OT: Marokko an de plas 2002; übers. von Mirjam Pressler
Issa kommt auf die Förderschule. Dort wird man zum Gärtner oder Tierpfleger ausgebildet, beides keine Beschäftigungen, die in Marokko sehr angesehen sind. Aber Issa lebt mit seiner Familie in Amsterdam, da sieht man die Dinge anders.
Die verschiedenen Einstellungen unter einen Hut zu bekommen, findet Issa enorm schwierig. Zuhause ist seine Welt klar, weil sie eindeutig marokkanisch geprägt ist. In der Koranschule klingt die Welt arabisch und scheint genauso sicher geregelt. Die alte Schule war zwar niederländisch, aber der Alltag durch die hohe Zahl an Einwandererkindern bestimmt. Die neue Schule wird ziemlich niederländisch, befürchtet Issa.
So kommt es auch. Neue Verhaltensweisen, neue Ideen und sein Banknachbar ist ein echter Käsekopf! Alle Kinder seiner neuen Klasse haben mittlere bis schwere Verhaltensstörungen. Issa, der Legastheniker ist, findet das beruhigend und beunruhigend zugleich. Seine Stärke ist Erzählen, vor allem Witze. Aber er kann auch gut zuhören. Bei der Bewältigung seiner wachsenden Probleme in seiner schwierigen Welt braucht er beides.
Stoffels erzählt die Geschichte strikt aus Issas Sicht. Issas Maßstab sind die Vorstellungen, die in seiner Familie herrschen, einschließlich der religiösen. Er leidet zwar darunter, daß sein Vater seinen älteren Bruder hinausgeworfen hat, weil der eine unverheiratet mit einer Niederländerin zusammenlebt, erkennt die Logik dahinter aber durchaus an. Zugleich bricht er die Regeln und besucht seinen Bruder heimlich, ebenso wie seine Mutter heimlich mit ihm telefoniert.
Regelbruch ist Alltag im Seeviertel, wo Issa lebt. Jugendbanden, Rowdytum, Schlachten zwischen den Jugendlichen zweier Stadtviertel, Rassismus. Eingriffe der Stadt, die Grünflächen einzäunt und Platz zum Spielen zerstört. Die Welt ist ein einziges Gewirr, man muß beim Lesen Issa folgen, sonst geht man verloren.
Beim Lesen wird man unentwegt aufgerufen, sich eigene Gedanken über das Zusammenleben in europäischen Großstädten zu machen. Sprachprobleme, Ausgrenzung, Abgrenzung, ganz alltägliche Verständigungsprobleme auch innerhalb der gleichen Gruppe werden konsequent aufgezeigt, Vorstellungen von Essen, Benehmen, Kleidung kritisch hinterfragt. Es ist erhellend, einmal mit fremden Augen auf die eigene Kultur zu blicken, schon bei Kleinigkeiten, Schnittblumen, z.B. oder Bastelarbeiten aus dem schulischen Werkunterricht. In niederländischen Familien als Kunstwerk des Nachwuchses gefeiert, landen sie in den Familien, die Issa kennt, im Müll, unbrauchbar, Staubfänger.
Ebenfalls diskutiert wird die Frage nach dem Einsatz von Gewalt. Sie scheint eine verlockende Lösung für jedes Problem, auf jeder Seite, von der Stadtverwaltung bis in die Familie, für jede Gruppe und für die Einzelnen. Glück hat niemand damit.
Issas besondere Fähigkeit, Reden und Zuhören, ist das, was Stoffels als Lösungsmöglichkeit anbietet. Gleich, ob zwischen Behinderten und Nichtbehinderten, Alten und Jungen, Männern und Frauen, Kindern und Erwachsenen, zwischen unterschiedlichen Nationen. Auch Issa muß sich darauf besinnen.
Nicht leicht zu lesen, verblüffend und am Ende sehr überzeugend.