Kinderfreundlichkeit in Deutschland

  • Hmmm...
    Meine Frage, was mit den Leuten passiert ist kann mir wohl hier auch niemand beantworten :-( Schade!


    Die Gesellschaft verlangt nach kleinen Robotern, nicht mehr wirklich nach Kindern. Diese Entwicklung ist so traurig und hat m.E. rein gar nicht mit irgendwelchen finanziellen Tendenzen in Deutschland zu tun. Die Grundeinstellung ist verkorkst :fetch


    Es hat sich eine Wegwerf-Gesellschaft entwickelt; Kinder sind als Unfälle beim Fi$%&n entstanden und müssen halt dann ertragen werden...
    In die Definition von Lebensqualität haben bei extrem vielen Menschen Kinder einfach keinen Platz mehr. Wie definiert sich denn ein "moderner Mensch"?


    Arbeit -> Workout -> After Job Party -> Fitnessstudio -> Restaurant -> Bett


    und am Wochenende dann Brunch -> Veranstaltung1 -> Verantaltung2 -> Theater/Kino -> Restaurant -> Bett


    Man lebt in einer Wohnung. Von einem "zu Hause" spricht fast niemand mehr...


    Mir wird schlecht :-(


    Reinhard Mey hat mal irgendwo gesungen "Ein zu Hause ist doch erst ein zu Hause wenn eine Wiege darin steht!" Oh, wie recht der doch hat!


    Wer sich noch nie mit seinem Kind hingesetzt hat und selbst einen Drachen gebaut hat um in die leuchtenden Augen des Kindes gucken zu können schon beim Basteln und danach erst recht wenn der Drache in die Lüfte steigt hat meiner Meinung nach eine ganz wichtige Erfahrung / Entwicklungsstufe verpaßt! Und so ganz nebenbei sein Kind auch noch um eine sehr wichtige Erfahrung betrogen!


    Halt Inso, stopp! Bis hierher und nicht weiter, ich komme vom eigentlichen Thread ab - sorry!

  • Zitat

    Original von Insomnia
    Hmmm...
    Meine Frage, was mit den Leuten passiert ist kann mir wohl hier auch niemand beantworten :-( Schade!


    Die Gesellschaft verlangt nach kleinen Robotern, nicht mehr wirklich nach Kindern. Diese Entwicklung ist so traurig und hat m.E. rein gar nicht mit irgendwelchen finanziellen Tendenzen in Deutschland zu tun. Die Grundeinstellung ist verkorkst :fetch


    Es hat sich eine Wegwerf-Gesellschaft entwickelt; Kinder sind als Unfälle beim Fi$%&n entstanden und müssen halt dann ertragen werden...


    Damit hast du doch deine Eingangsfrage im Prinzip schon beantwortet. :wave
    Unsere Gesellschaft hat sich in der Frage zur Lebenseinstellung total verändert. Heute steht erst einmal die eigene Person im Vordergrund und vor allem "Spass haben". Nicht umsonst sinkt die Anzahl derer, die noch eine echte Beziehung überhaupt eingehen können. Und das wirkt sich dann natürlich auch auf die Einstellung zu Kindern aus. Kinder bedeuten Verantwortung und Verzicht, beides Attribute, die man heute nicht mehr mag, weil sie die "Selbstverwirklichung" behindern. Man ist halt modern.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Es gibt sicherlich die unterschiedlichsten Gründe für den Wandel in unserer Gesellschaft.


    Was hört man als erstes bei einer Schwangerschaft????


    Warum jetzt (zu früh, zu spät)
    Warum so viel Verantwortung ............. man hat doch Beruf und Partnerschaft, das müsste reichen.
    Wenn du so gebunden bist, dann kannst du nicht mehr das Leben führen wie bisher.
    Hast du schon gehört, dass viele Paare sich wieder trennen ........... und dann steht Frau allein da mit Kind/ern, was dann?
    Möchtest du deinem Kind solch eine Perspektivlosigkeit wie gerade hier in Deutschland antun?????


    Vieles wird vom Schwangerschaftstest bis zur Geburt einfach tot geredet. Meinem letzten Kind habe ich den zweiten Namen Desiree gegeben, die Erwünschte, damit meine Angehörigen ein für alle mal erkennen, dass ich auch dieses letzte Kind gewollt und geplant hatte.


    Nach der Geburt meines ersten Sohnes brach mein kompletter Freundeskreis zusammen .................. weil ich bei gemeinsamen Hobbies oder Unternehmungen nicht mehr flexibel genug war. Kinder hatte niemand aus diesem Kreis, ich fühlte mich zeitweise wie ein Exot, außerdem war ich unverheiratet, was damals einem Eklat gleichkam. Ist immerhin schon 28 Jahre her.


    Statt Kneipenbummel zu machen oder Samstags/Sonntags Ausritte zu planen habe ich gebastelt, getöpfert und mit kleinen Fimo-Männchen meinen Backofen verseucht. Die erste Krippe war aus Fimo, die Kaufladensachen waren aus Fimo ........... es war meine Fimo-Phase, danach folgten noch viele andere und es hat ungemein Spaß gemacht. Meine Wohnung sah mit Kind auch nicht mehr so gestylt aus und so sind mir einige Leute nach und nach auch erspart geblieben.


    Heute lebt mein Großer 270 km entfernt mit Frau und Kind und ab und an bekomme ich Anrufe, in denen ER sich ausheult über seinen Knirps. Mein Enkel ist 4 Jahre alt, seit 1 Jahr besucht er den Kindergarten und für meinen Sohn ist es ein Phänomen, dass sein Sohn 'eigene' Sachen macht und äußert. Er hat die Zeit mit seinen jüngeren Geschwistern immer sehr distanziert gesehen, nicht wie ein großer Bruder sondern wie ein zweiter Vater.............. mit der erzieherischen Keule im Anschlag. Jetzt sieht er, dass nicht seine Geschwister verkorkst sind sondern Kinder sich irgendwann auf ihren eigenen Weg machen und eigene Gedanken entwickeln, das hat er so hautnah nie erlebt. Es gibt keine Vergleiche für ihn oder Beispiele aus seinem privaten Umfeld. Er und seine Frau müssen ganz allein lernen damit umzugehen.


    Das war früher sicherlich anders, als es in den Familien noch mehr Kinder gab oder engere verwandtschaftliche Beziehungen. Die Hilfe und Unterstützung durch nahe Angehörige gibt es heute oft nicht mehr und an manch schrecklichen Nachrichten können wir sehen, dass junge Menschen oder alleinstehende Mütter sich oft überfordert fühlen und keinen wirklichen Bezug zu ihrem Kind finden können.


    Elternschaft lernt man nicht in der Schule, das lernt man nur in der Familie ............ und da haben sich manche Voraussetzungen einfach dramatisch verändert.


    Gabi

  • Das bestreite ich, Inso. Die "Grundeinstellung gegenüber Kindern hat sich schlicht und einfach nicht geändert.


    Früher waren Kinder, mehrere Kinder in jeder Familie, eine Selbstverständlichkeit. Vor allem bevor es die Pille gab, war eine hohe Zahl von Kindern tatsächlich eine "Panne beim Fi$%&n" -- auch in der Ehe! Und wer davon ausgeht, daß Kinder früher mehr beachtet worden seien oder gar mehr geachtet, der irrt ganz gewaltig.


    Als Kind habe ich mit Kindern aus den umliegenden Siedlungen ebenso gespielt wie mit denen aus den Altbauten in der Umgebung -- ausnahmslos Unterschicht und Untere Mittelschicht. Akademiker gab es unter den Eltern meiner Grundschulmitschüler nur 3 oder 4.
    Wenn wir irgendwo spielten -- ob das ein Spielplatz war, der naheliegende Park, ein Innenhof, ein Hinterhof -- scheißegal! Nach fünf Minuten tauchte irgendwo jemand am Fenster auf und plärrte, "dä Blaaren sulln et Muul halln!" gepaart mit den üblichen Drohungen, man würde die Eltern mal besuchen, was keines der Kinder wollte. Denn das bedeutete bei den meisten mindestens Ohrfeigen, bei einigen, die wir solidarisch zu schützen versuchten, sogar richtig Senge.
    Also zogen wir wie die Straßenmusikanten von Spielgelegenheit zu Spielgelegenheit.


    Wenn wir mal Freunde besuchen wollten, dann ging das immer nur einzeln, und wir hatten die jüngeren Geschwister bis hin zum Baby auch mit am Hals. Allzu oft hing in derselben Zeit der Vater bei einem Bier auf dem Sofa -- rechtschaffen müde nach getaner Arbeit, während die Mutter das Abendessen fertigmachte. O Mann, da waren wir aber mäuschenstill, denn sonst erhob der Kerl seine Stimme und gegen die eigenen Kinder schon mal die Hand.


    Mit den Eltern essen gehen? Au weia! Lieber nicht! In den Sonntagsstaat gezwängt mußte man auf dem viel zu hohen Stuhl stillsitzen, brav sein, keinen Mucks machen, sich von ungeliebten Tanten naß abküssen lassen, bei den immer gleichen entnervenden Ausrufen -- "Kenk, wat biste jroooß jeworden!" -- ganz lieb lächeln. Und wenn man Glück hatte, dann gab es eine Nachspeise und zur Belohnung für weitere nasse Schmatzer mal eine Mark oder zwei. Gegessen wurde, was Mutti bestellte!


    Und das war meine Generation, die hatte es schon leichter als diejenigen, die in den Jahrzehnten und Jahrhunderte davor aufwuchsen!
    Sicher, es gab immer Ausnahmen, aber Kindheit, so sehr sie seit Biedermeier und Romantik verklärt wurde, war ein Zustand, der schnellstmöglich überwunden werden mußte, um den Nachwuchs in die Welt der Ewachsenen einzugliedern.


    Die autokratische Erziehungsmasche war in den 1960ern und 1970ern doch völlig normal. Auch als die 68er mit dem Experiment "antiautoritäre Erziehung" begannen, dauerte es Jahre, bis die ersten Eltern es mal mit mehr Kooperation versuchten (unter eifrigem Unken der eigenen Eltern). Denn die Normalität hieß immer noch Zuckerbrot und Peitsche/Liebesentzug.


    Kinderfreundlichkeit war und ist ein unerfülltes Versprechen, ein Anspruch, den die meisten europäischen Länder erst seit 1 - 2 Generationen an sich selbst stellen -- und bislang nicht erfüllen. Immerhin hat die Gewalt in der Kindererziehung erheblich nachgelassen. Ohrfeigen sind kein normales, allseits gebilligtes Erziehungsmittel mehr.
    Auf der anderen Seite wird das nicht durch eine freundliche, liebevolle Form der Autorität ersetzt (ohne geht 's nun mal nicht), sondern Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit haben sich breitgemacht.


    Heute würden wir "Blaaren" nicht mehr von Spielgelegenheit zu Spielgelegenheit pilgern, sondern den Schimpfern entgegenplärren: "Ej, Alte, halt bloß die Fresse!"


    Ist das besser?


    Was keineswegs heißt, ich wolle die alten Zustände wiedereinführen. Aber wer nach der "guten, alten Zeit" ruft, weiß ganz offenkundig nicht, welche Geister er da heraufbeschwört.
    Und damit ist nicht "dä Bööschdekopp mit däm Schnäuzerken" gemeint!!!

  • Hi Iris,


    einige der von dir geschilderten Dinge kann ich voll unterstreichen ........... andere dagegen nicht. Bei mir zu Hause war nicht 'Senge' angesagt wenn Nachbarn sich beschwerten. Wir hatten jede Menge mehr Möglichkeiten, zu spielen, zu toben und sogar Streiche zu spielen.


    Wir haben Klingelmännchen gemacht, die gesamte Nachbarschaft hatte darunter zu leiden und manchmal haben wir gerade die 'Meckertanten' mit ständigem Balltitschen gegen die Hauswand genervt. Einmal habe ich sogar einen Eimer kalten Wassers dafür über den Kopf geschüttet bekommen. Die Lektion hatte ich gelernt ................. und meine Mutter hat sich mit dieser Nachbarin angelegt, weil ich über Stunden pitschenaß weiter gespielt hatte.


    Untereinander haben wir uns das Rollschuhlaufen beigebracht und die Jungen aus unserem Haus hatten einen Heidenspaß dabei, wenn sie mit mir Fußball spielen konnten. Ich musste immer ins Tor und hab unter Garantie KEINEN Ball gehalten. Wir haben Hütten aus 'Jaffa-Kisten' gebaut und wenn dann auch noch der letzte Vater von der Arbeit kam, dann saßen die Erwachsenen mit uns zusammen auf selbst gebastelten Holzbänken vor unserer Hütte. Richtig Ärger gab es nie .............. höchstens mit den Kindern auf der anderen Straßenseite, da durften wir nicht Rollschuh fahren, das war Feindesland und das haben sich nur die getraut, die schneller fahren konnten als andere.


    Wir waren Blagen, Gören und Lausebengel, denen man die Ohren mal langziehen sollte aber wirklich beeindruckt hat uns das nicht, wir bildeten eine feste Gemeinschaft gegen den Rest der Welt ............... und ich habe sehr davon profitiert, dass ich das einzige Mädchen war unter vielen Jungen. Ich bin nie verpetzt worden und für mich haben sich die Jungen sogar geprügelt.


    Den größten Teil meiner Zeit musste ich allerdings im Hort verbringen, da meine Mutter immer berufstätig war. Aber auch das war eigentlich eine schöne Zeit. Wir hatten 'geheime' Plätze, eine eigene Quelle, ein riesiges Gelände für alles und nix. Heute ist es den Kindern im gleichen Kindergarten verboten, sich in die Nähe des Zaunes zu begeben oder in die Büsche zu gehen. Warum??? Weil dort immer wieder Fixerutensilien oder zerbrochene Schnaps-, Bier- und Weinflaschen gefunden werden. Jedes 3jährige Kind lernt als erstes, sich bei Erziehern zu melden, wenn solche Sachen auf dem Kindergartengelände liegen.


    Ich glaube nicht, dass Kindheit oder erwachsen werden ein reines Vergnügen und Kinderspiel ist/war ............... es ist nur sehr viel anders geworden als es früher war. Viel Unbefangenheit von Kindern bleibt einfach auf der Strecke, weil diese Welt offensichtlich gefährlicher geworden ist .............. vielleicht war sie es auch immer schon, nur wurde es nie so thematisiert wie heute.


    Gabi

  • Zitat

    Original von Gabi
    Bei mir zu Hause war nicht 'Senge' angesagt wenn Nachbarn sich beschwerten.


    Meine Eltern waren auch gegen jede Form körperlicher Züchtigung -- aber die Mehrheit meiner Altersgenossen wuchs nun mal in Familien auf, wo die stattliche Zahl der Kinder keine Chance ließ, jedes einzelne mit Argumenten zu erziehen. Große Familien sind wie große Schulklassen: Wenn man nicht will, daß die Situation entgleist, muß man sie unter Kontrolle halten. Und bei vielen saß die Hand der Erziehungsberechtigten recht locker -- beo einigen sogar Vatis Gürtel!


    Zitat

    Wir hatten jede Menge mehr Möglichkeiten, zu spielen, zu toben und sogar Streiche zu spielen.


    Gabi, die Möglichkeiten waren da, nur eben zeitlich begrenzt. Sobald wir zu laut wurden, kam irgendeine alte Zeterliese ans Fenster oder irgendein Rentner schüttelte drohend die Faust. Also zogen wir halt weiter.
    Natürlich gab es Stellen, wo wir niemanden störten, aber das waren meist versteckte Winkel, wohin wir nicht gehen durften, denn es könnte ja was passieren.
    Das Ganze war eine Mischung aus Kontrolle, Duldung und Drohungen. Natürlich hatten wir viele Gelegenheiten zum Spielen -- aber die waren eben meistens durch Zeitgenossen bedroht, die sich in ihrer Ruhe gestört fühlten!


    Zitat

    dann saßen die Erwachsenen mit uns zusammen auf selbst gebastelten Holzbänken vor unserer Hütte.


    Das das jedesmal so war, bezweifle ich. ;-)


    Zitat

    Wir waren Blagen, Gören und Lausebengel, denen man die Ohren mal langziehen sollte aber wirklich beeindruckt hat uns das nicht, wir bildeten eine feste Gemeinschaft gegen den Rest der Welt ...............


    Da ist das Stichwort! Das waren wir nämlich auch -- aber wir hatten eben auch den "Rest der Welt" oft genug gegen uns. Und wie heute sind es grundsätzlich diejenigen, die das Erziehen schon hinter sich haben, die dann Loszetern, weil sie endlich ihre Ruhe haben wollen. Ist mir mit meiner Tochter oft genug passiert.


    Zitat

    vielleicht war sie es auch immer schon, nur wurde es nie so thematisiert wie heute.


    Das glaube ich, ist der eigentliche Kern des Problems. ;-)


    Und es wäre wirklich schön, wenn bei der Thematisierung etwas anderes rauskommen würde als die "gute, alte Zeit"!

  • Hallo Iris und Gabi,
    was wie ein Zeitreisewunsch rüberkommen mag, kann auch damit zusammenhängen, daß damals wie heute ein gewaltiger Unterschied zwischen Stadt und ländlichem Gebiet besteht. Kinder in Städten hatte es immer schon schwerer, sich gegen "alte Meckerzicken" durchzusetzen. In den Dörfern hingegen wurde kaum gegen Kinderlärm opponiert. Da nahm es auch niemand so ernst mit den Gefahren. Wenn du als Steppke vom Baum gefallen warst und hast dir einige Plessuren geholt, gabs halt mal ein paar hinter die Löffel und dann wurden einige Pflaster über die Macken geleimt und fertig. Die Kinder konnten noch in natürlichen Wildnisbereichen spielen oder auf der Straße, denn in den Dörfern gabs damals eben noch kaum Autos. Wir fuhren ja selbst noch mit dem Gespann auf die Äcker und Wiesen und durften sogar lenken, wenn Kühe vorgespannt waren.
    Heute hat sich gerade das geändert. Die Straßen sind auch in den Dörfern unsicher geworden, die ehemalige Wildnis wurde Dorfverschönerungsplänen geopfert und damit für Kinder tabu. Und neuerdings regen sich auch hier einzelne "alte Meckerzicken" auf - allerdings mehr in den Neubaugebieten. Trotzdem haben es Kinder in den ländlichen Gebieten auch heute noch besser als in den Städten.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Hi Demosthenes,


    ich bin mitten im Kohlenpott groß geworden, zu einer Zeit als niemand auf den Gedanken gekommen wäre weiße Wäsche zum Trocknen nach draußen zu hängen, je nachdem wie der Wind stand wurde alles rußig und schmierig. Damals konnte man die Autos in unserer Straße auch noch locker an einer Hand abzählen, heute findet man ab 18:00 Uhr keinen einzigen freien Parkplatz mehr in dieser Straße.


    Und natürlich gab es 'Meckerziegen' aber sie waren gegenüber heute eindeutig in der Minderzahl und mussten damit leben, dass wir 'vorhanden' waren mit allem Drum und Dran.


    Und an Iris: Wir hatten eine funktionierende Hausgemeinschaft und es wurde vieles zusammen gemacht .............. z.B. wurde aus der Schotterlandschaft hinterm Haus irgendwann eine grüne Oase .......... weil alle miteinander daran gearbeitet haben................ mittlerweile hat sich aus unseren Anpflanzungen von damals ein halber Urwald entwickelt und es ist wieder nicht kindgerecht ............ aber es wohnen auch kaum noch Kinder in dem Häuserblock.


    Gabi

  • Demo, ich mag aus der Stadt kommen, aber ich habe längere Zeit in kleinen Gemeinden gelebt, und meine Tochter ist zunächst in einem "richtigen" Dorf aufgewachsen. Auch mein Opa war ein richtiges Bauernkind, und der konnte ein Liedchen singen von "ländlicher Idylle".


    Den Unterschied, den du so gerne beschwörst, den gibt es nicht. Was du beschreibst ("paar hinter die Löffel") ist doch genau das, was ich sage: Diese Neigung, gegenüber Kindern die Hand ziemlich locker sitzen zu haben.
    Und die Meckertanten und Meckeropas gab und gibt es überall. Oder glaubst du wirklich, daß jede Oma im Austrag eine Seele von Mensch war.


    Demo, du verklärst deine Kindheit und verallgemeinerst das Verklärte obendrein. Letztendlich tun wir das alle, denn es war die Zeit, als wir jung und biegsam waren, meist gesund, meist versorgt und voller Träume für die Zukunft. Nun da nicht alle Knabenträume gereift sind, die Welt nicht nach unseren Wünschen verbessert wurde, sondern immer noch mangelhaft ist, wir aber schon etwas steifer in den Gelenken und häufiger mal unpäßlich sind, außerdem das Versorgen meist auch schon weitgehend hinter uns haben, da neigen wir eben dazu, die unerreichbar ferne Vergangenheit zu verklären.


    Aber es waren nicht die Umstände, die so schön und wahr und gut waren, sondern wir waren eben jung und biegsam, meist gesund, meist versorgt und voller Träume für die Zukunft.

  • Mein lieber Schwan, hattet ihr alle beeindruckende Kindheits-Erlebnisse. So im Überblick liest sich das ja schon fast wie ein Sönke-Wortmann-Film; "das Wunder von fern" ... ;-)

  • Hallo Branka!


    ich sehe es wie du: Insgesamt müsste sich erst mal was an der Einstellung der Bürger zu Kindern ändern... überall Verbote, überall sollen sie ruhig sein... Keine Plätze mehr zum Toben, die Spielplätze sind zugemüllt mit Glasscherben. Es ist zum Brechen!! :yikes


    Wir haben drei Kinder und nen Hund. Ich glaube, deshalb gelten wir schon als "asozial", man glaubt es wirklich nicht, aber so ist anscheinend die Einstellung von vielen.
    Ich finde das sehr traurig. natürlich kosten Kinder Geld, Zeit und Nerven, aber es gibt auch sehr viele schöne Momente, die die anderen Situationen wieder ausgleichen :grin


    Und außerdem: Wenn unsere Eltern schon so gedacht hätten...


    Übrigens wohnen wir mehr ländlich, da gibt es doch noch viele, die kein Problem mit Kindern und Hunden haben. Unser Vermieter hat ganz klar gesagt, dass Kinder vorgehen und die Leute unter uns Rihe zu geben und sich nicht zu beschweren haben ;-). Unten die Leute, rentner, sind aber auch sehr nett und hundesitten oft für uns.


    Sorry, jetzt hab ich doch mehr geschrieben, als ich wollte.
    Jedenfalls stimme ich dir zu: Es muss sich in den Köpfen was bewegen, wir waren ALLE mal Kinder und ohne Kinder gibt es keine Zukunft!

    ************


    Hazel


    "Ganze Weltalter voll Liebe werden notwendig sein,
    um den Tieren ihre Dienste und Verdienste an uns zu vergelten."


    Christian Morgenstern

  • Die ersten Jahre entscheiden.
    von Erwin Ringel.


    Erwin Ringel war ein wichtiger Tiefenpsychologe in Österreich, und machte die umstrittene These, dass Österreich und Deutschland Brutstätten von Neurosen sind, weil besonders in diesen Ländern in der Erziehung alles falsch gemacht wird, was nur geht.


    Jedenfalls, als Ringel einmal in Italien war, und bemerkte, wie die Kinder dort fröhlich herumtoben, die Kinder wie kleine Heilige behandelt werden, es völlig normal ist, ein paar schreiende Kinder pro Häuserblock um sich zu haben, fiel Ringel auf, dass es bei uns nicht so ist.


    Wirklich interessantes Buch zum Thema.

  • Zitat

    Original von Iris
    Den Unterschied, den du so gerne beschwörst, den gibt es nicht. Was du beschreibst ("paar hinter die Löffel") ist doch genau das, was ich sage: Diese Neigung, gegenüber Kindern die Hand ziemlich locker sitzen zu haben.
    Und die Meckertanten und Meckeropas gab und gibt es überall. Oder glaubst du wirklich, daß jede Oma im Austrag eine Seele von Mensch war.


    Demo, du verklärst deine Kindheit und verallgemeinerst das Verklärte obendrein.


    Niemand verklärt die Vergangenheit oder verallgemeinert. Es ging hier ja nicht um die Kindererziehung, sondern um die Möglichkeiten, seine Kindheit auszuleben. Daß wir auf den Dörfern damals meist bei der Feldarbeit mithelfen mußten, war eine aus Erwachsenensicht andere Sache. Als Kinder haben wir das nicht als Arbeit empfunden, sondern als Spaß. Natürlich gab es die unschönen Momente, in denen es Prügel setzte. Mein alter Herr war Dorfgendarm, die Dienststelle im Haus. Wenn einer von den Jungen was im Dorf anstellte, bekam ich sie gleich mit, weil irgend jemand behauptete, ich sei dabei gewesen. Als ich das spitz bekam, war ich von da an auch bei allen Schandtaten dabei. :lache
    Doch danach war gar nicht gefragt. Das Toben von Kindern in der Nähe war damals einfach selbstverständlich und kein Mensch regte sich darüber auf. Die Einstellung zu Kindern war eine andere. Und genau darum ging es.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • :grin Diese Zeiten scheinen mir wie aus irgendwelchen uralten Fabeln. Mein Vater musste zwar noch auf dem Feld aushelfen, heute aber kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen!


    Wir haben fast alle Felder aufgegeben und bei uns steht die Schule so zeihmlich weit oben!

  • In addition:


    also ich kann mir kaum vorstellen mich frei entfallrten zu könen, wenn ich neben der schule noch auf m Feld aushelfen müsste.

  • Lieber Merlin,


    Du wirst das auch heute noch in ländlichen Gegenden oft finden, daß die Kinder auf dem Hof mit anpacken müssen. In der Stadt wird oft gejobbt, um das Taschengeld aufzubessern. Und doch können auch diese Kids sich entfalten.


    Vielleicht geht es uns zu gut, wenn wir meinen, daß dies nicht möglich ist? Vielleicht haben wir noch nie wirklich was leisten müssen in unserer Jugend? Vielleicht machen wir es uns zu einfach bzw. es wird uns zu einfach gemacht in unserer Spaßgesellschaft?

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • ähm...also meine Schulzeit in unserem schönen Kuhkaff liegt ja noch nicht so weit zurück (8 Jahr sinds jetzt) , aber ich war immer neidisch auf die Bauernkinder, die sogar von Klausuren befreit wurden, weil sie auf dem Feld im Stall oder sonst wo helfen mußten.
    Als die Mutter eines Schulfreundes krank wurde, da ist er mal eben für 4 Wochen von den ersten 3 Schulstunden befreit worden, weil er beim Melken oder wobei auch immer helfen mußte. :-]

  • Zitat

    Als die Mutter eines Schulfreundes krank wurde, da ist er mal eben für 4 Wochen von den ersten 3 Schulstunden befreit worden, weil er beim Melken oder wobei auch immer helfen mußte.


    Ich bin mir fast sicher, dass er lieber in der Schule gewesen wäre. ;-)

  • Zitat

    Original von Historikus
    Ich bin mir fast sicher, dass er lieber in der Schule gewesen wäre. ;-)


    Denkste, was gibt es schöneres, als Kühehüten, dabei faul in der Wiese liegen oder mit anderen Streiche aushecken, während der Rest der Klasse in der Schule schwitzt. Oder im Herbst die Kartoffelfeuer und selbst geröstete Kartoffeln am zugespitzten Stock mitsamt der schwarzen Schale vertilgen, auch wenn der Rücken weh tut vom Hacken über Tag. Oder auf dem Heuwagen heimfahren, während man den ganzen Tag über mit dem Rechen über die Wiese hinter dem Sammler hergelaufen ist. Es wundert mich, daß ausgerechnet du diese herrlichen Gefühle nicht kennst. Selbst die Stallarbeit machte noch Spaß, man konnte so viel dort entdecken oder seinen Spaß haben. Daß das auch gefährlich war, fiel uns ohnehin nie auf.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.