In diesen Tagen begehen wir das 25. Jubiläum der Überwindung der deutschen Teilung. Obwohl seitdem eine lange Zeit vergangen ist, haben viele von uns den Herbst des Jahres 1989 noch in lebhafter Erinnerung. Den aktuellen Beitrag der Brandenburger Geschichten widmen wir diesem Ereignis, indem wir auf einen Mann eingehen, dessen Name wie kaum ein zweiter mit der deutsch-deutschen Geschichte verbunden ist.
Es ist der vierte November des Jahres 1989. Knapp eine Million Menschen sind auf dem Alexanderplatz in Berlin erschienen, um eine neue Zeit zu begrüßen. Noch ist die Mauer nicht gefallen, aber jeder weiß, dass das alte System nicht zu halten ist. Ein alter Mann, kaum Haare auf dem Kopf, aber mit einer üppigen weißen Mähne an den Ansätzen betritt das notdürftig zusammengezimmerte Podium. Seine Stimme ist etwas brüchig, aber ausdrucksvoll, als er vor das Mikrofon tritt. In seiner Rede spricht er Sätze aus, die lange Zeit unmöglich waren in der DDR:
„Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen! Nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit…“ so beginnt seine Rede. Von der deutschen Einheit träumt er damals noch nicht, stattdessen beschwört er die Zeit des „richtigen Sozialismus“ herauf, die nun endlich angebrochen sei.
Ein humanistischer Sozialismus war seine Überzeugung, der Traum für den er Zeit seines Lebens einstand. In jeder Phase seines Daseins ist er wegen dieser Einstellung mit den Herrschenden in Konflikt geraten. Ein Querulant durch und durch, aber auch ein kluger Denker, ein begnadeter Journalist und Schriftsteller. Seine Waffe sind die Worte. Schon 1931 fliegt er, der achtzehnjährige Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, vom heimatlichen Gymnasium in Chemnitz, weil er mit einem Gedicht mit dem Titel „Exportgeschäft“ aneckt. Dieses richtet sich gegen Waffenhandel und hat damit zeitlose Bedeutung. Es passt aber nicht in die damalige Ära, welche die „neue Zeit“ genannt wird. Er geht nach Berlin, wo er sich fern vom nationalsozialistischen Unwesen glaubt. Dort legt er seine Reifeprüfung ab und beginnt ein Studium der Journalistik.
Mit dem Reichstagsbrand 1933 endet die Illusion von einer Zukunft in Deutschland. Er flieht nach Prag. Aus Helmut Flieg wird Stefan Heym, um seine in Chemnitz zurückgebliebene Familie vor Verfolgung zu schützen. Im Exil muss er aber den Selbstmord seines Vaters miterleben, der 1935 ein frühes Opfer der Judenverfolgung wird. Eine jüdische Studentenverbindung ermöglicht ihm, in die Vereinigten Staaten überzusiedeln. Dort kann er in Chicago sein Journalistik-Studium fortsetzen und 1936 erfolgreich mit einem Bachelor-Examen abschließen. Seine Wege führen ihn nach New York, wo er als Chefredakteur einer deutschsprachigen Wochenzeitung tätig wird. Die kommunistische Orientierung des Blattes bedeutet im Jahre 1939 das Aus im urkapitalistischen Amerika und Heym ist erwerbslos.
Erwerbslos, aber nicht arbeitslos. Er schreibt seinen ersten Roman „Hostages“ (Geiseln) in englischer Sprache. Darin beschreibt er das menschenverachtende Vorgehen der Nazis gegen die einheimische Bevölkerung im besetzten Prag. Der Roman wird in den USA ein überwältigender Erfolg. Nicht unmaßgeblich trägt die zwölf Jahre ältere Gertrude Gelbin zu dem Erfolg bei. Die deutschstämmige New Yorker Intellektuelle hilft Heym in seinem jungen Alter von 29 Jahren, die sprachlichen Hürden zu überwinden. Das Buch wird in Hollywood verfilmt und die wirtschaftliche Not hat ein Ende. Er heiratet Gertrude Gelbin bald darauf. In Deutschland erscheint das Buch erst nach dem Krieg unter dem Titel „Der Fall Glasenapp“.
1943 wird er amerikanischer Staatsbürger und tritt in den Dienst der US-Army. „Die Ritchie Boys“ sind eine Einheit deutscher und österreichischer Emigranten, zumeist jüdischer Herkunft, die an der Seite der Alliierten den Kampf gegen das zusammenbrechende Hitler-Regime führen. Heyms Aufgabe ist die psychologische Kriegsführung. Flugblätter und Lautsprecherdurchsagen sollen die Soldaten der deutschen Wehrmacht zum Widerstand und zur Desertation bewegen. Heym verfasst Texte, in denen er an das moralische Gewissen der deutschen Soldaten appelliert. Er schreibt in dieser Zeit auch einen weiteren Roman.
Nach dem Ende des Krieges wird er in Westdeutschland mit der Leitung der „Ruhrzeitung“ in Essen beauftragt und arbeitet wenig später als Mitbegründer und Redakteur der „Neuen Zeitung“ in München. Seine prosowjetischen Beiträge irritieren jedoch die amerikanischen Arbeitgeber, sodass er Ende 1945 in die USA zurückversetzt wird. Heym wird zwar mit Kriegsauszeichnungen versehen, muss aber einen Büroposten annehmen. In dieser Zeit beginnt er die Arbeit an seinem dritten Roman. Wegen seiner „prokommunistischen“ Einstellung Wird er bald danach aus der US-Armee entlassen. Nach dreijähriger Arbeit beendet er das Manuskript zu seinem Antikriegs-Roman „Crusadors“, das zehn Jahre später in Deutschland unter dem Titel „Kreuzfahrer von heute“ erscheint, nachdem es bereits ein weltweit beachteter Erfolg geworden ist.
Trotz des Erfolges seines Romans bleiben die USA für ihn nicht länger eine Heimat. In der Ära McCarthy werden linksgerichtete Intellektuelle geschmäht und verfolgt. Er siedelt 1952 mit seiner Frau nach Prag über und von dort aus 1953 in die DDR. Vom DDR-Regime wird er zunächst als „antifaschistischer Widerstandskämpfer“ gefeiert. Auch Heym glaubt in jener Zeit noch an den Sozialismus auf deutschem Boden. Er arrangiert sich mit dem Regime, arbeitet als Journalist und Publizist und erhält 1959 den „Nationalpreis“ der DDR für Kunst und Literatur. Aber schon in dieser Zeit gerät er in schwere Konflikte mit der Staatsführung. Diese eskalieren erstmalig 1956, als er in einem Roman seine Sicht auf den Aufstand vom 17. Juni 1953 schildert. Das Buch wird verboten und in den Sechzigerjahren wird er mit einem generellen Veröffentlichungsverbot belegt.
1969 stirbt seine Frau Gertrude. Eine künstlerische Zuflucht findet er im Verfassen von Märchen, in denen er seine politische Haltung verklausuliert darstellen kann, ohne die Zensur befürchten zu müssen. Das Regime lockert das Veröffentlichungsverbot Anfang der Siebzigerjahre und er bekommt die Möglichkeit, seine Stoffe verfilmen zu lassen. In diesem Zeitraum lernt er seine zweite Ehefrau, die Dramaturgin Inge Holm kennen. Die gemäßigte Haltung der DDR-Führung zu Heyms Arbeiten findet ein jähes Ende im Jahre 1976, als er die Petition gegen die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann unterstützt. Er wird mit einem erneuten Veröffentlichungsverbot belegt und verstößt dagegen, indem er in der Bundesrepublik publiziert. Das Erscheinen seines Romans „Collin“ wird 1979 zum Anlass genommen, ihn aus dem Schriftstellerverband der DDR auszuschließen. In den Achtzigerjahren engagiert sich Heym in der Bürgerbewegung der DDR und wird zu einer wichtigen Figur der Oppositionsbewegung.
Auch nach der Wiedervereinigung, im hohen Alter von über 80 Jahren, tritt er aktiv für seine Ideale ein und provoziert damit Feindseligkeit. Heym glaubt auch nach dem Scheitern der DDR noch an die Ideale des Sozialismus. Er engagiert sich als parteiloser Kandidat für die PDS, der er die Wandlungsfähigkeit weg von der Nachfolgepartei der SED hin zu einer neuen sozialistischen Alternative zutraut. 1994 gewinnt er in Berlin-Mitte ein Direktmandat bei der Bundestagswahl und im November des Jahres hält er als Alterspräsident die Rede zur Eröffnung des 13. Deutschen Bundestages. Die Figur Heym passt für viele nicht in das neue gesamt-bundesdeutsche Bild und obwohl er seine Worte mit Achtung vor dem Gremium und diplomatischem Geschick formuliert, wird ihm die gemessene Anerkennung verweigert. Von Bundeskanzler Helmut Kohl muss Heym sich gar den Vorwurf gefallen lassen, er habe immer „sein Fähnchen nach dem Winde gedreht“.
1995 beendet Stefan Heym seine kurze politische Karriere. Aus Protest gegen eine geplante Verfassungsänderung, die angestrebt wird, um Diätenerhöhungen durchzusetzen, tritt er von seinem Mandat zurück. Bis zu seinem Tode engagiert er sich weiter künstlerisch wie politisch. Im Jahre 2001 stirbt er bei einem Aufenthalt in Israel an Herzversagen.
Wie man auch immer Stefan Heym heute politisch bewerten mag, er war ein Mann, der seinen Prinzipien treu geblieben ist egal aus welcher Richtung der politische Wind wehte. Darin unterscheidet er sich vielleicht von Politikern, die ihm in den Neunzigerjahren das Gegenteil vorwarfen. Die berühmte Rede auf der Alexanderplatzdemonstration vor 25 Jahre endete mit seiner Einschätzung, Sozialismus sei nicht möglich ohne Demokratie. Und weiter Heym wörtlich: „Demokratie aber, ein griechisches Wort, heißt ‚‘Herrschaft des Volkes‘. Freunde, Mitbürger. Üben wir sie aus, diese Herrschaft.“
Edit: Korrekturgang nach maikaefers Anmerkungen, Danke