Charles Scott Richardson: Eines Morgens in Paris

  • Charles Scott Richardson: Eines Morgens in Paris
    Verlag 2014. 240 Seiten. Klappenbroschur
    ISBN-13: 978-3455600131. 14,99€
    Originaltitel: The Emperor of Paris
    Übersetzer: Giovanni und Ditte Bandini


    Verlagstext
    Octavio ist Bäcker, sammelt Bücher und lernt durch eine Verkettung von Zufällen Isabeau kennen - die Liebe seines Lebens. Ein in grünes Leinen gebundenes Buch spielt dabei eine genauso große Rolle wie ein halbblinder Uhrmacher, eine Buchhändler-Familie und ein Künstler. Und dann ist da noch die schrullige Stammkundschaft der Boulangerie… Wir werden Zeuge einer gleichermaßen außergewöhnlichen wie unwahrscheinlichen Liebesgeschichte, die vom Glück des Zufalls und der Liebe erzählt. Charles Scott Richardsons Roman ist eine zauberhafte, rührende Ode an das Leben und eine ganz besondere Entdeckung für alle, die auch Die fabelhafte Welt der Amélie lieben.


    Der Autor
    Charles Scott Richardson, geboren 1955, lebt in Toronto. Er ist mehrfach prämierter Buchgestalter. Sein Debütroman Das Ende des Alphabets erschien in dreizehn Ländern und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.


    Inhalt
    Charles Scott Richardson erzählt die Geschichte des Pariser Bäckers Émile Notre-Dame, der nicht mehr der Alte ist, nachdem er vom Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs zurückgekehrt ist. In seiner Abwesenheit haben seine Frau, sein kleiner Sohn Octavio und der fast blinde Uhrmacher Grenelle die Bäckerei weitergeführt. Klugerweise hatte Émile seinen Sohn aus der Schule genommen und in seinem Handwerk ausgebildet, als sich herausstellte, dass Octavio wie sein Vater wortblind ist, also unter Legasthenie leidet. „Ich war auch nicht so sehr für die Schule“, reagiert der Vater lapidar auf die Nachricht von den Schulproblemen seines Sohnes. Vater und Sohn verbindet die Liebe zu Geschichten. So konnten sie sich vor dem Krieg unverdrossen damit beschäftigen, wie wohl das hölzerne N aus dem Wort Boula-n-gerie von der Hausfassade verschwunden ist und was es in der Zwischenzeit erlebt hat. Beide Männer brauchen anstelle der Schrift Bilder im Kopf, die sie beim Erzählen zum Leben erwecken. Wie dramatisch das Trauma des Vaters sein muss, wird daran deutlich, dass er auch 10 Jahre nach Kriegsende noch immer Octavios besondere Zuwendung braucht. Verknüpft mit dem Schicksal der Familie Notre-Dame sind weitere Personen, eine Buchhändlerfamlie mit einem Stand am Pont des Arts, ein Künstler, der wegen Talentlosigkeit seinen Studienplatz an der Akademie verliert, und eine junge Restauratorin im Louvre. Die Verbindung zwischen ihnen bilden eine bestimmte Zeichnung und Bücher. Henri Fornier, Enkel und Sohn von Buchhändlern, hat eine sehr persönliche Art, mit Büchern umzugehen, die den sehr großen Bogen dieser Geschichte am Ende wieder schließt.


    Fazit
    Richardsons Roman besteht aus vielen kurzen Abschnitten, die zu verschiedenen Zeiten spielen und eine der vielen Personen zum Mittelpunkt haben. Normalerweise mag ich es gern, mir die Handlungsfäden und die Familienverhältnisse in einem Roman aus einzelnen Hinweisen selbst zusammenzusuchen. Für eine so kurze Geschichte, die auch noch den Anschein erweckt, ein atmosphärisches Wohlfühlbuch zu sein, finde ich die gewählte Form unpassend. Gerade im Zusammenhang mit dem Beruf des Autors als Buchkünstler hätte es sich angeboten, die Kapitel mit Jahreszahlen oder kleinen Vignetten zu kennzeichnen, so dass Leser sofort erkennen, mit wem sie es in der Geschichte gerade zu tun haben. Die Sprache finde ich in ihrer Verschachtelung nicht zum Milieu und zur Zeit der Handlung passend. Mir hat in Richardsons Text einmal der sinnliche Zugang zur praktischen Arbeit gefehlt, dann die Perspektive eines Kindes, das im Milieu selbstständiger Handwerker aufwächst und zuletzt hätte ich von einem preisgekrönten Autor erwartet, dass er mehr zeigt, als er behauptet. Krasses Beispiel für einen schlechten Text war m. A. die - fehlende - Beschreibung des Uhrmachers Grenelle, der mal ein Uhrmacher, dann ein blinder Uhrmacher und schließlich ein halbblinder Uhrmacher sein soll. Ein sorgfältiger Autor hätte Grenelles Verhalten so beschrieben, dass ich selbst erkennen kann, wie stark der Uhrmacher behindert ist, und es wäre nicht zur Verwirrung durch widersprüchliche Beschreibungen gekommen.


    Das Buch enthält zwar einige Juwelen der Erzählkunst, die nach meinem Geschmack jedoch zu schwer zu entdecken sind. Meine Erwartung hat sich nicht erfüllt, hier eine bezaubernde Geschichte oder bezaubernde Personen zu finden.


    5 von 10 Punkten

  • Im achten Arrondissement hat Octavio seine Boulangerie. Sie ist schon lange im Familienbesitz. Die südliche Grenze des Viertels verläuft am Ufer der Seine, wo Octavio seine Sonntage verbringt und bei einem Buchhändler nach immer neuen Werken sucht. Er liebt Bücher, hat jedoch eine Leseschwäche, die ihm sogar den Besuch der Nonnenschule verwehrte. Auch Isabeau liebt Bücher. Wenn sie liest, vergisst sie alles um sich herum. Heimlich hat sie ein Auge auf den netten Geschichtenerzähler geworfen. Sie ahnt nicht, dass auch Octavio sie gern näher kennenlernen möchte.


    Bis es so weit kommt, stellt uns der kanadische Autor Charles Scott Richardson noch viele andere Personen vor und lässt seine Leser am Schicksal von Octavios Vater nach dem Krieg teilhaben. In geschwungenen Sätzen folgt man dem Verlauf der Handlung, ohne so recht die Spannung verspüren zu können. Es ist ein sehr leiser Stil, der eher die Neugier der Leser weckt. Partiell wirkt das Pariser Leben authentisch eingefangen, andere Teile scheinen der Fantasie entsprungen zu sein. Diese Fantasie wird gleichfalls beim Leser angesprochen, wenn es um die Gerüche aus der Bäckerei geht, dem Erfühlen eines Ledereinbandes beim Buch oder einfach nur die sommerlichen Geräusche in den Tuilerien.


    Der Schreibstil verlangt bei all seiner Leichtigkeit genaue Konzentration. Viele Figuren tauchen auf, verschwinden wieder und hinterlassen nur einen Gedankenanstoß. Manche sind berührend, andere hat man auf der Stelle wieder vergessen. Wie im realen Leben ist es ein Kommen und Gehen. Wer sich durch diese flatterhaften Sequenzen nicht abschrecken lässt, wird mit einem zufriedenstellenden Gefühl auf der letzten Seite belohnt. Um wirklich alle Facetten erfassen zu können, ist ein zweites und vielleicht sogar drittes Lesen notwendig. Gerne hätte ich die volle Punktzahl vergeben. Leider habe ich schon andere Bücher über das Thema gelesen, die mich weitaus früher in den Sog gezogen haben. Da dieses Buch allerdings einen eigenen, gemäßigteren Charme hat, hat es zu sieben Punkten gereicht.

  • Was die Geschichte betrifft, bin ich etwas zwiegespalten. Auf der einen Seite mochte ich den Schreibstil, auf der anderen hat der Aufbau und das gewollt Philosophische des Buches mein Hirn ganz schön verschwurbelt und irgendwann wollte ich nur noch zum Ende kommen.


    Das Buch beginnt mit einer Katastrophe (genauer gesagt mit meinem persönlichen Alptraum) und endet mit einem Anfang. Der Weg zum Ende führt den Leser vom Leben der Eltern der beiden Hauptfiguren in der Vergangenheit (ab ca. 1900) und über diverse Nebenfiguren bis in die Jetzt-Zeit (1938), die sich alle irgendwann über den Weg laufen und Überschneidungen erschaffen, ob unwichtig oder nicht.


    Die Linie hätte gern ein wenig klarer sein dürfen und das Lesen der Dialoge ohne Anführungszeichen ist ja immer ein wenig anstrengender. Es stört mich persönlich zwar nicht, aber man sollte schon wissen, worauf man sich einlässt, bevor man sich das Buch anschafft.


    Ich gebe mal ganz vorsichtig 6,5 Punkte.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“