Anne Krüger: Allee der Kosmonauten
Verlag: script5 2015. 400 Seiten
ISBN-13: 978-3839001721. 17,95€
Verlagstext
In ihrer Kindheit träumte Mathilda unter anderem von einer Karriere als Osterhase, aber am liebsten wollte sie Kosmonautin werden. Als sie ihrer besten Freundin während einer Riesenradfahrt auf die Bluse kotzte, zerbrach ihr Herzenswunsch jedoch an der schnöden Realität – sie war nicht schwindelfrei. Zurück blieb eine unbändige Begeisterung für Juri Gagarin und den Weltraum. Heute Ende zwanzig, ist Mathilda immer noch auf der Suche nach einem erfüllten Leben. Kosmonautin steht als Beruf nicht mehr zur Diskussion, aber was dann? Und was das erfüllte Privatleben angeht: Welcher Mann kann schon neben Juri Gagarin bestehen? „Allee der Kosmonauten“ ist ein Roman über die erste schwierige Phase im Leben junger Erwachsener (Quarterlife Crisis), in der neue Entscheidungen getroffen werden müssen und sich alte Bindungen verändern. Anne Krüger setzt sich mit dieser Thematik authentisch auseinander und verleiht ihren Figuren wie im Vorbeigehen Tiefe. Ein literarisches, unterhaltendes Debüt voller Situationskomik und feinem Humor.
Die Autorin
Anne Krüger wurde 1975 geboren, als mitten im Kalten Krieg eine amerikanische Apollo- und eine sowjetische Sojus-Kapsel im Weltraum aneinander ankoppelten. Statt Kosmonautin zu werden, arbeitete sie nach dem Studium in diversen Jobs mit Bodenhaftung, bis sie sich vor einigen Jahren als Hörspielautorin selbstständig machte. Die Open-Mike-Finalistin lebt mit ihrer Familie und einer Katze in ihrer Geburtsstadt Berlin, allerdings nicht in der Allee der Kosmonauten.
Inhalt
Mathilda ist eine nicht mehr so junge ostdeutsche Frau, wie aufgrund ihres unentschlossenen Verhaltens erwartet werden könnte. Die Icherzählerin (die der Generation der Autorin angehört) sitzt 15 Jahre nach der Wende zwischen allen Stühlen, denn weder die Erziehung in der DDR zum Kollektiv noch das Vorbild ihr Eltern können ihr auf der Suche nach dem persönlichen Glück Halt und Orientierung geben. Nach einem abgebrochenen ungeliebten Studium ist Mathilda, die jüngste von drei Geschwistern, als Kassiererin im Supermarkt hängengeblieben. Anfangs wartet Mathilda auf die Rückkehr ihres Freundes Marius aus dem Ausland, der einen ebenso blassen und unentschlossenen Eindruck hinterlässt wie Mathilda.
Mathilda erzählt in Ichform, schiebt gemeinsame Kindheitserinnerungen mit Freunden aus ihrer Kindheit in der Allee der Kosmonauten ein und träumt sich zwischendurch immer wieder fort aus der Realität. In ihren durch die Schrifttype abgesetzten Träumen unterhält sie sich mit Juri Gagarin und Valentina Tereschkowa. Mathildas Helden stammen aus der Generation ihrer Eltern in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ihre Träume lassen ein Wegträumen zurück in die Kindheit vermuten und wirken zunehmend wie Alpträume.
Kapitän, Polizist, Prinzessin, hier Kosmonaut, sind Kinderträume, die spätestens nach dem Schulabschluss mit konkreten Zielen ersetzt werden. Mathilda wirkt auf mich wie das Beispiel eines Mädchens aus dem Lehrbuch, das vor der Pubertät einmal wissbegierig, mutig und phantasievoll war und sich danach so plötzlich wie erschreckend zu rollenkonformem Verhalten und typischen Frauenberufen entschließt. Eine Schlüsselszene zeigt auf S. 113 wie Franzi in Mathildas Erinnerung in der Klasse bloßgestellt wird, weil ihre Mutter im Arbeiter- und Bauernstaat Cellistin war. Franzi gehörte nicht dazu – die Folge wird sein, dass sie wegen ihrer falschen Klassenzugehörigkeit in der DDR später nicht studieren darf. Wenn es kein gleiches Recht auf Bildung ohne Ansehen der sozialen Herkunft gibt, muss man sich über die Passivität einer Generation nicht wundern, die darauf wartet, dass Arbeits- oder Ausbildungsplatz staatlich zugeteilt werden. Mathilda und ihre Freundin sind offenbar sehr schüchtern, sie werden über die Ganztagsschule nicht besonders glücklich gewesen sein.
Fazit
Mathildas Ichsuche zwischen Kindheitsfreunden, ihrer kränkelnden Mutter, einem älteren Amerikaner als Mentor und der Hoffnung auf die große Liebe ist Thema des New Adult Romans „Allee der Kosmonauten“. Mathilda hat es mir mit ihrer Antriebslosigkeit und ihrer aus meiner Sicht extrem konservativen Vorstellung einer Zweierbeziehung nicht leicht gemacht, ihrer Geschichte zu folgen. Wie kann ein Leser an die Geschichte einer phlegmatischen Person gefesselt werden, wenn die Person selbst nicht in die Gänge kommt? Anne Krüger löst dieses Problem mit drei Erzählebenen. Indem Mathilda sich an ihre Kindheit erinnert und ihre Ängste im Traum in der Rolle einer Kosmonautin bearbeitet, zeigt sie Seiten von sich, die eine reine Icherzählerin so nicht preisgeben würde. Auch wenn die Handlung meine Frage nicht endgültig beantworten konnte, was oder wer Mathilda zu einer so entschlusslosen Persönlichkeit gemacht hat und ob sie für eine ostdeutsche oder eine gesamtdeutsche Generation steht, habe ich das Buch - im Rahmen einer Online-Leserunde - sehr gern gelesen.
7 von 10 Punkten