Michael Köhlmeier - Zwei Herren am Strand

  • Titel: Zwei Herren am Strand
    Autor: Michael Köhlmeier
    erschienen: 25.08.2014
    Seiten: 256 Seiten
    Verlag: Carl Hanser Verlag
    Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung:
    Ein verblüffender Roman über Winston Churchill und Charlie Chaplin: Von zwei Herren, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die - jeder auf seine Art - gegen das Böse kämpfen.
    Winston Churchill und Charlie Chaplin – zwei Giganten der Weltgeschichte, so unterschiedlich wie nur möglich und doch enge Freunde. Der eine schuf als weltberühmter Komiker das Meisterwerk "Der große Diktator", der andere führte mit seinem Widerstandswillen eine ganze Nation durch den Krieg gegen Adolf Hitler. Michael Köhlmeier hat mit dem Blick des großen, phantasievollen Erzählers erkannt, was in diesem unglaublichen Paar steckt: die Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Kunst und Politik, Komik und Ernst. Der arme Tramp und der große Staatsmann, in diesem verblüffenden Roman des berühmten Autors aus Österreich erleben sie die Geschichte des Jahrhunderts.


    Über den Autor:
    Michael Köhlmeier, 1949 in Hard am Bodensee geboren, lebt als Schriftsteller in Hohenems / Vorarlberg und Wien. Bei Hanser erschienen die Romane Abendland (2007) und Madalyn (2010) sowie der Gedichtband Der Liebhaber bald nach dem Frühstück (Edition Lyrik Kabinett 2012) und zuletzt der Roman Die Abenteuer des Joel Spazierer (2013).


    Meine Meinung:
    Als ich in den Ankündigungen zum Deutschen Buchpreis las, dass dieses Buch die Freundschaft zwischen Winston Churchill und Charlie Chaplin thematisiert, elektrisierte mich dieser Gedanke sofort. Zwei absolut gegensätzliche Menschen, zwei große Berühmtheiten und deren Freundschaftsgeschichte. Das wollte ich lesen.
    Die Lektüre hat sich gelohnt, denn Kohlmeier schreibt wenig über Churchills politisches Handeln, wenig über Chaplins Filmkunst, sondern sein Thema ist die Beziehung, die diese beiden Männer miteinander pflegen.
    Das erste Aufeinandertreffen ist schon denkwürdig. Beide entfliehen dem unerträglichen Smalltalk einer Party und begegnen sich am Strand. Beide erkennen auf den ersten Blick, dass sie ein wohlgehütetes Geheimnis teilen. Sie leiden an Depression. Diese Krankheit ist auch der einzige Berührungspunkt der beiden Männer und zugleich schafft die beiderseitige Erkenntnis eine sofortige Intimität und eine enge Bindung. Beide schwören, sofort zur Stelle zu sein, wenn es dem jeweils anderen schlecht geht. Beide halten dieses Versprechen ein und so kommt es immer wieder zu Begegnungen. Während ihrer „talk-walks“ besprechen sie, wie sie es schaffen, sich nicht umzubringen. Den Gesprächen zu lauschen wirkt auch auf den Leser heilsam.
    Köhlmeier redet nicht viel drum herum. Er führt einen Ich-Erzähler ein, der die Begegnungen aus der Sicht seines Vaters schildert und verwischt damit die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Die Frage, was ist wirklich passiert und was erfunden, stellt sich dadurch beim Lesen gar nicht mehr, die Erzählperspektive ist durch den Erzähler eh gefärbt. Dass diese Freundschaft so geschehen sein könnte, das nehme ich Köhlmeier auf jeder Seite ab und konnte mich beim Lesen ganz und gar auf diese Gedankenreise einer möglichen Freundschaft einlassen.
    Ich merke, dass ich es in letzter Zeit sehr genieße, wenn der Erzählstil eher nüchtern ist. Köhlmeier schafft es, zu erzählen ohne zu fabulieren. Er lässt humorvolle Passagen auf solche im Lexikonstil folgen, das hat mir sehr gefallen.
    Das Spiel mit Nähe und Distanz gelingt dem Autor auf hohem Niveau.


    Es gibt große Szenen in diesem Buch, zum Beispiel eine herrlich komische, in der Köhlmeier den gemeinsamen Feind Churchills und Chaplins im Buch auftauchen lässt. Churchill und Hitler begegnen sich auf der Toilette. Ihre Blicke treffen sich im Spiegel. Hitlers Gesicht ist voller Rasierschaum und beim Anblick Churchills schneidet er sich in die Wange. Köhlmeier lässt Hitler vor dem Spiegel fluchen, das Rasiermesser auf und ab schwingend. M Churchill stimmt in die Schimpftirade mit ein. Der Sieg des Rasierschaums über das Bärtchen. Grandios!
    Dabei belasse ich es und empfehle: Selbst lesen!

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zwei Männer, die unterschiedlicher kaum sein können, trafen sich unregelmäßig, um sich vor sich selbst zu schützen. Beide hatten ein tiefes Verständnis für die Absurdität der Welt. Vielleicht zogen sie sich deshalb gegenseitig an, um sich vor der letzten Konsequenz ihrer Depressionen zu bewahren. Und bei all den Dialogen, den inneren oder den gemeinsamen, kamen geniale Geistesblitze zum Vorschein:


    Churchill, auf Seite 241:
    Theorie werde nachgereicht. Immer. Das sei in der Kunst nicht anders als in der Politik. Und im Krieg sei es genauso. In der Schlacht entscheiden irgendwelche nicht nachvollziehbaren Zufälle über Sieg und Niederlage. Erst hatte es geheißen, die Geschichte sei Gottes Plan; dann, die Geschichte werde vom Menschen gemacht. Und wenn beides nicht wahr ist?


    Oder man erfährt unheimliche Dinge über die Protagonisten. So kommentierte ein ehemaliger Mitarbeiter Chaplins Verhalten während der Entstehung von „The great dictator“:


    „Natürlich hatte er einige Eigenschaften, die Hitler ebenfalls besaß. Er beherrschte seine Welt. Er schuf seine Welt. Und Chaplins Welt war auch keine Demokratie. Charlie herrschte über alles wie ein Diktator.“ (S. 206)


    Kurios erscheint in diesem Zusammenhang, dass die halbe Welt schon 1935 einen Film von Chaplin über Hitler erwartet habe, obwohl der Künstler sich erst Jahre später mit diesem Gedanken befasst hätte.


    Letztendlich bestätigen beide die These, dass ein Genie auf allen Gebieten Höchstleistungen erbringe:


    Churchill als Staatsmann, Kriegsminister, Maler und Historiker. Chaplin als Komiker, Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor, Schnittmeister, Komponist und Filmproduzent.


    Ein spannend und gut geschriebenes Buch. Sehr empfehlenswert.