Irma Joubert: Das Mädchen aus dem Zug

  • Der Anfang des Buches spielt 1944 in Polen: Die 6-jährige Gretel flieht mit ihrer Schwester Elsa aus einem Zug voller Juden Richtung Auschwitz vor dem Tod. Die beiden geben sich als Polinnen aus, um unentdeckt zu überleben. Als Elsa stirbt, wird Gretel vom Studenten Jacób in Obhut genommen, der in der polnischen Widerstandsbewegung gegen die Deutschen kämpft. Vier Jahre lang kann er Gretel bei seiner Familie unterbringen, doch dann werden Platz und Nahrung zu knapp. Das Versprechen, Gretel zu ihrem Onkel in die Schweiz zu bringen, kann er nicht einhalten. Als er von einem Adoptionsprogramm hört, dass verwaiste deutsche Kinder in einer Familie in Südafrika unterbringen soll, trifft Jacób eine Entscheidung…


    Dieses Buch hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, beim Lesen durchzuhalten. Als Belohnung habe ich einen echten Schatz entdeckt. Zu Beginn des Buches bin ich mit dem Lesen schlecht vorangekommen. Ich musste mich sehr konzentrieren um mich in die Handlung hineinzudenken, mir die Namen zu merken und die Andeutungen, die durch die kindliche-naive Erzählperspektive von Gretel entstehen, zu interpretieren. Doch nach einiger Zeit des Einlesens hat mich die Geschichte gepackt und ich konnte problemlos folgen. Nach den ersten 100 Seiten ließ das Buch sich schnell und flüssig lesen und die Geschichte hat mich mitgerissen wie es schon lange keine Geschichte mehr getan hat.


    Noch immer staune ich über den Tiefgang des Buches: Die Autorin, die selbst in Südafrika lebt, hat aufwendig über die Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg recherchiert. Sie bringt viele politische und historische Geschehnisse mit in das Buch ein. Vor allem Jacób ist politisch sehr engagiert und kämpft erst in der polnischen Heimatarmee, später spricht er sich offen gegen den Kommunismus aus und riskiert dadurch sein Leben in Polen.


    Ein weiterer Aspekt des Tiefganges entsteht für mich durch Gretels Entwicklungsprozess. Der Leser begleitet sie über fast 15 Jahre. Er erlebt, wie sie von den Geschehnissen ihrer Kindheit verfolgt wird und wie sie versucht, diese aufzuarbeiten. So kann das Ausmaß der psychischen Folgen von den Menschen, die damals die NS-Zeit miterlebt haben, erahnt werden.


    Da das Buch in einem christlichen Verlag erschienen ist, kommt auf die religiöse Komponente nicht zu kurz. Gretel ist evangelisch getauft, doch als sie bei Jacób lebt, nimmt dieser sie mit in die katholische Kirche. Als Gretel nach Südafrika kommt, landet sie in einer streng protestantischen Familie und muss ihren alten, katholischen Glauben verbergen und sich mit einigen Fragen dazu auseinandersetzen.


    Nicht zuletzt bietet das Buch auch eine tolle Liebesgeschichte, über die ich noch nichts verraten möchte. Auch die Liebe zwischen Eltern und (Adoptiv-)Kind wird in dem Buch sehr deutlich betont und sorgt für eine angenehme Wärme.


    Ich kann das Buch wirklich sehr empfehlen und hoffe, dass von Autorin Irma Joubert noch einige weitere Bücher folgen werden. Das Buch eignet sich meiner Meinung nach auch gut als Geschenk für Menschen, die nicht an Gott glauben, da der Glaube zwar ständig präsent ist, aber unauffällig eingebracht wird.


    Fazit: Für jeden, der historische Romane mit Tiefgang liebt, wird sich das Buch lohnen. Wer am Anfang Probleme mit dem Reinkommen ins Buch hat, sollte unbedingt durchhalten. Dann erwartet euch eine mitreißende, außergewöhnliche und berührende Geschichte.