ZitatOriginal von smarana
Habe jetzt auch länger drüber nachgedacht, und mir ist klar geworden, dass meine unzufriedenheit dadurch entsteht, dass ich mich bei büchern einfach lieber über den Inhalt austausche, über das thema an sich, was es auslöst, welche sichtweisen darin enthalten sind etc., lese auch lieber bücher, die nicht nur die zeit vertreiben und unterhalten, sondern die mich anregen zum nachdenken, zum weiterdenken, neue erfahrungen kennenlernen, usw.
Liebe Smarana, mir ist völlig schleierhaft, wie du auf den Gedanken kommst, es ginge einigen von uns grundsätzlich darum, daß das Handwerk über allem stehe. Das gilt für diesen Thread, weil es hier um die Frage geht, wieviel Handwerk für den Autor wichtig ist, damit eine Geschichte funktioniert. Das ist eine Frage, die den Leser zunächst mal überhaupt nicht interessiert. Ebensowenig wie es die Trägerin einer schönen Brosche interessiert, wie der Goldschmied Edelsteine schleift, wie er das Edelmetall verarbeitet, welche Legierungen er benutzt, wie er die Anordnung der Teil zu einem Ganzen komponiert etc. -- für die Trägerin ist nur wichtig, daß das Ergebnis all dieser Überlegungen und Tätigkeiten schön ist, ihr gefällt usw.
Nebenbei bemerkt irrst du, wenn du glaubst, daß das "Handwerk" nur für die etwas geschmähten Unterhalter wichtig sei, während die richtigen Schrifststeller das nicht bräuchten -- ganz im Gegenteil! Bei der Literatur ist es wie in jeder Kunst: Wer Ideen hat, aber das Handwerk nicht beherrscht, der stümpert nur (ein großes Problem in der zeitgenössischen "Lyrik"!).
Khalil Gibran beruft sich auf die jahrhundertealte Tradition des Liedes undd er Dichtung im persisch-arabischen Raum, insbesondere den Sufismus. Er sondert nicht einfach Inspirationen ab, sondern bedient sich eines riesigen Schatzes (btw etwas, was wir ach-so-tollen Mitteleuropäer für uns selbst sehr gern als alten, überholten Krempel abtun).
Hermann Hesse war besessen von seinem Stil, schliff und bosselte an einzelnen Sätzen tage- wochenlang herum. Auch arbeitete hart, um die Ergebnisse zu erzielen, litt unter mancher Schreibblockade, kämpfte um seine Disziplin und war keineswegs jemand, den die Muse unentwegt küßte, so daß die Kunst beständig mühelos aus seinen Fingern floß.
Marianne Fredriksson konstruiert ihre Geschichten sehr präzise so, daß ihre stark pietistische Botschaft breitenwirksam transportiert wird.
Je kunstloser eine flüssig erzählte Geschichte wirkt, desto mehr Arbeit steckt dahinter. Es ist viel einfacher, platte Figuren durch hanebüchene Abfolgen spektakulärer Ereignissen stolpern zu lassen, als mehrere Handlungen, die sich aus den Charakteren der handelnden Figuren ergeben, folgerichtig miteinander zu verschränken.
Hinzukommt, daß diese "Technik" bei jedem Schriftsteller zu einem Teil seiner selbst wird -- zu einer Fertigkeit, die er ebenso unbewußt/bewußt benutzen kann wie Gehen, Schwimmen, Lesen, Einkaufen, Fremdsprachen, Rad- oder Autofahren ...
Themen (wie z.B. Religion, Spiritualität, Philosophie etc.) kann man erst in Geschichten verarbeiten, wenn man weiß, was man da tut, wie es auf Menschen wirkt. Erst dann kann man seine Figuren vorleben lassen, was man wirklich ausdrücken will.
Ganz abgesehen von der Tatsache, daß das Abfassen eines Romans eine gehörige Kondition erfordert.
Kunst ist das alles genau dann, wenn es nicht bemüht, sondern mühelos aussieht.