Kellervogel – Fariba Vafi

  • Über das Buch (dem Klappentext entnommen):
    Eine junge Frau wird von ihrem Ehemann bedrängt, nach Kanada auszuwandern. Als er nach Baku geht, bleibt sie mit den beiden Kindern zurück. Mit aller Macht versucht sie, die Anforderungen des Alltags und die Gespenster der Vergangenheit zu bewältigen: die Konflikte mit der kratzbürstigen Mutter, den einsamen Tod des Vaters, die Erniedrigungen durch den Ehemann.
    Jenseits aller klischeehaften Orientalismen lässt Fariba Vafi die Ich-Erzählerin von der Auflösung ihrer Welt erzählen. Zwischen Küche und Keller, ihrem allegorischen Gefängnis, öffnet sich ein Raum für die ehrliche Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der Frauen im heutigen Iran.


    Über die Autorin:
    Fariba Vafi wurde 1963 im iranischen Täbris geboren, sie ist verheiratet und lebt mit ihrer Familie in Teheran. Warum so ausdrücklich betont wird, sie habe „nur“ eine einfache Schulbildung und keine akademische Ausbildung, weiter, sie sei nie im Ausland gewesen, spreche keine Fremdsprachen, hat sich mir nicht erschlossen, schon eher, dass sie in diversen Fabriken gearbeitet habe. Seit 1986 veröffentlichte sie Kurzgeschichten, der vorliegend vorgestellte Roman erschien 2002, wurde als preiswürdig erachtet und brachte der Autorin den Durchbruch. In ihrem Heimatland wurde „Kellervogel“ trotz der in Diktaturen wohl gängigen Maßnahmen wie Zensur und Papierzuteilung zu einem vielgelesenen Buch.


    Der Roman wurde aus dem Persischen übersetzt von Parwin Abkai.



    Meine Meinung:
    Broschur, insgesamt 159 Seiten. Romantext bis Seite 148, gefolgt von einem kongenialen Nachwort von Said.


    Ihr Mann heißt Amir, ihre Kinder Shahin und Shadi. Ihre Schwestern haben Namen, ihre Tante, Nachbarn, Freunde, Vater, Mutter. Und sie? Wer ist sie, die Ich-Erzählerin? Was mehr als die Frau ihres Mannes, die Mutter ihrer Kinder, die Tochter, die Schwester?
    Handlungsort ist hauptsächlich eine Wohnung in einer Stadt, auch sie ohne Namen, ein einziger kleiner Hinweis deutet neben der Vita der Autorin auf einen Ort im Iran.


    Die namenlose Protagonistin erzählt von ihrem Alltag, von den kleinen und großen Sorgen, von den kleinen, gemeinen Stichen, die einer Demütigung sehr nahe kommen und wohl auch sollen, von der Überforderung, von den Anforderungen und Ansprüchen anderer an sie, seien es beispielsweise die Kinder, der Ehemann oder die Mutter. Sie erzählt von einem Leben, das eingeschränkt erscheint – man verbindet damit fast automatisch den Gedanken an die Unterdrückung der Frauen in einem rigoros religiös geprägten Land. Und doch: Es gibt immer wieder Momente, die auch Frauen in westlichen Ländern kennen, so verschieden sind familiäre, eheliche oder „erziehungstechnische“ Probleme keineswegs. Überrascht hat mich die Entscheidungsfreiheit, die doch auch immer wieder dargestellt wird, als Beispiel sei nur eine der Schwestern der Ich-Erzählerin erwähnt, die allein zu leben beschließt.


    Vafis Buch kommt fast schlicht, aber keineswegs ohne die eine oder andere Spitze („Niemand würde sie erniedrigen“ - Seite 136) und schon gar nicht ohne Gedankentiefe daher; ohne Lamento, aber auch ohne Pathos erzählt sie. Und doch meine ich einen Schmerz gespürt zu haben, der das Ungesagte durchscheinen lässt. Immer wieder scheint die Autorin sich zurückzunehmen, sagt nicht alles, was sie wohl sagen könnte. Wie eine Art Selbstzensur erscheint mir das, ähnlich wie bei einigen Schriftstellerin in der früheren Sowjetunion, die den inneren Zensor bewusst oder unbewusst mit die Feder führen ließen. Die Frage, ob Vafi bewusst so schrieb oder ob ihr dies in Fleisch und Blut übergegangen ist, ist nicht die geringste, die sich mir ob des Buches stellte. Der Bereich, der komplett ausgespart ist, betrifft das religiöse Leben, die durch die Religion geprägte Politik. Auch dazu Fragen, die sich auftaten: War es der Autorin nicht wichtig, fühlte sie sich als Frau nicht dazu berufen, spielte es im Leben der von ihr Dargestellten keine so wesentliche Rolle, ist es alltägliches Ausweichen der dort Lebenden, war es Vorsicht, die die Autorin darüber schweigen ließ, weil sie ihr Buch veröffentlichen wollte? Das alles ließ auch den Gedanken aufkommen, dass Vafi für Leser in ihrem Land, in ihrem Kulturkreis vielleicht oder gar wahrscheinlich gar nicht mehr zu sagen brauchte, um verstanden zu werden. Vielleicht kennen wir westlichen Leser einfach den „Code“ nicht, um den Roman in seiner Gänze zu erfassen, weil das Sprechen, das erlaubte Sprechen (und damit einhergehend das Denken?) dort ein anderes ist als bei uns.


    Die Bilder und Vergleiche, die Vafi wählt, erscheinen mir ungewöhnlich und unverbraucht, sie haben ihren ganz eigenen Zauber („Aber Entscheidungen und Taten sind so unterschiedlich wie ein Mann und eine Frau, die wie Fremde nebeneinanderstehen und vorgeben, ein Paar zu sein“ - Seite 79). Ihr Blick hat einiges an Schärfe, sie beschreibt die Seelenlage und -nöte ihrer Protagonistin mit beeindruckender Genauigkeit. Beide, Autorin wie Ich-Erzählerin, haben mich in ihren Bann gezogen, das Buch beiseite zu legen gelang mir nicht.


    „Nicht jeder Tag wird sich verdichten zu dem Satz: „Mütter sind heilig“. Über diese Tage hat noch keiner ein Buch geschrieben“ (Seite 80) – wir wissen, dass das nicht so ganz stimmt. Fariba Vafi hat diesem Thema allerdings eine ganz besondere Note hinzugefügt.


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