Ben Howard ist jung, unter dreißig. So ist es eigentlich kaum verwunderlich, dass an unseren wirklich sehr guten Plätzen im ausverkauften Tempodrom ( 1. Reihe Oberrang, frontal zur Bühne) fast ausschließlich junges Geschnetz vorbeidröppelt. Meine Güte, ich schätze mal so 18 bis Mitte/ Ende 20, und alle sehen sowas von gleich aus, fast uniformiert. Die Mädchen mit dicken Parkas und Loopschals in mausgrauen Farben, die Jungs in komischen Fixerbüxchen, Schiebermützen und Nerdbrillen. Als ein wunderschönes Mädchen mit langen, bis zum Hintern reichenden, rotblonden Haaren und herrlich bunten Klamotten an uns vorrüber geht, erregt sie die Aufmerksamkeit aller um uns herum Sitzenden. Das Mädchen trägt irgedeinen Blütenkranz in den Haaren und sieht so wohltuend anders aus, als wäre ihr alles um sie herum einfach egal. "Die sieht ja aus, wie eine Hexe", "Voll die Bitch". kommt es missmutig aus einer Reihe hinter uns von zwei pummeligen Gören mit Parkas und Loopschals, die mal grade mal ihr Smartphonegedaddel für diese Lichterscheinung unterbrechen. Großer Gott, denke ich. Und noch größerer Gott , als eine sechsköpfige Familie mit Säugling und dreijährigem Sproß samt Wickeltasche und Komplettverpflegung in unmittelbaren Nähe zu uns Platz nimmt. Hä?
Warum ich das erzähle? Weil das so gut wie das Aufregendeste am gestrigen Abend war. Den englischen Singer/ Songwriter Ben Howard mag ich seit seinem Debutalbum von 2011 "Every Kingdom" mit dem wirklich herrlichen "Keep Your Head Up" sehr gerne und auch das aktuelle Album "I Forget Where We Were" hat mich überzeugt. Es ist ruhige, unaufgeregte, aber sehr stimmungsvolle, atmosphärische Musik, auch mal düster und folkloristisch, aber auch mit fluffigen Jack Johnson Anleihen. Von daher hat es mich nicht weiter überrascht, dass auf der Bühne so gut wie nix passiert ist. Keine Ansprachen an das Publikum ( welches allerdings den Künstler frenetisch gefeiert hat), keinen Spannungsbogen, lange Pausen zwischen den Stücken, alles scheint bis auf die gelungene Hintergrundbeleuchtung irgendwie planlos. Da wir frontal zur Bühne sitzen, zerschmelzen uns ab und an die 25 Millionen Watt Leuchten, die genau auf unsere Augen ausgerichtet sind. Also sitzt man da auf seinen Superplätzen und lauscht mit geschlossenen Augen schöner, herzerwärmender Musik, dem großertigen "Oats In The Water" allerdings weit entfernt von emotionaler Nähe oder gar einer Gänsehaut an irgendeiner Stelle.
Zuhause auf dem Sofa wäre das auch ok gewesen. Aber da wäre einem das Spektakel von Berlin Mitte Hipstern U30 erspart geblieben, die sich mit Ben Howard anscheinend geschlossen auf den neuesten heißen Scheiß geeinigt haben. Um uns herum titschen alle aus, aber trotzdem wird mit dem Smartphone gefuchtelt, gespielt, oder permanent während Gitarrensoli zum Bierstand gerannt. ???
Fazit: schöne Musik, das Konzert völlig nichtssagend und belanglos. Wie ein Vanilleeis. Lecker, jeder mags, aber das gibts an jeder Ecke. Ist es an einem Stand ausverkauft, geht man halt zum anderen oder nimmt eine andere Sorte.
Ich hätte ja auch Lust auf "The Rifles" im Postbahnhof gehabt. Beim nächsten Mal dann.