'Welt in Flammen' - Seiten 709 - Ende

  • Nachdem ich gestern abend nach dem Teil 6 einfach schlafen mußte (es war schon 1 Uhr durch), hab ich heute morgen gleich als erstes im Bett noch das Buch zuende gelesen.


    Die Auflösungen und Enden der Fäden gefallen mir ausgesprochen gut, einzig das mit dem Kreuz von Katharina versteh ich grad nicht so richtig - ist Boris nun doch nicht tot oder wer hat sich da die Mühe gemacht, ihr das Kreuz zurück zu geben? Der Steward, der sie auch gesehen hat, als sie Boris im Sumpf versenken wollten??? Hier bitte ich mal um Aufklärung, kann auch sein, daß ich da im müden Kopf etwas überlesen hab.


    Betty und Carol, das könnte eine interessante Geschichte werden und Eva und Ingolf gefallen mir ja sowieso.


    Mit Mr Fitz ist also auch der britische Geheimdienst an Bord gewesen, der jetzt Eva (und Ingolf) für seine Dienste anwerben will.


    Ganz klar ist mir aber auch nicht die Rolle des Inders geworden, außer, daß er mit seinen Heilversuchen ein wenig Ruhe in die chaotischen letzten Stunden des Zuges gebracht hat.


    Die tragischste Figur ist sicherlich Paul, der ohne es zu wissen in diesem Schlamassel gelandet ist und ihn jetzt auch noch mit dem Leben bezahlt hat. Immerhin zusammen mit Vera, ich geh mal davon aus, daß seine Gefühle echt waren.


    Und Xenia und Raoul werden sicherlich ihnen Weg machen.


    Zusammenfassend kann man sagen, daß ich dieses Buch quasi verschlungen habe. Nachdem ich monatelang fast kein Buch angefaßt habe, habe ich das Lesen mit dem Kindle neu entdeckt und bin eher zufällig in die Leserunde gestolpert, die ja am Dienstag begonnen hat.


    Nun scheine ich die erste zu sein, die es fertig gelsen hat. Ich bin wunderbar unterhalten worden, es war spannend von der ersten Seite an; einzig die Tatsache, daß viele Personen doch ein kleines bißchen klischeehaft gezeichnet waren, könnte man als Mangel anfügen. Für mich jedoch war es sicherlich das Monats- wenn nicht sogar das Jahreshighlight!

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • @ Caia: :write

    Zitat

    Original von Caia
    Die Auflösungen und Enden der Fäden gefallen mir ausgesprochen gut, einzig das mit dem Kreuz von Katharina versteh ich grad nicht so richtig - ist Boris nun doch nicht tot oder wer hat sich da die Mühe gemacht, ihr das Kreuz zurück zu geben? Der Steward, der sie auch gesehen hat, als sie Boris im Sumpf versenken wollten??? Hier bitte ich mal um Aufklärung, kann auch sein, daß ich da im müden Kopf etwas überlesen hab.


    Betty und Carol, das könnte eine interessante Geschichte werden


    Diese beiden Punkte sind meine einzigen Kritikpunkte.
    Ist Boris nun tot oder wie kommt das Kreuz in die Kirche? Soll das ein Mystikelement in die Geschichte bringen? Absurd, aber spontan meinem Harmoniebedürfnis entsprechend bis zu einer überzeugenderen Idee:
    Constantin hat durch einen Bediensteten oder eigenes Erleben etwas von der ganzen Sache mitbekommen, das Kreuz besorgen lassen und es Katharina auf diese Weise zurückgegeben.


    Dass Betty Carol nun Hollywood zum Fraß vorwerfen will, erscheint mir fast ein wenig übertrieben, aber es wird ja nur die Möglichkeit angedeutet. Und was sie in Istanbul ursprünglich wollte, ist mir bis zum Ende nicht ganz klar geworden. Kurz dachte ich an so eine Art messerfreies Lifting, eine "urzeitliche" Schönheitsfarm...


    Und was das Jahreshighlight angeht:
    Da ich nicht weiß, ob ich Charlotte Lyne oder Charlotte Roth den obersten Jahreshighlighttreppchenplatz einräumen soll, könnten die sich vor dem "Zug der Waisen" auch auf Platz 2 zusammenkuscheln und damit wäre der Orientexpress als Überraschungskandidat (für mich, ich habe von diesem Autor bisher nichts gelesen) auf Platz 1 gefahren. Aber noch ist das Jahr ja nicht um...
    Auf jeden Fall hat mich das Buch überrascht und unterhalten und "ge-klügt", denn auch hier konnte ich mein Wissen erweitern.
    Die engagiert und heiter begleitete Leserunde gefiel mir auch sehr. Danke! :anbet
    Rezension folgt bald, 10 Punkte sind sicher.#
    :wave


    EDIT fügt noch etwas an:
    Ich habe von diesem Roman im Bekanntenkreis ganz begeistert erzählt und den Inhalt - da es momentan aus Zeitgründen keiner lesen wollte - in groben Zügen umrissen. Da kam doch tatsächlich der Einwand: "Klar, natürlich musste es wieder ein Amerikaner sein, der die Welt rettet!"
    Also, erstmal spielten ja verschiedene Faktoren eine Rolle, außerdem hätte auch ich Paul eine neue, anständige Frau und nette Zwillinge gewünscht, aber es scheint mir, als wäre dieses Ende auch für ihn irgendwie passend.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • Ich habe das Buch vorhin ausgelesen und bin noch etwas "neben mir" und beim Gedanken sortieren. Vor allem, da sich mir auf den letzten Seiten unerwartet die Assoziation an einen bestimmten Ring förmlich aufgedrängt hat. Nur zwei Dinge vorab:


    Zitat

    Original von Caia
    Die Auflösungen und Enden der Fäden gefallen mir ausgesprochen gut, einzig das mit dem Kreuz von Katharina versteh ich grad nicht so richtig - ist Boris nun doch nicht tot oder wer hat sich da die Mühe gemacht, ihr das Kreuz zurück zu geben? Der Steward, der sie auch gesehen hat, als sie Boris im Sumpf versenken wollten??? Hier bitte ich mal um Aufklärung, kann auch sein, daß ich da im müden Kopf etwas überlesen hab.


    Darüber bin ich auch gestutzt, die Szene ist recht verschwommen und mehrdeutig. Katharina fällt ein, daß sie Boris nicht hat versinken sehen. Und hat Alexej sich beim Tragen nicht gewundert, daß Boris eigentlich noch wie ein Lebender sich anfühlt? Andererseits hieß es an einer Stelle, daß er auf einen Teil des am Boden liegenden Schädelknochens getreten sei. Wobei ich mich gewundert habe, daß so eine kleine Waffe - denn allzugroß kann sie nicht gewesen sein - eine solche Wunde hat reißen können. Das empfand ich übrigens als eine der makabersten Stellen im Buch.



    @ maikaefer


    Das tauchte immer wieder in der LR auf, aber es war doch von Anfang an klar (stand irgendwo auch mehrfach recht deutlich), daß Betty auf ihrer jährlichen Reise nach Istanbul war, so sie in eher zweifelhaften Etablissments als Sängerin und Tänzerin auftrat und sich so viel Geld verdiente, daß es wieder ein Jahr ging. Weitergehende, ähm, Ansprüche hat sie nicht erfüllt, obwohl ihr das ein restliches finanziell sorgenfreies Leben beschert hätte.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")


  • Dem kann ich eigentlich gar nichts hinzufügen. :-)


    Vielleicht noch als Gedanke: Wer Stieg Larsson gelesen hat - Lisbeth Sallander ist zwischenzeitlich auch ziemlich mitgenommen, schädeltechnisch. :hau Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde ... Auch wenn Katharina ziemlich orthodox ist, kommt vielleicht doch der strukturelle Protestantismus des Autors durch. sola fide, sola gratia - auch in der schlechtesten aller Welten. :-)


    Und Betty: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. Ich lese hier, ich kann nicht anders. ;-)

    "Ich bin nicht der Meinung, dass jemand, der eine andere Meinung hat als ich, nur deswegen kritisiert werden muss. Er muss dann kritisiert werden, wenn er etwas vertritt, was nicht echt ist." (Helmut Schmidt)

  • Zielbahnhof erreicht. Der Leser jedenfalls, nicht der Zug.


    Endlich klärt sich die Situation zwischen Ingolf und Eva. Ich hätte ihnen noch ein paar Minuten länger gewünscht, aber immerhin. Dazu ist dann später ja noch Zeit. :grin


    Paul lebt also noch, aber nicht mehr lange. Selbst wenn er nicht den Versuch, den Wagen abzukoppeln, unternommen hätte, hätte er bei seinen Verletzungen wohl nicht überlebt. Er ist für mich die tragischste Figur in dem ganzen Buch. Benutzt, hinters Licht geführt - und am Ende zahlt er dafür mit seinem Leben. :cry


    Bei seinen Überlegungen zur Kupplung hatte ich die stille Hoffnung, daß der Autor da gut recherchiert hat. Es klingt nämlich überzeugend. Ich habe mich schon oft gefragt, wie die Schraubenkupplungen diese oft enormen Belastungen aushalten können. Vor allem direkt an der Lokomotive, denn an der Kupplung hängt der gesamte Zug. Von den Kräften, die auf die Rahmen wirken ganz zu schweigen. Die Überlegungen Pauls klingen für mich sehr einleuchtend. Zumal ich kürzlich als Zuhörer beim theoretischen Teil eines Fahrsicherheitstrainings dabei war, wo der Trainer einen Vortrag über die auf die Räder wirkenden Kräfte hielt. Ist natürlich etwas ganz anderes, aber physikalisch klang die Erklärung hier ähnlich.


    Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wie der Zug denn zum Stillstand kommen soll und gehofft, daß die Fahrdienstleiter die Strecke frei gemacht haben, denn sonst ... Irgendwann mußte ja der Dampf im Kessel erschöpft sein. Oder die Geländegegebenheiten hätten den Zug abgebremst (Stichwort Steigung --> erhöhter Dampfverbrauch --> keine Nachfeuerung --> „automatisches“ Abbremsen). Nach dem Abreißen der Verbindung zwischen vorderem und hinterem Zugteil hätten allerdings mMn beide Teile mit einer Vollbremsung stehen bleiben müssen. Zugbremsen sind i. d. R. Druckluftbremsen, die anziehen, sobald der Druck fällt. Wenn die Bremsleitung unterbrochen wird, entweicht Luft, und es passiert eine Zwangsbremsung. Aber im Roman war es sicherlich effektvoller, die Lok auf die Sperren krachen zu lassen. :grin ;-)


    Als der Zug dann stand, ging Alexej etwas durch den Kopf, das mich mächtig beeindruckt hat, S. 724:
    Die Dinge sind so, wie sie sind. Es existieren unterschiedliche Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu betrachten: durch die Augen des zaristischen Regimes, die Augen des Sowjetstaates, die Augen der studentischen Kreise in den Bistros am Montmartre und viele andere mehr, aber das änderte nichts an der Wirklichkeit an und für sich.
    Und S. 729: Die Dinge sind so, wie sie sind. Man muss sie zur Kenntnis nehmen, sie als Wirklichkeit akzeptieren - und reagieren: schnell, zielgerichtet, rücksichtslos.
    Ob man nun rücksichtslos reagieren muß, sei dahingestellt, aber die Feststellung an sich ist sicherlich richtig.
    In einem Astronomiesachbuch (ich meine zur SETI-Forschung) fand ich einmal den Gedankengang bzw. die Überlegung, ob das Universum überhaupt existent wäre, wenn es keine Lebewesen gäbe, die das All beobachten könnten. Daran mußte ich hier denken.


    Zwischendurch erfahren wir, was aus Raoul und Xenia geworden ist. So ohne Papiere wird es schwer werden, aber ich schätze, so gut versorgt, wie die beiden sind, werden sie es schaffen. Es sei ihnen von Herzen gegönnt.


    Und Betty! :freude Ich hatte jene Stelle mehrfach gelesen, ob es irgendeinen Hinweis gibt, daß sie überlebt, aber immer wieder kam ich zu einem „nein“. Mir ist schon seit geraumer Zeit klar, daß ich das Buch nochmals lesen muß, aber als Betty „starb“, bin ich da etwas unsicher geworden, ob ich mir das nochmals zumuten wollte. Aber so komme ich damit prima klar. :-] Keine Ahnung, was aus Carol und Betty wird, aber ich denke, auch die beiden werden zurecht kommen. Carol scheint ja lernfähig zu sein (und seine Ohnmachtsanfälle hat er im richtigen Moment abgelegt :grin), da wird sich etwas finden. Für Betty sowieso.


    Gut gefallen hat mir die Schlußszene in der Britischen Botschaft. :anbet


    In Anknüpfung an frühere Diskussionen hier in der Leserunde. Auch wenn das jetzt seltsam und für manchen vielleicht unverständlich klingen mag, aber die sehr indirekte Darstellung der Judenverfolgung im 3. Reich hier in diesem Roman hat mir das Ausmaß, die Grauenhaftigkeit vermutlich mehr verdeutlicht und nahe gebracht, als das noch so viele Dokumentationen, Sachbücher oder Filme/Bücher explizit dazu je vermochten oder vermocht hätten. Gerade indem vieles nur angedeutet oder gar nicht erwähnt wurde (z. B. das Schicksal der Eltern Evas), wurde es (für mich) deutlich. Hierfür einen besonderen und ganz persönlichen Dank an Cyriacos! :anbet


    Ich habe es erwähnt, auf den letzten Seiten war plötzlich und für mich selbst völlig unerwartet eine Assoziation an einen Ring da. Nicht irgendeinen, sondern den „Ring“.


    „Alles was ist - endet.“ So verheißt es Erda im Schlußbild des „Rheingold“ dem Wotan und rät ihm, vom Ring zu lassen.


    S. 757: Das Europa, das sie hinter sich gelassen haben, existiert nicht mehr und wird sich nie wieder erheben.


    Am Ende werden starke Scheite geschichtet und die (Ring) Welt geht im Feuer unter um Platz zu machen für eine neue Welt, eine neue Weltordnung.


    Aber was geschieht, wenn sich erneut aus undefinierbaren Tiefen ein harmonischer Dreiklang aufbaut, aus dem sich eine neue Welt(ordnung) entwickelt. Hat man wirklich aus dem Bisherigen, aus der Geschichte, gelernt - oder schleichen sich langsam die gleichen Mißtöne wie in der Vergangenheit ein, durchsetzen die Harmonien, um am Ende wiederum in einem Haufen starker Scheite zu münden?


    Der „Ring“ endet mit einem Liebesmotiv im Orchester. In der wirklichen Welt ist noch nicht sicher, was als Letztes ertönt.




    Zu den Kriegsereignissen noch eine Anmerkung. (Sorry Cyriacos, wenn ich immer wieder auf andere Bücher zurück komme, aber ich bin halt Leser, der immer wieder auch Querverbindungen zieht.) Für mich war interessant, daß jetzt zwei sehr verschiedene Autoren (Judith Pella als Amerikanerin und Benjamin Monferat - oder wie auch immer der heißt :grin - als Deutscher) die Geschehnisse und Einstellungen weitgehend übereinstimmend beschrieben haben. Das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam, aber die Figuren der beiden Romane könnten sich treffen und es würden ihnen keine Anachronismen auffallen. Von der Einstellung der Personen aus verschiedenen Ländern bis hin zum historischen Ablauf. Bei Letzterem packt mich langsam etwas das Entsetzen, aber auch Wut. In der Schule (zu meinen Zeiten wie auch heute, Stichwort meine Tochter ist in der Oberstufe) kommt immer wieder 3. Reich vor. Aber erst durch diese Bücher wurde mir bewußt, wie sehr Hitlerdeutschland dabei war, den Krieg zu gewinnen. Ich kann mich nicht entsinnen, das jemals so deutlich vor Augen geführt bekommen zu haben. Wie dicht wir an einer Welt waren, in der die Nazis gewonnen hätten - und am Ende noch heute die Macht hätten. :yikes


    In dem Zusammenhang als Kurzzitat (was vom Urheberrecht gedeckt sein müßte) aus Judith Pellas „Bevor der Morgen dämmert“ zum Thema „Kriegseintritt der USA“ (Diskussion in Moskau, Januar 1943, unter den westlichen Journalisten, S. 237):
    Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie eine zweite Front eröffnet werden könnte: eine natürliche und eine übernatürliche. Die natürliche Variante wäre es, wenn Gabriel und ein Engelsheer vom Himmel herabkämen und sie eröffnen würden; die übernatürliche Variante wäre, dass die Briten sie eröffnen. :grin
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ein gutes Ende. Hat mir gefallen. Carol als eine Art Erol Flynn in Hollywood :grin Warum nicht.


    Die Steine waren also tatsächlich dort, wo wir sie vermutet haben und werden Raoul und Xenia ein sorgenfreies Leben bescheren. Fein.


    Um Paul tut es mir herzlich leid. Ich hätte ihm gegönnt, wenn er nach Hause zurückkehren und einen neuen Anlauf zur Familiengründung hätte starten können.


    Tja, Katharina und das Kreuz. Die Szene ist mir auch nach den Erläuterungen hier nicht klarer. Boris soll also überlebt haben. Okay. Wenn es so gewesen ist, warum dieses Theater mit dem angeblichen Versenken der Leiche? Warum soll Katharina denken, er sei tot? Und wenn er ihr das Kreuz gebracht hat, ist das dann eine erneute Kontaktaufnahme oder nur eine Geste? Und woher weiß Boris, dass ihr das Kreuz wichtig ist?


    Zitat

    Original von SiCollier
    Aber erst durch diese Bücher wurde mir bewußt, wie sehr Hitlerdeutschland dabei war, den Krieg zu gewinnen. Ich kann mich nicht entsinnen, das jemals so deutlich vor Augen geführt bekommen zu haben. Wie dicht wir an einer Welt waren, in der die Nazis gewonnen hätten - und am Ende noch heute die Macht hätten. Yikes


    An der Stelle, als aufgezählt wurde, wie weit das Großdeutsche Reich schon reicht, und dass außer bei den Engländern praktisch jeder Widerstand gebrochen ist, wurde mir auch ganz anders. Wenn Hitler sich damit begnügt hätte, was er zu dem Zeitpunkt erreicht hatte, dann sähe die Welt heute wohl ganz anders aus. So wie in dem Science Fiction "Vaterland".

  • Zitat

    Original von JaneDoe
    An der Stelle, als aufgezählt wurde, wie weit das Großdeutsche Reich schon reicht, und dass außer bei den Engländern praktisch jeder Widerstand gebrochen ist, wurde mir auch ganz anders. Wenn Hitler sich damit begnügt hätte, was er zu dem Zeitpunkt erreicht hatte, dann sähe die Welt heute wohl ganz anders aus. So wie in dem Science Fiction "Vaterland".


    Das waren auch meine Gedanken. Zu der Buchvorlage von Robert Harris gab es sogar mal eine > Leserunde <, die ich seinerzeit allerdings abgebrochen habe.
    .

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    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • JaneDoe "Soll" ist immer schlecht - aus Sicht des Autors. :-) Es soll so, wie es dort steht. Wenn ich erklären würde, vor allem etwas Definitives und Absolutes erklären würde, widerspräche das dem, was in der Geschichte geschrieben steht. Ich weiß aber auch nicht mehr als das, was dort steht und könnte auch nur Vermutungen anstellen. Dass Boris - wenn er lebt - vielleicht gar nicht bei Bewusstsein war, als er in den Sumpf geschleppt wurde. Dass er vielleicht befürchtet hat, man könne das einmal begonnene Werk vollenden, wenn man feststellt, dass er doch noch am Leben ist (weil man sich vielleicht vor seiner Rache fürchtet). Vielleicht, vielleicht, vielleicht ... Ausgesagt werden kann nur das, was auch tatsächlich im Buch steht. Was dann auch bedeutet, dass auch nur das ausgesagt werden soll. :-)


    Es ist interessant, dass Du auf den "Ring" kommst, SiCollier. Schließlich funktioniert unsere Geschichte weitestgehend leitmotivisch. Das Amerika-Motiv hast Du ja selbst schon mehrfach isoliert, doch es gibt etliche andere, und diese Alexej-Gedanken betreffen ein ganzes Bündel von Motiven. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich das aufdröseln sollte.

    "Ich bin nicht der Meinung, dass jemand, der eine andere Meinung hat als ich, nur deswegen kritisiert werden muss. Er muss dann kritisiert werden, wenn er etwas vertritt, was nicht echt ist." (Helmut Schmidt)

  • Vaterland, Buch und Film, kenne ich übrigens auch. Die Vision ist beklemmend, skeptisch bin ich allerdings bei der Grundthese, dass dort tatsächlich niemand irgendetwas geahnt oder gesehen haben soll. Das ist mir ein Zuviel an kollektiver Freisprechung.

    "Ich bin nicht der Meinung, dass jemand, der eine andere Meinung hat als ich, nur deswegen kritisiert werden muss. Er muss dann kritisiert werden, wenn er etwas vertritt, was nicht echt ist." (Helmut Schmidt)

  • Zitat

    Original von Cyriacos
    Es ist interessant, dass Du auf den "Ring" kommst, SiCollier. Schließlich funktioniert unsere Geschichte weitestgehend leitmotivisch. Das Amerika-Motiv hast Du ja selbst schon mehrfach isoliert, doch es gibt etliche andere, und diese Alexej-Gedanken betreffen ein ganzes Bündel von Motiven. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich das aufdröseln sollte.


    Ups, sehr interessant. Ich habe jetzt keine Zeit, da wir gleich zum Tanzkurs gehen. Zu dem Thema melde ich mich nochmals, evtl. erst morgen. Da sind mir nämlich noch ein paar Dinge aufgefallen, auf die ich bisher nicht eingegangen bin.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Cyriacos
    Vaterland, Buch und Film, kenne ich übrigens auch. Die Vision ist beklemmend, skeptisch bin ich allerdings bei der Grundthese, dass dort tatsächlich niemand irgendetwas geahnt oder gesehen haben soll. Das ist mir ein Zuviel an kollektiver Freisprechung.


    Aber das ist doch letzten Endes das, was uns Nachgeborenen permanent vorgegaukelt wird, daß (Ur-)Großeltern oder Eltern nichts gewußt haben!


    Ich kann es verstehen, daß nicht alle Täter waren. Nicht jeder hat mitgemacht, sicherlich haben viele weggeschaut oder waren mit anderen Dingen wie dem eigenen Überleben beschäftigt.


    Aber ich kann es nicht verstehen, daß man behauptet, nichts gewußt zu haben. In jeder Familie waren Männer Soldaten und Soldaten haben die Gräuel der Wehrmacht erlebt. Und davon zu Hause erzählt. Sicher ist, daß wenige wirklich gewußt haben, aber alle haben etwas geahnt

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • So, ich bin auch in Istanbul angekommen.
    Nachdem der vorhergehende Abschnitt sich vor Action ja schierweg überschlagen hat, geht es jetzt wieder ruhiger zu, die gemeinsame Reise geht zu Ende.
    Die letzte Szene in der Botschaft hat mir gut gefallen.


    Die Sache mit Boris fand ich auch rätselhaft, aber gut, solange es keine Fortsetzung des Romans gibt, werden wir wohl nicht erfahren, ob Boris noch am Leben ist.


    Alles in allem hat mir das Buch wirklich sehr gut gefallen und ich habe jetzt das Problem für den November ein Monatshighlight zu benennen. Kinder der Freiheit, Kinder des Meeres oder Welt in Flammen..... :gruebel


  • Ob die Soldaten zu Hause von ihrem Erlebnissen gesprochen haben, wage ich zu bezweifeln. Da wurde wohl oft auch aus Scham geschwiegen. Und weil man sich nicht daran erinnern wollte.


    Ich bin immer wieder überrascht, wenn mein Vater Geschichten seiner Flucht erzählt, die ich noch nicht kenne. Er spricht über diese Zeit nicht viel und auch nur mit Menschen denen er vertraut. Und viele Dinge hat er wohl verdrängt und erinnert sich teilweise jetzt erst daran.


    Geahnt haben bestimmt viele Menschen etwas, aber ehrlich, würdest Du das glauben, wenn dir jemand solche Sachen erzählt? Im Nachhinein wissen wir ja was war und haben uns damit auseinander gesetzt. Damals waren das Verbrechen, die es in der Geschichte in diesem Ausmaß nicht gegeben hat.
    Da konnten und wollten wohl viele die Geschichten, die sicherlich die Runde machten, nicht glauben.


    Ich denke wir können von Glück reden, dass die Medien damals noch nicht die Macht hatten, die sie heute haben. Ich denke Hitler mit seiner Propagandamaschine und den heutigen technischen Möglichkeit wären eine tödliche Kombination.
    Ich frage mich heute auch teilweise, wieviel von dem was wir in den täglichen Nachrichten sehen und hören, denn wirklich wahr ist.

  • Zitat

    Original von SiCollier
    @ maikaefer


    Das tauchte immer wieder in der LR auf, aber es war doch von Anfang an klar (stand irgendwo auch mehrfach recht deutlich), daß Betty auf ihrer jährlichen Reise nach Istanbul war, so sie in eher zweifelhaften Etablissments als Sängerin und Tänzerin auftrat und sich so viel Geld verdiente, daß es wieder ein Jahr ging. Weitergehende, ähm, Ansprüche hat sie nicht erfüllt, obwohl ihr das ein restliches finanziell sorgenfreies Leben beschert hätte.


    Danke, sorry. Meine einzige Erklärung könnte sein, dass ich, da Betty von Anfang an als eine meiner Lieblingsfiguren feststand, irgendwie alles Rufschädigenkönnende ausgeblendet habe. Sie ist für mich eine Mischung aus Marilyn Monroe, Betty Grable und Doris Day mit je einem Hauch Grace Kelly und Katharine Hepburn (die Letztgenannte für die Fußtritt-Szene :grin). :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von streifi
    So, ich bin auch in Istanbul angekommen.


    Die Sache mit Boris fand ich auch rätselhaft, aber gut, solange es keine Fortsetzung des Romans gibt, werden wir wohl nicht erfahren, ob Boris noch am Leben ist.


    Alles in allem hat mir das Buch wirklich sehr gut gefallen und ich habe jetzt das Problem für den November ein Monatshighlight zu benennen. Kinder der Freiheit, Kinder des Meeres oder Welt in Flammen..... :gruebel


    Das :write ich so. Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen. Mir geht es wie streifi im November habe ich überdurchschnittliche gute Bücher gelesen. Bei mir es Welt in Flammen, Zug der Waisen und Das Buch der Königin. Da ist es wirklich schwer, ein Monatshighlight zu finden


    An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Autor, der immer präsent war und alle Fragen ausführlich beantwortet hat.


    Rezi folgt nach meinem Wochenendtrip :wave

  • Nach 4 Tagen Leserundenabstinenz wegen einer Dienstreise bin ich wieder an Bord. Gestern kam ich erst spät nach Hause, musste aber unbedingt den letzten Abschitt noch lesen. So etwas geschieht eigentlich nur, wenn mich ein Buch stark in seinen Bann zieht. Für mich war es auch einer der besten historischen Romane, den ich in diesem Jahr las und das waren einige.


    Die Sache mit dem Kreuz habe ich auch nicht so recht verstanden. Aber ich muss über das Ganze noch ein bisschen nachdenken.


    Am Schluss fügt sich alles, oder besser gesagt vieles. Xenia und Raoul sind finanziell nun ganz gut ausgestattet und die Steine waren wirklich in der Puppe. Aber ob sie wirklich eine gemeinsame Zukunft haben können?


    Maikäfer schrieb:

    Zitat

    "Klar, natürlich musste es wieder ein Amerikaner sein, der die Welt rettet!"


    Das ist mir auch ein bisschen aufgestoßen. Es ist übrigens die einzige leicht kritische Bemerkung meinerseits. An Pauls Stelle - den amerikanischen Märtyrer - hätte ich lieber Ludvig/Ingolf gesehen - als guten Deutschen sozusagen. Dann wäre die Liebelei auch nur eine Episode gewesen. Damit hätte ich auch gut leben können. Hab ich schonmal bemerkt, dass ich bei den Romanen oft die Liebesgeschichten löschen würde. Ich bin so was von unromantisch. Aber ich will das Buch um Gottes Willen gar nicht umschreiben. Es st gut, wie es ist, sehr gut sogar. Und für meine Verhältnisse fand ich die Szene auf Seite 711/712 zwischen Eva und Ingolf sehr gelungen und schon ein bisschen anrührend.


    Bislang hat immer nur eine Bahnstrecke mein Interesse geweckt, die Transsib. Das hat sich mit diesem Roman geändert. Mein Blick wurde auf den Simplon Orient Express gelenkt und dank der detaillierten Beschreibungen, die ich nie als langweilig empfand, habe ich doch einiges dazu gelernt.


    Nun werde ich mich durch die anderen Leseabschnitte arbeiten, aber das musste ich zuerst loswerden.

  • Ich bin auch durch und das Buch hat mir sehr gefallen. Es kam mir gar nicht vor, als hätte es so viele Seiten. Sonst schrecke ich immer vor solchen Wälzern zurück.


    Die Amis haben das schon in die Wiege gelegt bekommen, die Welt zu retten. :lache
    Und die Puppe war wirklich das Versteck.


    Vielen Dank, dass ich mitlesen durfte. Meine Rezi folgt.

  • Zitat

    Original von Caia
    Ich kann es verstehen, daß nicht alle Täter waren. Nicht jeder hat mitgemacht, sicherlich haben viele weggeschaut oder waren mit anderen Dingen wie dem eigenen Überleben beschäftigt.


    Aber ich kann es nicht verstehen, daß man behauptet, nichts gewußt zu haben. In jeder Familie waren Männer Soldaten und Soldaten haben die Gräuel der Wehrmacht erlebt. Und davon zu Hause erzählt. Sicher ist, daß wenige wirklich gewußt haben, aber alle haben etwas geahnt


    :write Mir hat vor Jahren jemand, der in Dachau aufgewachsen ist, erzählt, daß man dort nichts von den Vorgängen im KZ wußte. Es hätte zwar Gerüchte gegeben, aber gewuzßt habe man nichts. Ich habe damals nicht gelebt, aber das scheint mir - auch bei damals noch nicht existierendem Internet oder Social Media - schwer zu glauben.



    Zitat

    Original von Karthause
    Das ist mir auch ein bisschen aufgestoßen. Es ist übrigens die einzige leicht kritische Bemerkung meinerseits. An Pauls Stelle - den amerikanischen Märtyrer - hätte ich lieber Ludvig/Ingolf gesehen - als guten Deutschen sozusagen. Dann wäre die Liebelei auch nur eine Episode gewesen. Damit hätte ich auch gut leben können.


    Hm, also daß „mal wieder ein Amerikaner die Welt rettet“, ist mir hier gar nicht so aufgefallen. Es ergab sich aus dem bisherigen Verlauf, daß das logischerweise auf ihn hinauslief. Wer sonst hätte das tun sollen? Ingolf war nicht der Kerl dazu und hatte vermutlich auch gar nicht die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. (Sieh Dir mal eine Schraubenkupplung an. Mit einfach "ein bißchen sägen" geht da gar nichts, da muß man schon wissen, was man tut. Und Paul hatte in seinem Leben genug an solch schweren Gerät herum"gebastelt", daß man davon ausgehen kann, daß er das wußte.)


    Mit dem von Dir skizzierten Ende hätte ich vermutlich nicht leben können (gut, hätte ich müssen, aber aus welcher Ecke ich das Buch dann hätte zusammenklauben können, wäre einer Überlegung wert :grin ). Eva und Ingolf gaben ein Paar (auch wenn sie lange keines waren), das für mich so eine Art Lichtblick im Dunkel war. Ich erinnere mich an den „Varus“ von Iris Kammerer. Titus Annius und Thiudgif waren die beiden Gestalten, die mich das Buch ertragen ließen. Ganz so schlimm war es hier natürlich nicht, aber die beiden hatten hier für mich eine ähnliche Funktion.



    Zitat

    Original von Karthause
    Bislang hat immer nur eine Bahnstrecke mein Interesse geweckt, die Transsib. Das hat sich mit diesem Roman geändert.


    :grin Da können wir uns die Hände reichen. Fast jedenfalls, denn im Zweifel würde ich auf jeden Fall die Transsib bevorzugen. Allerdings werde ich über den Zug Orient Expreß an sich sicherlich noch etwas lesen, das Buch von Sölch ist schon bestellt. Und wer weiß, wenn ich mal im Lotto gewinne oder sich sonst eine Gelegenheit ergibt, könnte es durchaus passieren, daß der eine oder andere CIWL-Wagen bei mir einzieht. Natürlich nicht in 1:1, sondern in 1:87. :-]



    Zitat

    Original von Cyriacos
    Es ist interessant, dass Du auf den "Ring" kommst, SiCollier. Schließlich funktioniert unsere Geschichte weitestgehend leitmotivisch. Das Amerika-Motiv hast Du ja selbst schon mehrfach isoliert, doch es gibt etliche andere, und diese Alexej-Gedanken betreffen ein ganzes Bündel von Motiven.


    Ich war selbst überrascht, denn den „Ring“ habe ich schon länger nicht mehr gehört, also derzeit eigentlich nicht im Focus. Aber als ich auf S. 757 las: Das Europa, das sie hinter sich gelassen haben, existiert nicht mehr und wird sich nie wieder erheben., und ich dann noch auf die Stelle im Nachwort (...) durch das in Agonie zuckende Alte Europa (...), hatte ich ihn ganz deutlich im Ohr, den Warnruf der Erda: Alles was ist - endet.


    Als „typische Vertreter“ sind mir im ganzen Buch über z. B. Constantin Alexandrowitsch Romanow, teilweise auch seine Frau, aufgefallen für den russischen Adel. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob die seinerzeit wirklich so dachten, oder ob das hier im Buch überzeichnet wurde. Während mir Gestalten wie Boris Petrowitsch Kadynow schon öfters begegnet sind und er mir dadurch irgendwie bekannt vorkam.


    Ohne daß ich das jetzt genauer an etwas festmachen könnte, war Basil Algernon Fitz-Edwards für mich ein mehr als typischer Brite.


    In Eva Heilmann wurde für mich die Tragik der jüdischen Menschen jener Zeit überdeutlich sichtbar. Und gerade, weil das im Buch oft eher unterschwellig auftauchte, empfand ich es als umso eindrucksvoller.


    Ein bißchen in der Luft hängt für mich Ingolf. Nazi scheint er keiner zu sein, sonst hätte er auf das „J“ in Evas Paß anders reagiert. Aber wie kann er dann für die Wehrmacht tätig sein? Irgendwie kam er mir über weite Strecken etwas oberflächlich vor, der jedoch im Laufe der Fahrt durch die Erlebnisse gewachsen ist. Und irgendwann eine Reife hatte so daß er eine Entscheidung treffen konnte, was er will.


    S. 724: Die Dinge sind so, wie sie sind. Es existieren unterschiedliche Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu betrachten: durch die Augen des zaristischen Regimes, die Augen des Sowjetstaates, die Augen der studentischen Kreise in den Bistros am Montmartre und viele andere mehr, aber das änderte nichts an der Wirklichkeit an und für sich.
    Vielleicht läuft es am Ende wirklich darauf hinaus, nicht nur für Rußland, sondern ganz allgemein, für die Weltenordnung, für das Leben.


    Und vielleicht ist diese letzte Fahrt des Simplon-Orient-Express ein Symbol für die Reise eines jeden Einzelnen wie auch der Gesellschaft, der Welt.


    Je mehr ich drüber nachdenke, desto komplizierter und verworrener wird es.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Da nun immer wieder gefragt wird, ob denn nun wirklich schon wieder die Amerikaner die Welt retten müssten ... :-)


    Wie ich diese Geschichte geschrieben habe oder - um doch ein Wort zu verwenden, bei dem ich immer etwas allergisch reagiere, weil es danach klingt, als ob mir das nicht gelungen wäre; und darüber habe ich nicht zu urteilen - wie ich diese Geschichte schreiben wollte:


    Es ist eine Geschichte voller Spiegelungen, voller Leitmotive und Versatzstücke. Dazu gehört auch "der Amerikaner", der zunächst sehr pragmatisch an die Sache herangeht ('Wie kann man sich mit den schon geschlagenen Demokratien verbünden, wenn man doch den Hitler womöglich noch gegen die Sowjets brauchen wird'), um dann nach und nach aus diesem Traum (auch dem Traum, dass man sich einfach raushalten könnte) zu erwachen. Und es ist ein äußerst unsanftes Erwachen. Er steht damit stellvertretend für sein Land, wie er auch mit der Rettung des Zuges (= Rettung Europas) für sein Land steht. Die ist bekanntlich nicht dem deutschen Widerstand (= Ingolf) gelungen sondern letztendlich dem Eingreifen der Vereinigten Staaten zu danken.


    Wobei gerade dieser Widerstand ja im Buch eine große Rolle spielt, die unterschiedlichen Gruppen, die daran beteiligt waren, aufgerufen werden, von den Kommunisten (Otto und seine Gruppe in Breslau) über die Kirche bis zum konservativen Establishment, das über Ingolf gleich mehrfach verortet wird, einmal über Admiral Canaris und einmal über den Kreis um Stefan George, das "geheime Deutschland", auf den seinerseits immer wieder hingewiesen wird. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen (ich füge stattdessen zwei Buchtipps an): Sowohl der deutsch-jüdische Historiker Ernst Kantorowicz, dessen Biographie Kaiser Friedrichs II. Ingolf Helmbrecht ständig mit sich rumschleppt, gehörte diesem Kreis an, als auch die Brüder Stauffenberg; (Stauffenberg --> Staufer; das ist keine Ableitung, aber doch mehr als eine Koinzidenz). Auf jeden Fall haben diese Kreise eine bedeutende Rolle rund um den 20. Juli gespielt. Von Claus Stauffenberg ist überliefert, dass er in den Tagen vor dem Attentat immer wieder das Gedicht "Der Widerchrist" (= Hitler) vor sich hin gemurmelt hätte. Wenn ich mich richtig erinnere, war es Marion Dönhoff, die als erste berichtete, dass Stauffenberg vor dem Exekutionskommando nicht "Es lebe das heilige Deutschland!" gerufen habe, sondern "Es lebe das geheime Deutschland!"


    So oder so: Das Ganze ist eine gespenstische Geschichte, in weit mehr als einer Beziehung (dazu besonders auch der letzte aufgeführte Titel; wer ein bisschen vertraut ist mit dem Establishment der Bonner Republik, der kommt da aus dem Kopfschütteln nicht wieder raus).


    Joachim Fest: Staatsstreich - Das Grundlagenwerk
    Thomas Karlaufs: Stefan George - Die Entdeckung des Charisma
    Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister - Raulffs geniale Dekonstruktion des George-Kreises; eines der besten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe


    Einige weitere Motive sind ja schon angesprochen worden. Das Russland-Motiv etwa, das sich variiert bei Boris, Katharina und Alexej findet. Überhaupt die unterschiedlichen Perspektiven, die Blicke durch unterschiedliche Brillen auf die Dinge, die sind. - Weil sie sind. Die Dinge sind so, wie sie sind.


    "Intentio vera nostra est manifestare ea, quae sunt, sicut sunt." - "Unsere wahre Absicht besteht darin, die Dinge, die sind, darzustellen so wie sie sind."


    Ach ja, das ist von Friedrich II. :-)


    (Und jetzt les ich noch mal in Ruhe, was Du gerade geschrieben hast, SiCollier :) )

    "Ich bin nicht der Meinung, dass jemand, der eine andere Meinung hat als ich, nur deswegen kritisiert werden muss. Er muss dann kritisiert werden, wenn er etwas vertritt, was nicht echt ist." (Helmut Schmidt)