Rocko Schamoni - Fünf Löcher im Himmel

  • Titel: Fünf Löcher im Himmel
    Autor: Rocko Schamoni
    Verlag: Piper
    Erschienen: Oktober 2014
    Seitenzahl: 192
    ISBN-10: 3492056296
    ISBN-13: 978-3492056298
    Preis: 16.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Als Paul sich damals gleichzeitig in Katharina Himmelfahrt und seine Lehrerin Frau Zucker verliebte, schien alles in die richtige Richtung zu gehen. Jetzt sitzt er in einem Datsun 240Z, auf der Flucht von einem Einbruch, und fragt sich, wie das alles kommen konnte.
    Alles fängt damit an, dass für Paul Zech das Leben aufhört. Nach einer ziemlichen Pechsträhne landet seine bürgerliche Existenz auf dem Müll, und Paul zieht los in die norddeutsche Weite. Im Gepäck hat er nur sein altes Tagebuch. Während er den melancholischen Kneipier Pocke kennenlernt und von ihm einen alten Sportwagen geliehen bekommt, liest Paul im Tagebuch von seiner großen Liebe zu Katharina Himmelfahrt. Sie war das Mädchen, in das er sich bei den Proben des Schultheaters zu den "Leiden des jungen Werther" verliebte.


    Der Autor:
    Rocko Schamoni, 1966 in Deutschland geboren, veröffentlichte zahlreiche CDs, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig solo oder mit Band durch die Republik und hat inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde.


    Meine Meinung:
    Oftmals sind es nur Kleinigkeiten die den Gang des Lebens entscheidend beeinflussen können. Davon schreibt Rocko Schamoni in diesem Buch. Paul Zech, nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren, lernt für einen kurzen Moment kennen, was es bedeuten könnte, eben auf dieser Sonnenseite des Lebens zu sein. Und dieser kurze Moment nimmt dann auch entscheidenden Einfluss auf sein weiteres Leben. Paul Zech ist 40 Jahre alt, als er sein altes Tagebuch findet. Und während er in den Tag hineinlebt, liest er in diesem Tagebuch, das die Zeit des Sommers 1966 beschreibt, genaugenommen die Zeit, als er für die Schulaufführung des Goethe-Stückes „Die Leiden des jungen Werther“ probte. Er hat Schwierigkeiten mit dem Text, mit seinen Mitspielern und mit der gesamten Situation an sich sowieso. Er wird nicht genau schlau daraus was mit ihm passiert und warum es dann eigentlich so enden musste.
    Dieser Roman von Rocko Schamoni hat mich beeindruckt, hat vielleicht auch an die eigene Jugend und an die damit zusammenhängenden Verwirrungen erinnert. Jung sein bedeutet ja auch, sich Problemen gegenüberzusehen, zu deren Lösung man einfach noch nicht in der Lage ist.
    Schamoni schreibt schonungslos, aber auch unglaublich sensibel und mitfühlend. Alles ist unsentimental – aber trotzdem melancholisch und von einer leichten Traurigkeit durchzogen. Ein Buch das mich immer wieder ein klein wenig innehalten ließ.
    Und selbst denkt man doch auch – vielleicht oft, vielleicht aber auch nur selten – was wäre geworden wenn.....
    Dieses Buch ist gleichzeitig poetisch und unbarmherzig.
    Ein sehr lesenswertes Buch, ein Buch aber auch die existenziellen Fragen des Lebens. Warum kommen die Dinge so wie sie kommen?
    9 Eulenpunkte

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich verehre Rocko Schamonis Bücher, seinen Schreibstil, der immer auch ein bisschen dorthin geht, wo es weh tut. "Fünf Löcher im Himmel" habe ich mir vorbestellt und sofort mit Erscheinungsdatum ausliefern lassen, so sehr habe ich auf eine Geschichte, auf einen neuen, unwiderstehlichen Rocko- Tragik- Komik- Schnodder- Mix gewartet und gehofft. Nun, bis Heute habe ich dieses Buch nicht beendet. Die Geschichte von Paul, die mit dem Ende der zu erzählenden Ereignisse beginnt, wirkt auf mich sperrig, plan- und ziellos. Hin und wieder legt der Autor seine Gabe frei, den Protagonisten Leben einzuhauchen, sie in meinem Kopf zu Bekannten werden zu lassen, allerdings leider nur zu flüchtigen. Alles bleibt farblos und bis zur Bedeutungslosigkeit blass. Über Allem, über Pauls Leben, liegt eine schwere Melancholie, die bis zur Depression ausgereizt wird. Kein noch so kleiner Strahl an Heiterkeit bricht da durch. Was nicht heißen soll, dass dieses Buch nicht lesenswert wäre oder der Autor seine Gabe verlernt hätte. Ich bin zur Zeit wohl einfach nur nicht die richtige Leserin.


    Gedankenverloren blickte er in eine Schaufensterscheibe. Dort stand ein alter Mann, mit hängenden Schultern, in beigen Seniorenkleidern und halblangen Hosen, Sandalen mit weißen Socken, einem Angelhut und einer Verlaufssonnenbrille. Wer war dieser Mann mit dem hoffnungslosen Gesicht, den grauen Bartstoppeln, mit den herabhängenden Mundwinkeln und der faltigen Haut am Hals? Jedesmal, wenn er sich selber unerwartet irgendwo entdeckte, erschrak er. Deshalb mied er spiegelnde Flächen, denn eigentlich empfand er sich selbst als zeitlos und seinem äußeren Bild nicht zugehörig. Das Bild, das er von sich gespeichert hatte, stammte von irgendwann aus seinen mittleren Jahren, er war damals in den Zustand der Zeitlosigkeit eingetreten. Jeder Spiegel bewies ihm aber, dass das nicht stimmte und dass seine Erdengestalt allmählich verfiel. Dass der Rückbau des Lebens fast vollendet war. Dass sich alles an seinem Körper dafür bereitmachte, sich zu verabschieden. Und er wunderte sich immer wieder, wie man ein Leben lang dabei zusehen muss, was so alles mit einem passiert. Wie man erst heranwachsen muss, auch wen man gar nicht will, erwachsen werden muss, auch wenn man gar nicht will, wie man sich verfielfältigen muss, auch wenn man gar nicht will, wie man sich am Leben erhalten muss, auch wenn man gar nicht will, und wenn man sich grade daran gewöhnt hat, wenn man gerade begriffen hat, wer man ist und wie das Leben funktioniert, wie einem alles wieder genommen wird und man sich verabscheiden muss, von den Freunden, von den Strukturen, von den Gewohnheiten und Lebensstrategien, von den Anehmlichkeiten, den Rhytmen und Abläufen und schließlich vom Leben. Auch wenn man gar nicht will. Man fährt durch all das hindurch wie durch eine Geisterbahnund ist nie dazu in der Lage, den Zug anzuhalten, er fährt einfach immer weiter und die Effekte unterweges werden immer lächerlicher und voraussehbarer, aber man kann den Zug einfach nicht anhalten. Dachte sich Paul.


    Das ist die Stelle, an der ich das Buch zuklappen und auf die Fensterbank zurückwandern lies. Weil diese Stelle nicht zum Aushalten wahr ist, Paul so tickt und Rocko ihm und mir keine Hoffnung schenkt. Wenn ich mal mutiger bin, starte ich einen neuen Versuch, versprochen. Ich arbeite dran. ;-)

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von rienchen ()

  • Ziemlich gut


    Paul ist 67 und Paul ist durch: Er steht vor den Scherben seines Lebens, hat nun auch noch die Behausung verloren. Ihm bleibt fast nichts, nur ein altes Tagebuch aus der Schulzeit und die Gewissheit, dass keiner mehr für ihn da ist. Also zieht er los, geht auf eine Reise ohne Ziel, und während er das macht, liest er immer wieder in jenen Aufzeichnungen, die er 50 Jahre zuvor angefertigt hat, als das Leben noch vor ihm lag, als alle Träume noch Optionen waren, als es noch bergauf ging. Damals war Paul in Katharina Himmelfahrt verliebt, derentwegen er beim Laientheater mitgemacht hat, und ein bisschen auch in Frau Zucker, die Lehrerin, die sich um die Theatergruppe kümmerte.
    Pauls letzter, kleiner Vorteil besteht darin, dass er tatsächlich nichts mehr zu verlieren hat. Also kann er eine entspannte Sorglosigkeit an den Tag legen, wenn er in Kleingartenkolonien einbricht oder hier und da etwas klaut. Dann trifft er auf Pocke, den Kneipenwirt, der seinen Abschied aus der Gastronomie feiert. Paul "erbt" vom zukünftigen Aussteiger ein altes japanisches Auto und einen Wellensittich. Und liest weiter in den alten Tagebüchern.
    Beide Geschichten, die vom alten Paul aus der Jetztzeit und dem jungen Paul aus der Schulzeit, verbinden sich am Ende zu einem dramatischen Finale, das kein besonders optimistisches ist.


    Von Rocko Schamoni habe ich bislang nur seinen launigen Erstling "Dorfpunks" gelesen, der mich seinerzeit - im Jahr 2004 - nicht übermäßig begeistern konnte. "Fünf Löcher im Himmel" kommt in einer anderen Tonalität daher, ist sehr viel ernster, die Geschichte wird zielgerichtet abgearbeitet, ist auch, von kleinen Ausnahmen abgesehen, logisch, stimmig und, vor allem, in hohem Maß konsequent. Ein paar Metaphern und Bilder sind ziemlich überzogen, einen Stich zu pathetisch, vielleicht sogar etwas naiv, aber unterm Strich ist das ein ziemlich gutes, schön erzähltes Buch, das sich fast ein bisschen zu schnell wegliest - und in einer sehr eigenen Stimmung hinterlässt.