Herkunft - Botho Strauss

  • Hanser-Verlag, 2014


    Kurzbeschreibung:
    Botho Strauß erzählt, wovon er noch nie erzählt hat: von seiner Kindheit und Jugend in den 40er und 50er Jahren, von Naumburg und Bad Ems, den Orten, in denen er aufgewachsen ist, von seinen frühen, prägenden Erinnerungen. Mit diesem Buch findet er noch einmal zu einer ganz neuen Seite seines Schreibens: zum Ton des Erinnerns, der Vergewisserung über die eigenen Ursprünge. Die Jugend ist die Zeit, da die Zukunft einem noch bevorsteht; jetzt lässt Strauß eine lang zurückliegende Gegenwart wiedererstehen. Vor allem ist es der Vater, dessen Bild immer deutlicher hervortritt, liebevoll gezeichnet, doch ohne Selbsttäuschung. Botho Strauß‘ "Herkunft" ist das konzentrierte, reiche Werk eines großen Erzählers aus Deutschland.


    Über den Autor:
    Botho Strauss, 1944 in Naumburg/Saale geboren, lebt in Berlin. Bei Hanser erschienen neben einer vierbändigen Werkausgabe seiner Stücke die Reihe seiner Prosabände von Paare, Passanten (1981) bis Der Untenstehende auf Zehenspitzen (2004), Mikado (2006), Die Unbeholfenen (Bewußtseinsnovelle, 2007), Vom Aufenthalt (2009) und die erweiterte Ausgabe der Essays Der Aufstand gegen die sekundäre Welt (2012). 2012 erschien die von Thomas Hürlimann herausgegebene Sammlung der Erzählungen Sie /Er.


    Mein Eindruck:
    Als ich das Buch letzten Monat das erste mal las, dachte ich gleich: unrezensierbar.
    Aber jetzt, nach der zweiten Lektüre, möchte ich es doch wenigstens hier im Forum vorstellen.


    Schon mit der Gattungsbezeichnung tue ich mich schwer. Meinetwegen ist es eine autobiographische Skizze, in erster Linie über seinen Vater.
    Der war ein Mann des vorherigen Jahrhunderts, in dem er auch geboren wurde. Er war also schon älter als Botho geboren wurde, und so sind generationsbedingte Unterschiede prägend. Ich merke aber auch, dass Botho Strauss von seinem Vater beeindruckt war und von dessen Wesen auch bestimmt wurde.


    Der Vater war medizinischer Gutachter, der auch ein Sachbuch geschrieben hatte und in einer Zeitschrift veröffentlichte. Er kämpfte im ersten Weltkrieg und wurde verwundet. Er entwickelte daraus eine Antikiregseinstellung und lehnte das militärische künftig ab.
    Noch vor Mauerbau verlässt er den Osten Deutschlands und machte sich spät beruflich selbstständig.
    Mich interessiert diese Persönlichkeit sehr, nicht nur als repräsentatives Beispiel eines Mannes seiner Zeit sondern halt auch, weil sein Verhältnis zu seinem Sohn so wichtig war. Sein Sohn, der immerhin ein bedeutender deutscher Schriftsteller wird. Ja, wenn auch umstritten, reaktionär und so weiter, das soll hier jetzt mal keine Rolle spielen.


    Es sind kleine Momente, die mich als Leser bewegen, wenn sich das Vater-Sohn-Verhältnis als liebevoll und wichtig offenbart. Es sind Annäherungen, die sich auch aus Unterschieden begeben und die Botho Strauss vielleicht erst in diesem späten Text ganz erkennt.


    Es dauert fast das halbe Buch bis Botho Strauss auch von seiner eigenen Jugend im Detail erzählt. Es wird seine Begeisterung für das Theater spürbar. Und seine bewusste Entscheidung für das Elitäre! Vom Bravo-Leser wandelt er sich zum Tristan-Schwärner!


    Seite 66: “Ich bin Deutscher: aufgewachsen mit Grimms Märchen und Elvis Presley, Karl May und General Eisenhower, Wagner und James Dean. Woher soll ich meinen Realismus nehmen?”


    Botho Strauss schreibt sein Erinnerungsbuch detailreich und doch ist nichts zu viel. Überflüssiges wird ausgespart. Vermutlich ist es deswegen mit weniger als 100 Seiten kurz und prägnant geworden.


    ASIN/ISBN: B010IOXDEM

  • Das Büchlein mit dem Titel „Herkunft“ hätte auch „Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend“ heißen können. Im Mittelpunkt steht der „allgegenwärtige“ Vater des Autors, der den Großteil der 96 Seiten für sich beansprucht, während die Mutter erstaunlich blass bleibt.


    Aber so ist das mit den Erinnerungen. Auch Botho Strauß meint nicht, dass man sie kontrollieren kann. Auf Seite 47 unten schrieb er über die Erinnerung, die ihm als ein zu possierliches Wort erschien:


    „Das Subjekt tritt in die Aura seiner Damaligkeit. Was war, überkommt es wie ein Anfall.“


    Das trifft den Kern und ist weltmeisterlich ausgedrückt. Gerade die vielen schönen Sätze machen den Wert des Werkes aus. Auch deshalb lesenswert, weil man automatisch auf seine eigene Herkunft zurückgeworfen wird.