Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten

  • Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten
    Verlag: Jung und Jung 2013. 318 Seiten
    ISBN-13: 978-3990270318. 22€


    Verlagstext
    Ein Berlin voller Lebensgeschichten und eine Autorin, die sich einfühlsam an die Seite ihrer Figuren stellt.Aus einem kaukasischen Städtchen über Leningrad bis nach Berlin führt das grandiose Roman-Debüt von Nellja Veremej, das seine geographischen und kulturellen Motive schon im Titel trägt. "Berlin liegt im Osten" heißt das Buch, in dem von den städtischen Enklaven russischer Migranten ebenso farbig erzählt wird wie von Provinzkindheiten in der ehemaligen Sowjetunion. Das Berlin dieses Romans, der rund um den Alexanderplatz spielt, hat seine Reservate der Einsamkeit und der Lebensfreude, und es wird durch die unnachahmliche Stimme einer Ich-Erzählerin lebendig, die den nur scheinbar unspektakulären Beruf einer Altenpflegerin ausübt. Durch sie hindurch wandern die Lebensgeschichten der Klienten und verbinden sich mit ihrer eigenen Biografie. Darin gibt es neben dem aberwitzigen, fast surrealen Osten auch ein Deutschland, in dem diese Frau endgültig anzukommen versucht. "Berlin liegt im Osten" lebt von der zarten Zuneigung der Autorin zu ihren Figuren, der Roman entwirft ein großes Panorama aus Geschichten und Geschichte, und er handelt vom Anfang allen Erzählens: von der Erinnerung.


    Die Autorin
    Nellja Veremej, geboren 1963 in der Sowjetunion, lebt seit 1994 in Berlin. Sie arbeitete als Russischlehrerin, Übersetzerin und Journalistin. 2010 gewann sie den Newcomer-Preis wie auch den Publikumspreis beim Literaturwettbewerb Wartholz. "Berlin liegt im Osten" wurde im August 2013 in die Longlist für den Deutschen Buchpreis aufgenommen, die Autorin wurde mit dem Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises 2014 und dem Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Homburg 2014 ausgezeichnet.


    Inhalt
    Lenas Heimatdorf lag im östlichsten Zipfel Russlands, „am Rand des endlosen, verschneiten ehemaligen Imperiums“, in dem sich im Winter der Schnee bis zu den Fenstern aufhäufte. Auf einem Militärstützpunkt im Grenzgebiet zu Japan arbeiten ihr Vater und die Väter der anderen Kinder als Hubschrauberpiloten. Von hier aus gesehen liegt für die Menschen das Paradies im Westen. Die Mütter stellen sich vor, dass im Westen die Arbeit leichter sein müsse. Lena zieht es zuerst nach St. Petersburg zum Lehrerstudium und in den 90ern von dort aus gemeinsam mit Mann und Kind nach Berlin. Alexander (Schura) kann als Kontingent-Jude mit Familie nach Deutschland aussiedeln. Inzwischen arbeitet Lena in Berlin als Altenpflegerin, Ex-Ehemann Schura hält sich mit undurchsichtigen Geschäften über Wasser. Lenas Kiez bildet nördlich der Museumsinsel der Bereich von Torstraße und Ackerstraße. In ihr Viertel nimmt die Icherzählerin ihre Leser wie auf eine Stadtführung mit; Lena folgt sogar einer realen Kollegin auf deren Themenführung in Alfred Döblins Berlin rund um den Alexanderplatz.


    Lenas Tochter Marina war bei der Aussiedlung noch jung genug, um sich in der neuen Heimat flink zu integrieren. Typisch für ihr Alter beurteilt sie die Anpassungsbemühungen ihrer Mutter mit jugendlicher Ungeduld. Lena nimmt zusätzlich zu ihrem Job im Altenheim Pflegeaufträge an. Einer ihrer Patienten ist Ulf Seitz, zu dem sie eine nicht nur dienstliche Beziehung entwickelt und der im Laufe der Handlung körperlich zusehends verfällt. Mit Lenas Augen lässt sich das Schicksal des Ulf Seitz während des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs verfolgen. Auch die Erlebnisse der Familie Seitz sind um die Torstraße herum angesiedelt. Es ist eine Geschichte, die ähnlich von unseren Eltern und Großeltern unzählige Male erzählt wurde und die durch den Wechsel zur Erzählerstimme einer Immigrantin zu keiner neuen unerhörten Begebenheit wird.


    Fazit
    Die Konstruktion einer Emigration aus Russland nach Deutschland um den Rückblick einer anderen Person in deren Kindheit herum hat aus meiner Sicht den Einstieg in Nellja Veremejs Roman unnötig kompliziert. Die Kindheitserinnerungen von Veremejs Icherzählerin wirkten auf mich als der stimmungsvollere, aber leider zu knappe Teil ihres 2013 für den Deutschen Buchpreis nominierten Romans.


    6 von 10 Punkten