Anghard Price: Das Leben der Rebecca Jones

  • Anghard Price: Das Leben der Rebecca Jones
    Deutscher Taschenbuch Verlag 2014. Hardcover. 176 Seiten
    ISBN-13: 978-3423280389. 18,90€
    Originaltitel: The life of Rebecca Jones (2012)
    Walisischer Titel: O!Tyn y Grochudd (2002)
    Übersetzer aus dem Englischen: Gregor Runge


    Verlagstext
    Rebbeca Jones wird Anfang des letzten Jahrhunderts in eine kleine ländliche Gemeinde im Maesglasau Tal in Wales hineingeboren. Ihre Familie hat das Land dort seit über tausend Jahren bewirtschaftet. Drei ihrer Brüder sind von einer genetisch bedingten Blindheit betroffen, und gerade dieses Handicap ermöglicht ihnen den Zugang zu Bildung und Erziehung außerhalb von Wales. Rebecca und ein weiterer Bruder aber bleiben zurück und bewirtschaften die Farm, halten fest an ihrer Sprache und Tradition, der heraufziehenden Moderne zum Trotz.Rebbeccas Erinnerungen erreichen uns mit anrührender Würde und Innigkeit. Kraftvoll und poetisch beschwört Angharad Price den Wandel der Zeiten und eines Lebens herauf, ihre Sprache, ihr Stil, sind von unvergesslicher Präzision und Anmut. Und am Ende lüftet die Erzählerin ein Geheimnis, das dem Leser den Atem raubt.


    Die Autorin
    Angharad Price wurde in Wales in der Nähe von Caernafon geboren. Sie ist Schriftstellerin, Kritikerin und Übersetzerin und unterrichtet Walisisch an der Bangor University. ›Das Leben der Rebecca Jones‹ ist ihr zweiter Roman, der bereits bei Erscheinen als erster walisischer Klassiker des 21. Jahrhunderts gerühmt wurde. Im Jahr 2012 feierte die Familie das tausendjährige Überdauern ihres Farmerlebens im Maesglau Valley.


    Inhalt
    Als Evan Jones 1903 seine Frau Rebecca nach der Hochzeit in sein Tal in Wales holt, wirkt ihre Fahrt in der Kutsche kurz wie eine Entführung. Das Tal ist von beiden Seiten von hohen Bergen umschlossen, aus der Hintertür der Farm blickt man direkt hinunter. Evans Mutter Catrin muss nun in eigenes Haus ziehen und wirft der Schwiegertochter unterschwellig vor, ihr den Sohn weggenommen zu haben. Evans Schwester Sarah bleibt als Arbeitskraft auf dem Hof, ohne sie hätte Rebecca die Arbeit kaum geschafft. In ihrer Erinnerung sieht die Tochter Rebecca ihre Mutter meist dabei, für eine Truppe von Schafscherern zu kochen und zu backen und das viele Geschirr zu spülen. Nach Rebecca werden drei Brüder geboren, die beiden jüngeren blind. Ein dritter Bruder erblindet kurz bevor er eingeschult werden sollte. Die beiden älteren Gruffyd und William werden mit 3 ½ und 5 Jahren fern von zuhause in eine Vorschule für blinde Kinder gegeben. Gruff studiert später Theologie in Oxford, auch William beendet seine Ausbildung erfolgreich. Dass es schon Anfang des 20. Jahrhunderts Unterricht und Lehrmaterial für Blinde gab, hat sich vermutlich kaum jemand so vorgestellt. Die Kosten trägt die Familie und spart buchstäblich jeden Penny dafür. Die beiden älteren Söhne zahlen für ihre Bildung und Selbstständigkeit den hohen Preis, dass sie die walisische Kultur hinter sich lassen müssen und nur noch in den Ferien in ihr heimatliches Tal zurückkehren. Der erstgeborene Robert gibt seinen Lebenstraum vom Studium auf; denn nur er kann die Farm übernehmen und den Lebensunterhalt der Familie verdienen. William lebt inzwischen wieder mit der Familie und verdient eigenes Geld.


    Die Erzählerin der Geschichte ist mittlerweile eine ältere Frau, die offenbar nie das Tal ihrer Kindheit verlassen hat und mit dem Wehmut derer zurückblickt, die kein eigenes Leben führten und sich für die Familie opferten. Die exakten Lebensdaten und Schwarzweiß-Familienfotos lassen die Geschichte authentisch wirken wie eine Biografie. Aufgabe des Lesers ist es, die Verknüpfungen zu suchen zwischen einer sehr jungen walisischen Autorin, einer authentischen Familiengeschichte und dem Schicksal der Rebecca Jones, die diese Geschichte erzählt.


    Fazit
    Eine wunderbare, sehr dichte Erzählung, die ihre verzaubernde Wirkung am besten entfalten kann wenn man der Versuchung widersteht hinten im Buch zu forschen, wie die Geschichte ausgeht.


    10 von 10 Punkten

  • „Manchmal glaube ich, die Erinnerung an das Leben bereitet größere Freude, als das Leben selbst. Wir können Erinnerungen aussuchen, verdrängen, ausschmücken, neu erschaffen, heraufbeschwören und deuten. Das Leben selbst dagegen ist unvorhersehbar und unbändig(..) Wir können uns entscheiden, ob wir lachen oder weinen, wann wir Erinnerungen hinterfragen oder uns in sie ergeben wollen.“


    Die Autorin dieses Buches, Angharad Price erzählt die Geschichte des Tals Maesglasau in Wales und die Geschichte ihrer Familie, die dort seit tausend Jahren lebt. Als Erzählerin setzt sie Rebecca Jones ein, die 1905 als Tochter von Evan Jones und seiner Frau Rebecca in besagtem Tal das Licht der Welt erblickte.
    Dass sie es erblicken konnte, würden sie und ihre Eltern erst später zu schätzen wissen, denn drei ihrer Brüder konnten das aufgrund eines Gendefektes nicht. Rebecca berichtet in groben Auszügen von ihrer Kindheit und der ihrer Brüder. Sie geht dabei nur manchmal ins Detail, doch viele Worte sind nicht notwendig, um das karge und arbeitsreiche Leben zu schildern, dass die Familie führte. Der Vater gab viel Geld für eine gute Ausbildung der drei blinden Brüder aus, so dass für Rebecca und ihren verbliebenen gesunden Bruder nicht mehr viel übrig blieb. Sie begannen früh zu arbeiten. Die Brüder mussten das Tal verlassen, um eine spezielle Förderung zu erhalten. Rebecca jedoch, so scheint es, blieb ihr Leben lang dem Ort ihrer Geburt treu.


    Sie schildert das Familienleben, berichtet von den schlimmen Verlusten, die immer wieder erlitten wurden und zeigt auf, wie sich das Tal im Wandel der Zeit verändert. Obwohl es so abgelegen scheint, dass die Bewohner lange ungestört ihre Kultur pflegen können, so sind doch die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs sogar hier zu spüren und ganz langsam ziehen auch die „Errungenschaften“ der Technik in diesen abgelegenen Ort.


    Man sieht mit den Augen Rebeccas auf die Menschen, lernt ein wenig ihre Eigenarten kennen und spürt in allem, was sie berichtet, ihre tiefe Verwurzelung mit dem Tal, in dem die Familie schon so lange lebt.
    Es ist die Stimme einer alten Frau, der man lauscht, einer Frau, die im Laufe der Jahre fast alle Familienmitglieder überlebt hat und die auf eine ruhige teilweise sehr poetische Weise davon berichtet.


    Zitat: “Das gemeinsame Schweigen ließ ein Band zwischen uns entstehen, warm und weiß, wie reinstes Linnen. Als Vater starb, verschwand es mit ihm, als Leichentuch. Was folgte war eine kühlere Stille….“


    Sie erzählt in Rückblicken, greift ab und zu ein wenig vor und doch spürt man die ganze Zeit, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. Das Ende ist überraschend und lässt einige Gedankenspiele zu. Das Buch wird jetzt schon als ein moderner walisischer Klassiker bezeichnet.


    Ich habe mich von der Erzählerin gern in das kleine Tal Maesglasau entführen lassen. Ihre innere Ruhe und die poetische Art, ihre Heimat zu betrachten, war wie ein Ausflug in eine andere Welt…
    10 Punkte

  • Und zwar nachhaltigen.


    Mich hat das Buch von der Inhaltsbeschreibung und vom Cover her angesprochen und ich war sehr neugierig auf dieses hochgelobte Buch.
    Auf gut 175 Seiten erfährt man sehr viel über "das Leben", zwischen den Zeilen liegt soviel Weisheit und einzelne Sätze beinhalten Aussagen, über die es sich nachzudenken lohnt.
    Das A und O des Buches ( ausser den letzten Sätzen, die mich wirklich fast umgehauen haben ) war für mich das Bild auf Seite 50 und die Beschreibung dazu. Diese Sätze habe ich mehrfach gelesen, habe hin und her geblättert und mir die einzelnen Menschen auf dem Bild immer wieder angesehen. Und gespürt, wie ich fast schon eine Art Verbindung ( gefühlsmässig ) zu ihnen aufgebaut habe.
    Und auch am Ende des Buches habe ich als Erstes nochmals zu diesem Bild zurückgeblättert.


    Vom Inhalt her erfährt der Leser in relativ ruhigen und neutralen Sätzen, wie das Leben der Familie Jones auf ihrer Farm in Wales abgelaufen ist. Welche Schicksalsschläge die Familie getroffen hat - oft wie nebenbei erzählt und trotzdem so aussagefähig.
    Wunderbar die Beschreibung der großen und einmaligen Liebe, die Rebecca Jones erleben durfte. Gleichzeitig so unerfüllt und doch erfüllt. Und so logisch und nachvollziehbar.


    Angharad Price hat hier wirklich ein großartiges Buch geschrieben.
    Dem ich gerne 10 Punkte gebe.