Roman Ehrlich ist ein noch sehr junger deutscher Autor, der einer breiteren Öffentlichkeit zuerst durch seinen Auftritt beim Bachmannpreis 2013 bekannt geworden ist. Im selben Jahr erschien dann sein Erstling „Das kalte Jahr“, ein Roman. „Urwaldgäste“ erschien 2014 und ist ein Erzählungsband.
Aufmerksam wurde ich auf diesen Autor durch eine geradezu hymnische Rezension in der Zeit, in der die Rezensentin Insa Wilke Ehrlich eine große Zukunft voraussagt. Die Rezension endet mit dem Satz: „Es ist klar, das Roman Ehrlichs Bücher in Kürze zum Kanon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zählen werden.“ Wenn das kein Lob ist.
In der Zeit erschien dann auch ein Vorabdruck der Erzählung „Keine Drehung aus dem Schatten ins Licht“, nach deren Lektüre ich mir dachte: Das könntest du doch mal weiterlesen.
Bereut habe ich es nicht. Die Erzählungen erinnern tatsächlich im Personeninventar ein bisschen an Kafka, dessen Name im Zusammenhang mit Ehrlich sehr oft fällt. Ehrlichs Sprache ist ähnlich sachlich, die Erzählerstimme ist ähnlich distanziert und auch ein bisschen unterkühlt und nur moderat überrascht in Bezug auf die doch sehr ungewöhnlichen Ereignisse, in die die Figuren verwickelt sind. Sie ist aber gleichzeitig im Satzbau etwas umständlicher und arabesker als die des großen Pragers, der hier eine größere Kargheit an den Tag legt.
Was sind das nun für Geschichten, die Ehrlich uns hier erzählt? Es sind Geschichten aus dem Alltag, allerdings aus einem seltsamen Alltag. So beschäftigt sich etwa die erste Erzählung mit dem schönen Titel „Dinge, die sich im Rahmen meiner temporären Anstellung bei der Grinello Clean Solutions ereigneten“ mit einer Hauptfigur, die über die Studentenbörse an einen Job kommt, in dem eigentlich nichts getan werden muss, außer ins Büro zu kommen und ein nie klingelndes Telefon zu bewachen. Es gibt Kollegen aus dem Außendienst, die aber nur selten da sind, sowie einen Chef und seinen Kompagnon, die eigentlich auch nur selten da sind. Welches Produkt die Firma anbietet, erfahren wir zwar dem Namen nach, nämlich den Aquionic Transformer“, doch was dieses Gerät leistet und wer es deshalb kaufen sollte, wird uns verschwiegen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Protagonist, als er dann doch endlich eine Aufgabe bekommt, nämlich eine Liste mit alten Kundendaten durchzutelefonieren und zu aktualisieren und bei dieser Gelegenheit herauszufinden, ob sie vielleicht an einem Aquionic Transformer interessiert sein könnten, sich mit den Gesprächspartnern gar nicht über dieses Produkt unterhält, sondern mit ihnen allgemeine Gespräche beginnt. Bis hierhin ist diese Erzählung unglaublich faszinierend, gut zu lesen, auf eine spannende Weise bevölkert von undurchsichtigen Figuren, die undurchsichtigen Tätigkeiten nachgehen. Sie mündet allerdings ins Nichts bzw. in eine verschachtelte Geschichte ohne Pointe, die dem Telefonator von einem seiner Gesprächspartner erzählt wird, der mit ihr offenbar auch nichts anzufangen weiß.
Die folgenden Erzählungen sind nun entweder – und dann komme ich mit ihnen besser klar – eher wie der erste Teil der ersten Erzählung, schildern also eine Begebenheit aus dem Alltag von Figuren, die wie in einer existenziellen Sackgasse wirken, und in deren Alltag sich – von ihnen herbeigeführt oder ohne ihr Zutun – ein seltsames ungewöhnliches Ereignis schleicht, das – so vermutet man – das Leben dieser Figuren zutiefst erschüttert, ohne dass man erfährt, was diese Erschütterung für einen Effekt hat bzw. ob sie überhaupt einen hat. Man wird vielmehr wie die Figur selbst in dieser Situation einfach zurückgelassen und wundert sich.
Manche der Erzählungen sind aber eher wie der zweite Teil der Geschichte, also zusammengesetzt aus mehreren Binnenerzählungen, die manchmal ineinander verschränkt sind, ohne dass sie erkennbar etwas miteinander zu tun hätten. Diese Erzählungen waren für mich die frustrierenderen Leseerlebnisse, da sie gefühlsmäßig im Nichts enden – wie eben die Telefonaktion bei der Grinello Clean Solutions.
Ich bin mir sicher, dass ich Roman Ehrlich im Auge behalten werde. Ich würde mir allerdings wünschen, dass ich in der Zukunft von ihm noch Pointierteres zu lesen bekomme. Damit meine ich nicht, dass er mir herkömmliche Erzählungen mit einem klaren Ende servieren muss. Texte mit ein bisschen mehr Fokus, die mir ein bisschen mehr Halt geben, um mein Hirn an ihnen zu reiben, würden mir genügen.
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