Evangeline von D. W. Buffa

  • Über den Autor:
    D.W. Buffa wurde in San Francisco geboren. Er hat zehn Jahre als Strafverteidiger gearbeitet und weiß daher aus eigener Erfahrung, wovon er in seinen Gerichtsthrillern erzählt. Auf Deutsch liegen von ihm bisher Nichts als die Wahrheit und Nichts als Lügen vor (beide Rowohlt). D.W. Buffa lebt in Napa Valley, Kalifornien.


    Kurzbeschreibung:
    Die Evangeline, eine hochmoderne Segelyacht der Superlative, ist in einem Sturm gesunken. Vierzehn Männer und Frauen konnten sich in ein Boot retten, darunter der Kapitän der Evangeline, Vincent Marlowe. Vincent Marlowe steht vor Gericht. Kannibalismus hat acht Gerettete im Schlauchboot das Leben gekostet. Doch wird nicht die Frage verhandelt, ob Vincent Marlowe Menschen getötet hat. Verhandelt wird die Frage, ob er eine Wahl hatte. Vor den Geschworenen steht ein Mann, der sich in höchster Not gezwungen sah, die Entscheidung zu treffen, wer sterben sollte, damit andere leben konnten - und der diese Entscheidung in die Tat umsetzte. Es sind die erschütternden Aussagen von Marlowe und den anderen, ihm zutiefst dankbaren Überlebenden, die im überfüllten Gerichtssaal Stück für Stück eine Wahrheit ans Licht bringen, über die zu richten mit vom Menschen gemachten Gesetzen nicht mehr möglich ist. D. W. Buffa hat eine Geschichte geschrieben, in der er Undenkbares zu Ende denkt; einen Gerichtsthriller, der unsere vertraute, vemeintlich sichere Vorstellung von Gut und Böse zerschlägt.


    Meine Meinung:
    Das Buch spielt fast ausschließlich im Gericht und läßt uns den Untergang der Evangeline mit allen Konsequenzen nachvollziehen. Wochen nach dem Unglück werden in einem Rettungsboot ein paar fast verhungerte Überlebende gemeinsam mit einer Leiche aufgefunden. Die Leiche ist ausgeweidet und es fehlen der Kopf, die Hände und die Füße.


    Man erlebt den Prozess mit, indem man erfährt, dass es viel mehr Überlebende gegeben hat, die nach einem Losverfahren getötet und von den anderen Überlebenden gegessen wurden.
    Doch nun soll geklärt werden, ob Marlowe (der Kapitän) eine Möglichkeit hatte, die Tötung der anderen Überlebenden zu umgehen.


    Es handelt sich hierbei um ein beklemmendes Buch, jede Zeugenaussage bringt neue Fakten, die ich als Leser nachzuvollziehen versucht habe. Wie hätte ich in so einem Fall bei Gericht entscheiden können und müssen. Für mich war dieser Fall nicht lösbar, vielleicht geht es euch da anders. Ich bin sehr gespannt, wie anderen das Buch gefallen hat.

  • Ich kann mich irren, aber ich glaube mal gelesen zu haben, daß nach einem Schiffbruch alle begangenen im normalen Leben strafbaren Handlungen als straffrei gelten. Soll, so glaube ich mich zu erinnern, im internationalen Seerecht verankert sein.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Hallo Wolke,


    Evangeline ist für mich eines der Highlights im Gerichtsthrillergenre.
    Ein richtiges Gänsehautbuch. Intelligent geschrieben. Man versetzt sich sofort in die Rolle der Jury, nur-- zu einem Ergebnis kam ich auch nicht.
    Man merkt auch, dass der Autor Anwalt ist, wie der einen auseinandernehmen kann, fast beängstigend.


    Mein neuester Tipp: Im Rausch der Stille von Sanchez Pinol/Verlag Fischer


    Total abgedrehtes Buch, einfach mal reinsehen.
    Es grüßt, blaufish

  • Ich bin jetzt gerade dabei es zu lesen und hab ungefähr die Hälfte schon durch. Ich finde es sehr gut geschrieben und die Geschichte ist wirklich keine leichte Kost... Ich bin schon sehr gespannt wie es weiter gehen wird und was noch alles so ans Tageslicht kommt...


    Im Moment bin ich der Auffassung das Käptn Marlowe wohl das einzige getan hat, was man tun konnte in so einer Situation, so schwer das wohl auch war... Irgendwie ist es ziemlich gruselig... :wow



    EDIT:
    So, habs jetzt ausgelesen und bin beeindruckt. Das Ende hat mir sehr gut gefallen... Alles in allem fand ich es ein tolles Buch, was man in einem weglesen kann. Sehr gut kann ich mir einen Film dazu vorstellen...

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Inhaltsangabe:


    Die Evangeline, eine hochmoderne Segelyacht der Superlative, ist in einem Sturm gesunken. Vierzehn Männer und Frauen konnten sich in ein Boot retten, darunter der Kapitän der Evangeline, Vincent Marlowe.


    Vincent Marlowe steht vor Gericht. Er ist für den Tod von sechs Menschen verantwortlich. Doch wird nicht die Frage verhandelt, ob er sie getötet hat. Verhandelt wird die Frage, ob er eine Wahl hatte - ob er wirklich tun musste, was er getan hat. Vor den Geschworenen steht ein Mann, der sich in höchster Not gezwungen sah eine Entscheidung zu treffen: Menschen mussten sterben, damit andere leben konnten. Die erschütternden Aussagen von Marlowe und den anderen, ihm zutiefst dankbaren Überlebenden, bringen im überfüllten Gerichtssaal Stück für Stück eine Wahrheit ans Licht, über die zu richten mit von Menschen gemachten Gesetzen nicht mehr möglich ist.
    (Quelle: Amazon)


    Meine Meinung:


    Ich habe die Rezension mal unter "Zeitgenössisches" eingestellt, da Evangeline für mich weit mehr als ein Gerichtsthriller a la Grisham ist.
    Im Zentrum dieses Romans steht die Frage nach Verantwortung, nach der Freiheit der Entscheidung und vor allem nach der Möglichkeit humanen Handelns in einer unvorstellbar unmenschlichen Situation.
    Im Laufe des Gerichtsprozesses lässt Buffa alle Überlebenden zu Wort kommen, die mit dem erlittenen Trauma äußerst unterschiedlich umgehen.


    Was mich sehr beeindruckt hat, ist die beharrliche Weigerung des Autors, die (eventuell vorhandene) Blut- und Sensationsgier des Lesers zu befriedigen. Wer also eine detailierte Schilderung der Ereignisse nach dem Untergang der Evangeline erwarter, wird enttäuscht sein.


    Auch die Wertung des Geschehens bleibt am Ende allein dem Leser überlassen. Durch die Figurenzeichnung gelingt es Buffa zwar, Empathie bwz. Antipathie für gewisse Personen auszulösen, die Figur des Kapitäns Marlowe ist allerdings so angelegt, dass es ausschließlich im Ermessen des Lesers liegt, dessen Verhalten zu be-/verurteilen.


    Und so stelle ich mir auch jetzt noch die Frage, ob Humanität eine Folgeerscheinung unserer "zivilisierten" Gesellschaft ist oder ob humanes Handeln im Wesenskern des Menschen angelegt ist,oder eben auch nicht.


    Fazit:
    Ein Roman, der mich auch nach Abschluss der Lektüre beschäftigt.
    Eine Geschichte, die nachklingt.
    Uneingeschränkte Empfehlung!

  • Das Buch ist mir schon des öfteren begegnet, aber ich hatte immer Bedenken, dass mir von den möglicherweise blutrünstigen Schilderungen schlecht wird, aber wenn ich das hier lese:


    Zitat

    Original von Seestern
    Was mich sehr beeindruckt hat, ist die beharrliche Weigerung des Autors, die (eventuell vorhandene) Blut- und Sensationsgier des Lesers zu befriedigen. Wer also eine detailierte Schilderung der Ereignisse nach dem Untergang der Evangeline erwarter, wird enttäuscht sein.


    könnte es doch etwas für mich sein :gruebel

  • Ich kann Seesterns Eindruck des Buches nur zustimmen. Es ist ein stilles, ruhiges Buch, das trotzdem einen tiefen Eindruck hinterläßt. Blutige Details sollte man nicht befürchten, aber das Grauen, das dort auf dem Boot passierte, ist trotzdem greifbar.

  • Zwiespältig


    Es sollte die Reise ihres Lebens werden – siebenundzwanzig schöne, reiche, prominente Menschen auf der niegelnagelneuen Superyacht des Bohemiens Whitfield, aber aus der Afrikaumseglung mit Champagner und Kaviar wurde ein Albtraum. Nur sechs überlebten den Untergang des hochmodernen Schiffes in einem gewaltigen Orkan, und auch diese sechs schafften es nur, weil sie während ihrer vierzigtägigen Irrfahrt im Rettungsboot auslosten, wer sterben müsste, um die anderen zu ernähren. Die Hinrichtungen nahm Vincent Marlowe vor, der Kapitän der "Evangeline", und nun steht er vor Gericht, angeklagt wegen mehrfachen Mordes.


    Der Roman erzählt von der einzigartigen Verhandlung, in der es darum geht, ob ein Notstand vorlag, der das Vorgehen entschuldigen würde, ob es eine moralische und juristische Rechtfertigung geben kann für den Mord und den Kannibalismus, dem immerhin alle zustimmten, auch diejenigen, die schließlich sterben mussten. Aus Sicht des Angeklagten aber ist derlei unerheblich, denn seine Strafe besteht darin, getan zu haben, was er tun zu müssen glaubte. Er verfolgt das Verfahren mit Widerwillen und einem auf sich selbst gerichteten Desinteresse.


    Buffa hat einen klassischen Gerichtsroman vorgelegt, der mit den üblichen Versatzstücken und leider auch bekannten Stereotypen arbeitet. Alle Figuren sind mit bemerkenswerten, ausschließlichen Eigenschaften belegt – es gibt den stoischen Moralisten, den Selbstausbeutung betreibenden, engagierten Überanwalt, das Weichei, den miesen Ignoranten, die zarte, intelligente Frau, den gierigen Finanzhai, den Self-Made-Mann undsoweiter. Was das Buch rettet und aus dem Grisham-Einerlei hervorhebt, das sind die zugrunde liegende Fragestellung und die Dramatik des Geschehens auf der Yacht. Leider aber nur teilweise. Das Strickmuster der Geschichte ist wenig originell, allzu leichtfertig wird nach Superlativen gegriffen, die Abläufe sind entweder vorhersehbar oder mit Deus-Ex-Machina-Erklärungen ausgestattet. Bleibt die spannende Frage, ob vertret- und verkraftbar ist, wozu sich die Schiffbrüchigen entschieden haben, aber auch diese Frage wird schließlich als nicht beantwortbar zurückgewiesen.


    Fazit: Originelles Setting, das bewirkt, dass man sich beim Lesen auch die eine oder andere Frage stellt, die man sich lieber nicht beantworten möchte, aber literarisch eher Durchschnittskost. Die nicht unerhebliche theistische Komponente des ganzen - der Name des Schiffes ist Programm - hat zumindest bei mir zusätzlichen Widerwillen ausgelöst, aber das ist ein Randproblem.

  • Ich habe das Buch nun beendet und bin sehr beeindruckt. Beeindruckt davon, wie spannend und konträr dieses unglaubliche Thema behandelt wurde.
    Ständig erfährt man neue Informationen, andere Sichtweisen, ständig grübelt man darüber nach, wie man zu den Geschehnissen stehen soll.
    Was ist richtig? Was ist falsch?


    Auf Seite 349 steht ein wichtiger Satz: " Es gibt Situationen, für die die Regeln des Gesetzes einfach nicht geschaffen sind."


    Ein Buch, welches es einem nicht einfach macht - aber gerade dieser Zwiespalt bereitet auch grosses Lesevergnügen. Obwohl Vergnügen bei diesem Thema vielleicht nicht das richtige Wort ist.


    Letztendlich bin ich der Meinung, dass die Jury im Buch richtig entschieden hat.


    Das Buch bekommt von mir 10 von 10 Punkten.


    Und eine Verfilmung könnte ich mir auch gut vorstellen.

  • Zitat

    Original von Demosthenes
    Ich kann mich irren, aber ich glaube mal gelesen zu haben, daß nach einem Schiffbruch alle begangenen im normalen Leben strafbaren Handlungen als straffrei gelten. Soll, so glaube ich mich zu erinnern, im internationalen Seerecht verankert sein.


    Weiss jemand, ob dies so stimmt?


    Hier noch der Link zum TB.

  • Ich hatte es letztens als Mängelexemplar in der Hand, und in einem seltenen Moment der Selbstbeherrschung nicht gekauft, nun ärgere ich mich ein bisschen, dass ich ausnahmsweise mal vernünftig war, denn eure Rezis machen mich neugierig...ab auf die Wunschliste *seufz*

  • Im Grunde wurde bereits alles zu dem Buch gesagt. Es ist meines Erachtens ein sehr lesenswerter Roman, dramaturgisch geschickt gemacht - wenn auch die eine oder andere Dramatisierung gegen Ende nicht abgegangen wäre -, der eine Reihe interessanter Fragen rund um Schuld aufwirft. Einziges wirkliches Manko ist, [sp]dass uns Buffa eine juristische Lösung der aufgeworfenen Fragen nach us amerikanischen Recht vorenthält.[/sp]