Wusste ich doch, dass sie gute Bücher schreiben kann!
In ihrem ersten Roman, Maria, letztes Jahr, wollte Katrin Janitz zu viel. Auch im zweiten, In Liebe, Elena, gelang es ihr nicht ganz, alle Handlungsstränge stimmig miteinander zu verflechten. Im neuen, dritten hat sie dagegen alles Beiwerk radikal reduziert, spinnt auf 160 kurzen Seiten einen einzelnen, leuchtend bunten, überzeugenden Faden.
„Ich heiße Laura“, so beginnt er. Laura ist siebzehn, und sie führt eine leidenschaftliche Beziehung - zu ihrem Saxofon. In jeder freien Minute flüchtet sie sich in ihre Musik; ihr Wunschziel, Musik zu studieren, steht seit langem felsenfest.
Einen Freund, Kay, hat sie auch. Sie schläft mit ihm, aber sie hat noch nie für ihn allein Saxofon gespielt.
Zusammen mit Kay, ihrer besten Freundin Nick und deren großer Liebe Gabriel fährt sie im Sommer vor dem Abitur nach Schweden. Bloß weg von den Eltern, die nichts im Kopf haben als das Gartenhaus, das sie diesen Sommer bauen wollen.
In Schweden regnet es. Der Himmel ist grau. Laura jedoch trifft Roberta - die Frau mit den blauen Augen. Sie verbringen Stunden voller Zärtlichkeit, und im Sommerhaus schläft Laura von nun an auf dem Sofa. Ihr Freund? Ein Fremder. Wie es sich anfühlte, in ihn verliebt zu sein? Laura weiß es nicht mehr.
Roberta erzählt nur wenig von sich, und nach einer Weile ist sie plötzlich verschwunden. Laura fährt nach Stockholm, um sie zu suchen - von dem Geld, das sie für das lang ersehnte neue Saxofon gespart hatte. Im Sommerhaus am See zurück bleiben der Freund, die beste Freundin und deren große Liebe. Am Ende des Sommers hat Nick keine große Liebe mehr und Laura keinen Freund und keine beste Freundin. Laura hat ihre Sehnsucht nach Roberta, und sie spielt für sie allein ihr Saxofon.
Katrin Janitz erzählt Lauras Geschichte schnurgerade. In der klaren Sprache einer 17-jährigen Ich-Erzählerin und dennoch mit vielen kleinen Juwelen, frischen Bildern, unerwartet weisen Einsichten, die unvermittelt hinter der nächsten Ecke lauern. Dadurch sinnlich und ernsthaft, doch nie kitschig oder abgehoben. Wie schnurgerade Lauras Geschichte ist, begreift als eine der Ersten Lauras Großmutter Hannah. Sie kann Lauras Liebe zur Musik ebenso nachfühlen wie ihre Liebe zu Roberta.
Zugegeben, "Liebe" ist wohl ein zu großes Wort aus dem Munde zweier kaum volljähriger junger Frauen, die sich gerade kennen gelernt haben. Und auf den letzten paar Seiten fehlen die sprachlichen Brüche, die die Geschichte das ganze Buch hindurch so glaubwürdig machten. Das Ganze wäre noch runder geworden, wenn der mit einem kursiv gedruckten Rückblick begonnene Bogen konsequenter zu Ende geführt worden wäre. Ärgerlich zudem das Foto der blauäugigen, aber klischeeblonden Schwedin auf dem Cover - Roberta hat schwarze Haare.
Doch mehr gibt es nicht zu meckern; darum wollen wir uns nicht damit aufhalten. Schauen wir uns lieber ein paar Kostproben an. Wie sich z.B. eine Alltagssituation unvermittelt in Sinnlichkeit kehrt:
Nick hat allerdings schon am ersten Abend beinahe den ganzen Kühlschrank mit Sektflaschen gefüllt, sodass kaum noch Platz für Essen bleibt. ... Alkohol im Blut und traute Zweisamkeit mit ihrem Freund? Nicht mit mir.
Stattdessen: Nachtluft auf meiner Haut, trunken nur vom Regen.“
Oder dies hier:
„Robertas Stadt, Robertas See, Robertas Hände. Von Laura verschwindend wenig übrig in letzter Zeit.
Lakonischer und doch sprechender geht es kaum.
Ein seltsames, kostbares Leseerlebnis war dieses Buch, in einer schlaflosen Nacht immer wieder gegriffen, weggelegt, wieder gegriffen - ungeduldig und zugleich bedauernd dem Schluss entgegen. Ein Buch wie die winzigen wilden Erdbeeren, die Roberta Laura bei ihrer ersten Begegnung in die Hand drückt:
„Wie heißt du?“, unterbricht sie meine Gedankengänge (...) Dabei berühren ihre Finger für eine Sekunde meine Hand wie ein Flügelschlag.
Sie legt etwas hinein, schließt meine Faust. Warm und weich, abstoßend und lebendig zugleich. Noch wage ich nicht hineinzusehen, bekämpfe meine Neugierde, starre auf meine geschlossenen Finger.
(...) Erst zu Hause öffne ich meine Hand und betrachte sie. Meine Finger sind rot. Im ersten Moment halte ich es für Blut, das mir den Daumen herunterrinnt, dann erkenne ich das Dutzend wilder Erdbeeren, deren Saft bis auf den Boden tropft.
Sie schmecken himmlisch, süß und viel aromatischer als die, die meine Mutter manchmal zu Hause auf dem Markt kauft. Viel zu schnell sind sie verschwunden, doch das Bild von Roberta, das bleibt, selbst als ich mich auf das Sofa kuschele. Ich nehme es mit hinüber in meinen Traum, und als ich am nächsten Morgen erwache, haben sich die Erdbeeren in meinem Bauch in einen großen Klumpen Sehnsucht verwandelt.
Ich empfehle dieses Buch allen, die verstehen wollen, warum eine Frau eine andere Frau liebt. Und allen Frauen, die Frauen lieben. Sie werden nicken und versonnen lächeln.
Probekapitel als PDF auf der Verlags-Website