Vom Gehorsam zur Freiheit – Ferdinand Schlingensiepen

  • Über das Buch:
    Sechs Porträts von Menschen, die sich zum Widerstand gegen das NS-Regime entschlossen und aktiv wurden: Sophie Scholl, Helmuth James von Moltke, Adam von Trott zu Solz, Dietrich Bonhoeffer, der englische Bischof George Bell und der Gefängnispfarrer Harald Poelchau. Ihre Motivation, ihr Denken und Handeln waren verschieden, doch sie hatten eines gemeinsam: eine christliche Grundhaltung. Anschaulich und berührend schildert Ferdinand Schlingensiepen ihren Weg zum mutigen Widerstand.


    Über den Autor:
    Ferdinand Schlingensiepen wurde 1929 geboren. Er ist evangelischer Theologe und Publizist sowie Mitbegründer der Dietrich-Bonhoeffer-Gesellschaft. Harald Poelchau und Bischof George Bell hat er persönlich kennenlernen dürfen.



    Über das Buch:
    Taschenbuchausgabe, insgesamt 207 Seiten, unterteilt in Vorwort, Einleitung, sechs Porträts bzw. Kurzbiografien in unterschiedlicher Länge, ein Nachwort oder besser ein Fazit mit dem Titel „Wie wird man zum Vorbild?“, Literaturhinweise sowie Bildnachweis.


    Eine Frau, fünf Männer = sechs Widerständler gegen Hitler, gegen den Nationalsozialismus? Ja, so einfach kann das manchmal sein. Auch, wenn man vielleicht auch anfangs begeistert mittat bei den Nationalsozialisten wie Sophie Scholl, wenn man zum Teil tief eintauchen musste in die Strukturen und den Machtapparat wie Adam von Trott oder Helmuth James von Moltke, wenn man im Dienst für die Menschen eingebunden wurde wie Harald Poelchau und Dietrich Bonhoeffer oder Bischof Bell. Nämlich dann, wenn man nicht wegschaute, wenn man die gellenden, die heiseren und die lautlosen Schreie derer hörte, denen Unrecht, bitteres und bitterstes Unrecht geschah in den Zeiten der Nazi-Herrschaft, wenn man nicht mehr durch Stillhalten und Stillsein mittun wollte bei den Verbrechen, die geschahen.


    Sechs Menschen porträtiert Ferdinand Schlingensiepen, denen, so sagt es der „Klappentext“, eine „christliche Grundhaltung“ gemeinsam war; man darf wohl hinzufügen, dass ihr christliches Denken und Fühlen ihren Widerstand nicht gerade verhindert, sondern sie eher bestärkt hat. Bemerkenswerterweise sind es protestantische Christen, denen sich der Autor widmet; einen anderen Grund als den, den Schlingensiepen nennt, dass nämlich das Buch auf einer Vortragsreihe für die Evangelische Gemeindeakademie in Hamburg-Blankenese beruhte, kann ich nicht erkennen. Drei der Namen sind sehr bekannt, ihnen sind zahlreiche Publikationen und Forschungsarbeiten gewidmet: Sophie Scholl, Helmuth James von Moltke und Dietrich Bonhoeffer. Die drei anderen Männer tauchen auf in den Biografien von Bonhoeffer und Moltke, nämlich Harald Poelchau, Bischof George Bell und Adam von Trott. Auch Letzterer war Gegenstand einiger Untersuchungen. Über Bischof Bell gibt es englischsprachiges Material, über Poelchau zu Schlingensiepens und meinem Bedauern lediglich autobiografische und derzeit vergriffene Texte.


    „Vom Gehorsam zur Freiheit“ so lautet der Titel, er ist dem theologischen Denken Bonhoeffers entnommen. Anhand dieser beiden Begriffe zeichnet Schlingensiepen in der gebotenen Kürze, aber in aller Deutlichkeit den Weg seiner Protagonisten nach, der in vier Fällen zur Ermordung führte; er belegt eindrücklich, dass es gerade der – christlich motivierte - Gedanke der Freiheit ist, die freie persönliche Entscheidung, die zum Ungehorsam – auch gegen christliche Gebote - führt und in den sechs niedergelegten Fällen führen musste. Mir hat dieser theologische Ansatz Schlingensiepens außerordentlich gut gefallen; er zeichnet diese Leben so aus einer etwas anderen Perspektive nach, er deutet Handeln und Denken der Porträtierten auch in der Entwicklung ihres Glaubens, der sich den Sphären eines sonntäglichen Wohlfühlglaubens und des Einrichtens darin weit abhebt. Er macht aber auch deutlich, wie sehr Anleitung und Vorbild anderer Menschen, die persönliche Bildung und die Fähigkeit zum eigenständigen Denken diesen sechs Personen im Suchen und Finden ihres Weges, ihres Ziels, ihrer Standhaftigkeit und ihrer Gewissheit dienlich waren, wie sehr sie sich so auf sich selbst und das, was sie glaubten, verlassen konnten im Zweifel wie in der Bedrängung.


    Der einzige Kritikpunkt, den ich erwähnen muss: Das Buch, so sagt Schlingensiepen wie bereits erwähnt in seinem Vorwort, gehe auf eine Vortragsreihe zurück, sie trug den Titel „Christliche Biografien aus dem Widerstand gegen Hitler“. Dies wurde im Untertitel - „Biografien aus dem Widerstand“ - des vorgestellten Buches verkürzt – doch warum, hat sich mir nicht erschlossen. Fürchtete man, potentielle Käufer und Leser des Buches abzuschrecken durch dieses eine Wort „christliche“? Dazu sollte man vielleicht bedenken: Der Ansatz des Autors, Leben und Handeln der sechs Widerständler aus dem Glauben zu erklären und zu entwickeln, ist ungewöhnlich, zudem geht er gerade in den Beiträgen zu Dietrich Bonhoeffer – natürlich – und zu Helmuth James von Moltke in tiefere theologische Schichten. Schlingensiepen vermag exzellent zu erklären, aber angesichts unserer immer säkularer geprägten Welt ist das Verstehen solch theologischen Argumentierens nicht mehr selbstverständlich; es wäre mehr als schade, wenn das Buch deshalb an- oder ungelesen weggelegt würde.


    Es gibt da noch dieses letzte Kapitel, das, was ich als „Nachwort“ bzw. „Fazit“ bezeichnet habe, und das allein schon den Griff zum Buch lohnt. „Wie wird man zum Vorbild?“, so lautet die Überschrift; die Antwort, die Schlingensiepen gibt, ist einfach und ist es doch nicht. Nicht mehr gehe es um ein Vorbild, um die Frage beantworten zu können, wofür man bereit sei zu sterben. Ganz im Gegenteil stellen die von Schlingensiepen Porträtierten und wohl auch er selbst uns die entscheidendere Frage: „Wofür lebt ihr?“ (Seite 203). Im dem Weg, den sie gingen, im Erfahren und Erlernen dessen, das sie zu dem formte, was sie wurden, was sie zu handeln zwang, „sind sie Vorbilder“. Nicht nur Sophie Scholl, Helmuth James von Moltke, Dietrich Bonhoeffer, Adam von Trott zu Solz, Harald Poelchau und Bischof George Bell schimmern aus der „dunkelsten Epoche unserer Geschichte“ als Vorbilder, wer sich für den Widerstand interessiert, wird, so meine ich, weitere Namen kennen oder zu finden wissen. Es sind „Vorbilder, die uns zwar keine Antwort auf heutige Fragen geben, wohl aber zeigen, mit welcher innerer Haltung auch schwere Krisen bestanden werden können“, so Schlingensiepen wörtlich (Seite 204).


    Ein sehr nachdenkliches, nachdenkenswertes Buch, dem meine Empfehlung gilt.


    ---

  • Eine sehr interessante Buchvorstellung. Ganz herzlichen Dank dafür.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.