"Ein Glaubensbruder, dachte Kamil, und ihm wurde übel. Der Junge hatte das Gesicht eines Chinesen, aber trotzdem nur einen Gott. Offenbar glaubte er, Allah mit dem Verstümmeln anderer Menschen zu erfreuen."
Am Anfang des Romans stand für mich leider kein Garten, sondern erst einmal eine große Hürde, erwachsen aus den geschichtlichen Hintergründen dessen, was in Kamils Vergangenheit geschehen war. Ich hatte das Gefühl mitten in ein Ereignis hineingeworfen worden zu sein und brauchte einige Seiten bis ich mich wieder orientieren konnte, was mir auch nur unter der Zuhilfenahme von Wikipedia gelang. Nachdem ich mir jedoch historische Grundkenntnisse über Chinesisch-Turkestan aneignen konnte, folgte ich dem Roman in der Gleichmäßigkeit ähnlich eines Kamels in der Karawane. Doch es war nicht der Zwang, der mich immer weiter trieb, sondern Kamils Erzählungen über ein Junge und ein Mädchen, die sich jedem Sturm entgegenstellten und eine Liebe entwickelten, die über jegliche Grenzen bestand hat.
"Mit den Karawanen wurden Vorstellungen, Irrlehren transportiert, aber auch der feste Glaube an Gott. Und natürlich alles andere, was der Mensch mit sich führt: Hingabe, Liebe, Sehnsucht, bisweilen aber auch unbändiger Hass."
Kamil und Rahila kennen sich von Kindesbeinen an. Aufgewachsen in einer Zeit, die besonders für Frauen und Männer gefährlich war. Beherrscht von stupidem Denken des Fanatismus und Macht gieriger Besserwisser. Die beiden lernen sich kennen, teilen ihr Schicksal, stehen füreinander ein. Aus Freundschaft wird Liebe, die sich gern in deren Poesie verloren hätte, aber immer wieder von einer grausamen Realität eingeholt wird. Jahre später erinnert sich Kamil an diese Liebe, erzählt der kleinen Nora davon, mit der er gefangen genommen wurde. Die Vergangenheit holt ihn in dieser Situation der Gefahr wieder ein, doch die Erinnerung an Rahila lässt sein Herz trotz all der Dunkelheit immer wieder leuchten.
"Kleine Kinder haben ein großes Herz. Es passt allerhand hinein: die wunderbare Götzenmutter der Gnade, der mutige Jesus-Sohn Gottes und Onkel Mohammed, der Gerechte und Edle, zwei Väter und dazu noch der mächtige Vater im Himmel.Dann wächst das Kind, und sein Herz wird kleiner. Die menschen um es herum drücken es zusammen."
Markus Nummi schlüpft so leichtfüßig in die Rolle seines Protagonisten, dass sich der Roman liest wie ein Erfahrungsbericht. Dank seiner bildlichen Schreibe, die gekonnt zwischen klaren und poetischen Worten hin und her springt, bekommt der Leser ein Gefühl für Land und Leute. Wird entführt in eine faszinierende Szenerie, die ebenso verlockend wie verwirrend grausam sein kann. "Am Anfang ein Garten" ist eine Geschichte darüber, wie stark die Unterdrückten sind, wie stark Liebe macht, wie sie Hoffnung weckt und Unbändigkeit aufflammen lässt. So, dass das schier Unerträgliche ertragbar sein kann. Eine Geschichte, die berührt, die fasziniert und Gänsehaut verursacht. Die fein und stark zugleich ist.