) Er verlobte sich mit ihr, und sein Freund Heinrich VIII. übertrug ihm den Titel Lord Lisle. Als Elizabeth Grey dreizehn Jahre und damit heiratsfähig wurde, weigerte sie sich jedoch, Charles zu heiraten, und heiratete stattdessen Edward Courtenay. Charles behielt den Titel Lord Lisle.


    4.) Mary Tudor. Heinrichs jüngere Schwester, die von ihm mit dem alten französischen König Louis verheiratet worden war, unter der Bedingung, daß sie sich den nächsten Gatten selbst aussuchen dürfte. Louis starb nach kaum einem Jahr Ehe; Charles kam nach Frankreich, Mary heiratete ihn. Sie hatten zwei Söhne (die jung sterben sollten) und zwei Töchter (Frances, Jane Greys Mutter, war eine davon), und dann starb auch Mary. Charles blieb nicht lange Witwer.


    5.) Catherine Willougby. War eine sehr reichte Erbin und Charles' Mündel, ursprünglich von ihm und Mary "eingekauft", um mit Charles' ältestem Sohn verheiratet zu werden. Dann, als Catherine 14 war, starb Mary. Charles war mittlerweile 49, aber sah das nicht als Hinderungsgrund, oder das Verlöbnis zwischen Catherine und seinem älteren Sohn. Er heiratete Catherine. (Der Sohn starb bald darauf; sein jüngerer Bruder war schon vor Mary gestorben.) Catherine und Charles hatten ebenfalls zwei Söhne (die auch jung sterben sollten, aber erst Jahre später), und Catherine überlebte Charles, um als Herzogin von Suffolk eine der imposantesten Figuren am Tudor-Hof zu werden.


    Wie gesagt: in diesem Kontext war Thomas Seymours Verhalten keineswegs ungewöhnlich. Sympathisch macht ihn das mir jedoch deswegen nicht!

  • Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon ein Buch von Philippa Gregory gelesen habe, eher nicht.
    Könnte es vielleicht auch Die zwölfte Nacht von Charlotte Lyne gewesen sein?


    Aber das ist eigentlich nebensächlich. Mir kam nur diese andere Auslegung wieder in Erinnerung.


    Deine Ausführungen zu unseren Fragen und Anmerkungen sind wirklich großartig.


    Es ist doch sicher eine Weile her, dass du dich damit so intensiv beschäftigt hast. Musst du dich nun wieder hineindenken und -lesen, oder hast du diese detaillierten Hintergrundinformationen noch immer präsent?


    Auf jeden Fall bedeutet es für uns eine ungeheure Bereicherung, dass und wie du diese Leserunde begleitest!
    Ganz lieben Dank dafür :knuddel :bluemchen.

  • Wow, vielen, vielen Dank für die ausführlichen Hintergrundinfos!


    Zitat

    Original von Lumos
    Thomas Seymor wird hier als ziemlich übler und berechnender Zeitgenosse geschildert. Obwohl - berechnend scheinen mir eigentlich fast alle, vor allem im Dunstkreis der Herrschenden.


    Ich habe schon einige Bücher gelesen, die sich mit dieser Zeit und ihren Personen beschäftigen. Leider krieg ich die nicht wirklich sortiert in meinem Kopf, vor allem nicht nach längerer Zeit.
    Aber ich meine mal ein Buch gelesen zu haben, in dem Thormas Seymor eine Hauptrolle spielt und dort etwas anders dargestellt wird. Auch die Sache mit Elisabeth. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie sich dort ihm an den Hals geworfen und wird als berechnendes junges Persönchen dargestellt.
    Kann das sein :gruebel? Gibt es auch Auslegungen in dieser Richtung?


    Ich meine in der Romanbiografie von Cornelia Wusowski kam Seymor auch ziemlich gut weg, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, ich finde aber das die Darstellung hier besser passt.


    Ich war zuerst etwas skeptisch, als Kat als zweite Ich-Erzählerin aufgetaucht ist, da fällt mir der Perspektivwechsel meistens sehr schwer, aber da man hier an Überschrift und Schriftart direkt erkennt, wer spricht, klappt es gut.

  • In der zwölften Nacht war er auch nicht so machtgierig dargestellt. Ein Mensch hat ja mehr als eine Facette. Ich glaube, es kommt immer darauf an, aus welcher Sicht man berichtet.


    Tanja
    Ich bin auch sehr glücklich, dass du dir hier die Zeit nimmst. Wir würden sonst nie so viel über die Zeit erfahren. :wave

  • Ich mag die Zwischenspiele sehr gerne. Man erfährt so viel Interessantes gerade über die Kindheit von Elizabeth. Ich war mir am Anfang auch nicht klar, wie ich mit zwei verschiedenen Ich-Erzählern zurecht komme. Aber ich muss sage, ich genieße die Lektüre dieses Buches jetzt richtig. :-]


    Tom stellt weitere Untersuchungen zum Tode von Amy an. Der angereiste Appleyard ist ja ein richtig unsympathischer Zeitgenosse. Und er macht es Tom mit seinen Nachforschungen nicht leichter.
    Ich finde es sehr merkwürdig, dass dieser Harnkness nun auch ermordet wird. Und genau zu dem Zeitpunkt, als Tom mit ihm sprechen möchte. Ich vermute schon, dass es hier einen Zusammenhang mit dem Mord an Amy gibt.
    Und bei Frobisher bin ich mir auch noch nicht im Klaren, ob er nicht vielleicht mehr weiß als er bis jetzt sagt.
    Interessant finde ich auch, dass immer neue Geldmünzen hergestellt werden mussten, je nachdem wer gerade auf dem Thron saß. Waren dann die alten Münzen wertlos? Oder gab es dann einfach verschiedene Münzen, mit denen man zahlen konnte und die den gleichen Wert hatten aber eben mit unterschiedlichen Köpfen geprägt??


    Tanja, ich finde es ganz toll wieviele Informationen Du in der Leserunde beisteuerst. Vielen lieben Dank dafür.

  • Münzen: theoretisch waren die alten immer noch gültig. Praktisch gab es da ein Problem, das nichts mit wechwselnden Herrscherprofilen zu tun hatte: die englischen Münzen der Tudorzeit waren weniger und weniger wert, weil Heinrich VIII. in seinen letzten Jahren dazu übergegangen war, den immensen Geldmangel in seinen Kassen (hatte er sich selbst zuzuschreiben, u.a. wegen erfolgloser Kriege mit Frankreich) dadurch zu beheben, daß der Münzen prägen ließ, die im Prinzip Kupfer mit minimaler Goldschicht darüber, statt Gold waren. Deswegen hieß ein Spitzname für ihn auch "die alte Kupfernase". Seine Untertanen hatten keine Wahl, als dieses Geld zu akzeptieren, aber im Ausland rechnete man natürlich anders und, wie gesagt, englische Münzen verloren an Wert im Umtausch. Da England immer schon auch vom Handel lebte...

  • Boah.... Tanja, vielen Dank wieder für die ausführlichen Erläuterungen!! Glaube kaum, dass ich die Zusammenhänge u. Hintergründe ohne diese wirklich verstehen würde :anbet


    Die P. Gregory Bücher hab ich auch noch im Regal stehen.... auf den Unterschied in der Darstellung bin ich dann ja mal gespannt :gruebel

  • Puh, leicht hat es Tom mit seinen 'Ermittlungen' in der Tat nicht... da kann man sich in bestimmten Momenten schon mal ganz viel Geduld vom Herrgott wünschen :grin Ich hätte meine schon längst verloren...
    So...und ein bisschen kommen wir der Tom-Amy Sache nun auch näher :gruebel


    Die Zwischenspiele mag ich sehr gern, weil durch die Sichtweise u. Erlebnisse von Kat Ashley die Lücken aufgefüllt werden, die nach den Schilderungen von Tom unweigerlich entstehen. William Cecil ist hier auch nicht so durchtrieben und opportunistisch dargestellt, wie in anderen Romanen.


    Ach ja, in meiner TB-Ausgabe von 2010 wird Kitty Howard korrekt als 5. Frau Henrys benannt :wave

    Outside our small safe place flies mystery. (A.S.Byatt)
    :lesend


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  • ich hab mich inzwischen an die Erzählweise gewöhnt und mich gut eingelesen, wurde ja auch Zeit.


    Aufegeben tu ich nie so schnell, deshalb freu ich mich, dass ich warm werde mit dem Buch.
    Thomas Seymore, ich gestehe, ich hab zwar schon ein paar Bücher in der Richtung gelesen mich aber nie mit seiner Person so intensiv befasst.
    Gut, dass Elizabeth so stark war und nicht nachgegeben hat.
    ich hatte schon sowas ähnliches vermutet aber Kat hat ihn wohl mit rosaroter Brille gesehn. Aber seine Frau hätte da doch einschreiten müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das als so harmlos angesehen hat.


    Nun also weiter im Text. :-)

  • Es ist schon interessant, wie unterschiedlich die historischen Personen dargestellt werden, je nachdem wer das Buch geschrieben hat.


    Da gibt es große Unterschiede.
    Bei mir liegt nur meist relativ viel Zeit dazwischen, so dass ich die Einzelheiten nicht mehr präsent habe :-(. Da flattern nur so vage Erinnerungen durch meinen Kopf, die sich dann nicht mehr genau zuordnen lassen.

  • ich bin wirklich gespannt wie sich das auflöst, denn dass der Mord an dem Knecht damit zu tun hat sieht ja ein Blinder.


    Und nun die Geschworenen mit diesem ominösen Arzt aus Cambrigde :gruebel


    Diese Zwischenspiele mit Kats Gedanken finde ich richtig gut. Die Figur ist aber erfunden oder???


    Aber so eng an Elizabeths Aufstieg und dessen Hintergründe zu erfahren macht das Geschichtliche interessant.

  • Zitat

    Original von Lumos


    Ach ja, sicher? ;-)


    Hmm, nun Raub kommt ja wohl nicht in Frage da hätte er Geld haben müssen.
    nd wenn es Streit um ein Mädchen gegeben hätte wäre das vermutlich nicht verborgen geblieben. außerdem wusste der doch irgendwas... :gruebel