Über das Buch:
DDR 1982/1983: Auch in Ostberlin, Leipzig und Dresden gibt es eine Jeans und Parka tragende Generation, die aufbegehrt. Zu ihr gehört der siebzehnjährige Schüler Stefan Berg, der dem bekannten Autor Günter de Bruyn einen Brief schreibt, in dem er ihm für einen mutigen Vortrag zur Friedensbewegung dankt. In der Folge entwickelt sich ein freundschaftlicher Briefwechsel, in dem es um Literatur und Politik, vor allem aber um ein zentrales Thema geht: das Leben des jungen Wehrpflichtigen Stefan Berg als sogenannter Bausoldat. Ein bewegendes Dokument, das die Sehnsucht nach Freiheit – nur wenige Jahre vor dem Mauerfall – für heutige Leser spürbar und erlebbar macht.
Die Briefeschreiber:
Stefan Berg, geboren 1964 in Berlin (Ost). Nach seinem Abitur wurde er 1982 Bausodalt. Seit 1986 war er Redakteur bei verschiedenen kirchlichen Zeitungen, wechselte 1991 zum „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ und schreibt seit 1996 für den „Spiegel“. Berührend und aus meiner Sicht sehr empfehlenswert ist seine autobiografische Erzählung „Zitterpartie“, erschienen 2011.
Günter de Bruyn, geboren 1926 in Berlin. Freier Schriftsteller, vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Heinrich-Bölle-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis. Verfasser zahlreicher Romane wie „Buridans Esel“ oder „Neue Herrlichkeit“, autobiografischer Bücher wie „Zwischenbilanz“ und „Vierzig Jahre“ und anderer wunderbarer Bücher wie „Kossenblatt“ oder „Als Poesie gut“. Ich wüsste von keinem Buch Günter de Bruyns, von dem abzuraten wäre.
Meine Meinung:
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, insgesamt 143 Seiten. Es beinhaltet ein Vorwort von Stefan Berg, den Briefwechsel mit eingeschobenen Dokumenten, unter anderem der Staatssicherheit, abgeschlossen wird der Band durch ein Nachwort von Günter de Bruyn.
Bausoldat – was ist das eigentlich? Wehrdienstverweigerung war im Westen nichts Neues, im Osten dagegen Straftat. Zivildienst war in der DDR nicht vorgesehen, obwohl ein Ersatzdienst, ein sozialer Friedensdienst von vielen gewünscht und gefordert wurde. Wer nicht den Dienst an der Waffe leisten wollte, wurde Bausoldat. Trug Uniform, hatte Befehle auszuführen, war eingezogen, in Kasernen (und Zelten) untergebracht, war Soldat, nur einer ohne Gewehr und Panzer, dafür mit Schaufel und Axt. Kontakt zu den „richtigen“ Soldaten (denen mit einer Waffe) war streng untersagt.
1981/1982 war auch Stefan Berg in der Situation, sich entscheiden zu müssen. Er wusste, dass er auf den sozialen Friedensdienst nicht warten konnte, die Aussicht auf zwei Jahre Haft, die für die Verweigerung des Wehrdienstes obligatorisch waren, schreckte viele, so auch ihn. Was er anscheinend nicht wusste – und darin liegt für mich eine gewisse Tragik -, war, dass ab Anfang der 80er Jahre Wehrdienstvollverweigerer nur noch selten inhaftiert wurden (Quelle: Amet Bick, 1989 – Fünf Männer, ein Jahr, Wichern Verlag 2014).
Woher hatte er eigentlich das Vertrauen? Vorsicht war doch angesagt, er wusste, seine Briefe wurden von der Staatssicherheit überwacht, aufgefallen war schon der Schüler Stefan Berg, er wusste, dass und welche Folgen auf ihn warteten, würde er seine Meinung zu deutlich äußern. Und trotzdem war er von einer bemerkenswerten Ehrlichkeit, machte, wie man so schön sagt, auch in seinen Briefen auf seinem Herzen keine Mördergrube, schrieb, was er schreiben wollte, auch an Günter de Bruyn. Der hatte in seiner Rede im Dezember 1981 bei der „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“ deutliche Worte gesprochen, hatte Worte in den Raum gestellt, den es in der DDR dafür eigentlich gar nicht gab: „sozialer Friedensdienst“ etwa oder gar „Untergrund“. Auch westliche Schriftsteller nahmen an dieser „Begegnung“ teil, auch westliche Presse war zugelassen, die – natürlich – in aller Breite und Ausführlichkeit von den Reden nicht nur berichtete, sondern DDR-Bürgern Gelegenheit gab, sie im Wortlaut zur Kenntnis zu nehmen.
Stefan Berg hielt sich nicht zurück mit seiner Meinung, mit seinen 17, 18 Jahren war er bemerkenswert treffsicher in seiner Wortwahl. Er hat ein Vertrauen in den von ihm angesprochenen Schriftsteller, das einerseits wohltuend ist, andererseits mich noch mehr als 30 Jahre nach dem Verfassen der Briefe um ihn hatte bangen lassen. Wie sicher er sich doch war! Es sind Briefe, zu denen mir hauptsächlich zwei Worte in den Sinn kommen: ehrlich und unverstellt. Ohne jegliche Scheu berichtet er von seinen Gewissenskonflikten, von seinem Ringen um das, was er tun soll, aber auch von den unwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten, die er als Bausoldat zu ertragen hatte, von den Schikanen, von den kleinen Freuden, von seinen Versuchen, den Gegebenheiten etwas abzutrotzen, Literaturabende beispielsweise, vielleicht sogar auf eine Besserung der Verhältnisse hinarbeiten und hoffen zu dürfen.
Günter de Bruyn ist naturgemäß vorsichtiger. „Bleiben Sie doch hier, solange es nur geht! Mir geht’s doch ähnlich, seit Jahren und Jahren.“ (Seite 54) – er überredet nicht, aber er zeigt Möglichkeiten auf. Sich einzurichten in den kleinen, sich zu schaffenden Freiräumen, in einem stillen Widerstand, zu dem auch beispielsweise gehörte, das Gedicht „Sergeant Waurich“ von Erich Kästner oder nicht ganz so liebsame Bücher einem Bausoldaten zu schicken (de Bruyn an Berg) oder mit einem Wolf Biermann-Gedicht oder Erich Fried-Vers zu antworten (Berg an de Bruyn). Er vermittelt dem jungen Mann glaubwürdig, ihm zuzuhören, wirklich zuzuhören, für ihn da zu sein in seinen Möglichkeiten, er gibt Hinweise, die in der damaligen Situation wertvoll gewesen sind. Er ist für Stefan Berg, so war mein Eindruck, neben dem verehrten Schriftsteller auch eine Art „Kummerkasten“, eine Art „Klagemauer“, ein Hoffnungspunkt, bei dem er seine Worte gut aufgehoben wusste, von dem er aber auch – so glaube ich zumindest – wusste, dass ein einzelner Intellektueller, und sei er noch so angesehen, keine Veränderungen bewirken konnte. Im Kleinen zu wirken, Mut zu machen, Tür, Ohr und Herz nicht zu verschließen vor Ängsten, Kummer, Not, so lese ich es heraus, war die Erwartungshaltung an Günter de Bruyn. Vielleicht nicht nur von Stefan Berg, vielleicht nicht nur in Bezug auf Günter de Bruyn.
In den Text eingebunden sind an den betreffenden „Stellen“ Dokumente der Staatssicherheit und der beim Militär mit Stefan Berg befassten Stellen. Es sind traurige Dokumente der Überwachung und Einschätzung der Persönlichkeit und des Charakters der überwachten Person, die etwas von den Mitteln aufzeigen, mit denen gearbeitet wurde, sie zeugen aber auch von der Paranoia, in allem und jedem Feindliches zu sehen. Mir blieb das Lachen im Halse stecken, als ich von den Fragen eins Majors bei der Volksmarine las (Seite 92), welche Rolle denn zum Beispiel ein gewisser Günter de Bruyn im Schriftstellerverband spiele, oder von dem Bemühen eines Gefreiten, herauszubekommen, wer den eigentlich dieser Rainer Maria Rilke sei. Es sind Dokumente, die zu lesen fast hilflos machen und damit den Gedanken nicht mehr loslassen, wie hilflos sich erst die Überwachten gefühlt haben müssen.
Eine Empfehlung also?: „Ist wohl eines der schönsten Erlebnisse: ein Buch nicht mehr aus der Hand legen wollen!!“ (Seite 130), so schreibt Stefan Berg an Günter de Bruyn – und mehr ist zu diesem Buch von meiner Seite aus eigentlich nicht zu sagen.
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